Der Applaus ­ist den Hass wert

Maestra, übernehmen Sie: Die gebürtige Wienerin Nazanin Aghakhani ist eine der immer noch viel zu wenigen international bekannten ­Dirigentinnen. Im Interview spricht sie über Leidenschaft, ­Respekt und den richtigen Arbeits-BH. 

Interview: Gini Brenner

Wie wird man Dirigentin?

Mit acht habe ich zu Hause Mozarts große g-Moll-Symphonie mit den Wiener Philharmonikern gehört und war total überwältigt. Da habe ich zu meiner Mutter gesagt: Ich werde Dirigentin. Mit 10 hatte ich meinen ersten Taktstock, mit 12 Unterricht. Meine Eltern haben mich für diesen Traum nie belächelt, sondern immer ernst genommen. Das war, glaube ich, die Essenz meines Erfolges.

Sie sind dann in Wien auf die Musikakademie gegangen?

Zuerst habe ich eine Ausbildung zur Konzertpianistin gemacht, mit 18 dann die Aufnahmeprüfung für Orchesterleitung bestanden.

Wie viele Studentinnen gab es in diesem Studienzweig insgesamt?

Also alle Jahrgänge zusammengezählt, waren wir 45 – davon 6 Frauen. Und meine Kolleginnen waren alle exzeptionell talentiert. So sehr, dass man sie einfach aufnehmen musste. Trotzdem haben wir zur Begrüßung gehört: „Ihr müsst wissen, wir werden euch die Hölle heiß machen. Frauen haben auf dem Pult nichts verloren.“ Das war mein Studium in Wien. Es war grauenvoll.

Hat sich seither etwas verändert?

Ich glaube schon. Viele meiner damaligen Professoren sind auch nicht mehr im Haus, es sind dann einige Sachen aufgedeckt worden. Eine Kommilitonin von mir hat z. B. abgetrieben – das Kind ihres eigenen Ehemanns, denn eine schwangere Frau darf doch nicht dirigieren! Wir wurden wirklich schikaniert. Ein Bekannter hat dann zu mir gesagt: „Du musst nach Skandinavien, da ist die Sache anders!“ Also bin ich nach Stockholm gegangen.

Und war dort die Sache wirklich anders?

Ja, das Nord-Süd-Gefälle ist heute auch noch extrem spürbar. Und meinen ersten Unterricht in Stockholm werde ich nie vergessen: Ich wurde nicht komisch angesprochen wegen meines Namens, ich konnte anziehen, was ich wollte.

Wird man als Dirigentin stark nach dem Aussehen beurteilt?

Das weiß ich nicht. Wenn ich dirigiere, denke ich nicht an mein Äußeres oder mein Geschlecht, da denke ich nur an meine Arbeit.

Überlegen Sie sich vorher trotzdem, was Sie anziehen?

Nein, im Gegenteil! Ich habe meine fixen Outfits, über die ich nicht nachdenken muss. Ich weiß, da öffnet sich nichts, da rutscht der BH nicht, da springt kein Knopf auf, da dringt der Schweiß nicht durch – man schwitzt je extrem am Pult. Und es sieht trotzdem elegant aus, das ist mir schon wichtig.

Männer müssen sich da wohl nicht so viel überlegen – rein in Hemd und Anzug, und passt …

Ich hatte leider nie jemanden, der mir das als junge Frau erklärt hätte. Wir sind nun mal anatomisch anders gebaut. Beim Dirigieren bewegt man ständig die Arme – das heißt, die Brüste müssen gut verpackt sein. Man muss z. B. einen BH haben, dessen Träger nicht verrutschen, und bei dem man nicht sieht, wenn die Nippel hart werden, wenn der Wind geht – sowas irritiert die Spieler.

Woran, glauben Sie, liegt das, dass Dirigieren für Frauen immer noch als so ungewöhnlich angesehen wird?

Das Dirigieren ist ein Beruf des ­Reisens und der extremen Belastung. Man bietet eine große Angriffsfläche. Frauen galten lange als „zu emotional, zu unflexibel, zu zerbrechlich“. Und – was man sich heute nicht mehr sagen traut – „zu verführerisch“. Man braucht auf jeden Fall eine dicke Haut. Meine erster Lehrer hat zu mir gesagt: „Wenn du geliebt werden willst, dann such dir einen anderen Beruf.“

Wie lebt es sich mit der Ablehnung durch Menschen, mit denen man arbeitet?

Man hört die Ausnahmen und den Applaus und weiß, dass es den Hass wert war. Ich sag immer: Ein Messer mehr oder weniger in meinem Rücken, das spüre ich gar nicht mehr. Mir geht es ums große Ganze und um den Respekt. Ich bin nicht auf dem Pult, um geliebt zu werden.

Für Sie zählt nur das Ergebnis? 

Das Ergebnis wird auch für mich nicht perfekt sein, weil es sowas wie perfekt nicht gibt – es gibt Glücksmomente und Glücksauftritte. Aber es geht darum, aus der Truppe das Bestmögliche herauszuholen. Da gibt es keinen Raum für Zweifel, und keine Möglichkeit, auch nur irgendwie unvorbereitet aufzutauchen. Ich habe auch keine Kapazitäten für zu viel Emotionalität. Ich sehe es ein wenig als Feldwebel-Arbeit.

Es muss ein unbeschreibliches Gefühl sein, da oben zu stehen.

Es ist UNBEZAHLBAR!!! Es ist der beste Platz der Welt. —

Nazanin Aghakhani: Geboren 1980 in Wien, studierte in Wien Klavier und Orchesterleitung, dann in Stockholm und Helsinki an der Sibelius-Akademie. Aghakhani dirigierte an den großen Konzerthäusern und Festivals in ganz Europa, und war 2010 die erste Dirigentin, die im Iran mit dem Teheran Symphony Orchestra auftrat. Außerdem komponiert sie eigene Orchesterwerke, nahm mehrere Alben als Pianistin auf, singt Chansons und betreibt ihren eigenen YouTube-Kanal. Nach dem ersten Lockdown gründete Aghakhani in Wien das Pop-up-Orchester „IUNCTUS“. Dessen erstes Live-Album wird noch diese Saison erhältlich sein. Sie hat 2 Kinder und lebt in Österreich.

Hinweis: Dieser Text erschien erstmals im femMit-Magazin 1/2021

Foto: Stefan Fuerthbauer

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