Unternehmen müssen ihre Haltung ändern

Überall ist die Rede vom Fachkräftemangel in Deutschland – doch wie verhalten sich die Unternehmen dazu? femMit sprach mit Personalprofi Cawa Younosi über aktuelle Entwicklungen, Unternehmenskulturen und darüber, was Bewerberinnen und Bewerber jetzt machen können.

Interview: Sümeyye Algan

An allen Ecken hört man vom Fachkräftemangel in Deutschland. Ist das wirklich so?

Man muss die Situation ein wenig differenziert betrachten. Statistisch gesehen liegt ein Fachkräftemangel vor, aber er verteilt sich innerhalb der Branchen sehr unterschiedlich. Besonders seit Ende der Pandemie beobachte ich eine differenzierte und zum Teil widersprüchliche Entwicklung. Im Bereich der Corporate Functions wie HR, Kommunikation und Finance treten die Unternehmen aktuell beispielsweise eher auf die Bremse. Während auf der einen Seite Unternehmen händeringend nach IT-Personal suchen, entlassen viele Tech-Unternehmen, zum Beispiel Google oder Microsoft, massenweise Mitarbeiter. Hinzu kommt: Unternehmen versuchen aufgrund von Rezessionen oder Inflation ihr Bestandspersonal zu erhalten, wenige Externe einzustellen und auf KI oder Open AI zu setzen.

Vor einigen Jahren konnten sich Unterneh­men noch aussuchen, wen sie einstellen … 

Aktuell kann man in der Fläche nicht von einem Arbeitnehmer-Arbeitsmarkt sprechen. Das zeigen auch die Zahlen vom IAB: Die Anzahl der freien Stellen sind im Vergleich zu 2022 zweistellig zurückgegangen. Die Auswirkungen sieht man besonders bei der Einstellung von manchen Unternehmen gegenüber ihren Mitarbeitenden. Mitarbeiterzentriertes Arbeiten, Vereinbarkeit mit Familie und generell die Mitarbeiterzufriedenheit sind Themen, die mehr und mehr seitens mancher Unternehmerlenker belächelt werden.

Klingt, als säßen Unternehmen auf einem sehr hohen Ross?

Es ist erschreckend, wie einige Unternehmen besonders in den vergangenen 18 Monaten ihr komplettes Profil von `Paulus` hin zu `Saulus` verändert haben. Ich glaube, wenn nach Erholung des Marktes Arbeitnehmer nach und nach gehen, die Unternehmen keine neuen Bewerbungen mehr bekommen und die alternde Belegschaft irgendwann auch nicht mehr da ist, dann wird sich nachhaltig etwas verändern.

Wie schaffen wir das?

Es ist naheliegend, Unternehmen zu überzeugen, sich gemäß den wissenschaftlichen Studien und Erkenntnissen zu verhalten, aber solange die Not nicht groß ist und kurzfristiges Handeln honoriert wird, ist es ein steiniger Weg. Es ist daher gut, wenn wir nicht müde werden, immer wieder das positive Menschenbild und eine positive Arbeitskultur zum Thema zu machen und damit zu zeigen, dass Mitarbeiterzufriedenheit und Unternehmenserfolg keine Gegensätze sind, sondern das eine das andere erst bedingt.

Was ich bei manchen Unternehmen vermisse: dass sie ihren Worten und Versprechungen Taten folgen lassen. Gerade dann, wenn der Wind ein wenig rauer wird.

Cawa Younosi

Aktuell wird viel über Werte gesprochen. Welche Werte sind aus deiner Sicht besonders wichtig und welche vermisst du in Unternehmen?

Aus Unternehmerperspektive schaue ich natürlich, welche Bewerber und Mitarbeiter am ehesten meinen Unternehmens- und Führungswerten entsprechen. Aus Bewerberperspektive wird immer wichtiger, wie die Unternehmen sich in Sachen Nachhaltigkeit, Vereinbarkeit oder Vielfalt verhalten. Was ich bei manchen Unternehmen vermisse: dass sie ihren Worten und Versprechungen Taten folgen lassen. Gerade dann, wenn der Wind ein wenig rauer wird. Auf der anderen Seite ist es nicht immer so, dass nur Unternehmen mit ausgezeichneter Unternehmenskultur erfolgreich sind und nur dort Menschen arbeiten wollen.

Hast du hierfür ein Beispiel?

Das beste Beispiel dafür ist Tesla. Hier ist es bekannt, dass die Unternehmenskultur die Mitarbeiterzufriedenheit nicht besonders in den Fokus stellt, die Mitarbeitenden aber trotzdem sehr motiviert sind, was auch mit einem gewissen Personenkult einhergeht. In der Breite allerdings werden andere Skills wie emotionale Intelligenz wichtiger.

Bezieht sich die emotionale Intelligenz auf die Führung oder auch auf künftige und aktuelle Mitarbeitende?

Emotionale Intelligenz, die erlernbar ist und nicht mit Empathie verwechselt werden darf, kann in keiner Konstellation hinderlich sein. In vielen Unternehmen gibt es nicht mehr die klassischen Hierarchien, sondern genug Positionen, wo Menschen führen müssen. Dafür braucht es diese Skills. Aber es braucht sie auch, um sich selbst zu organisieren und für Dinge einzustehen, die für einen selber wichtig sind.

Haben sich die Einstellungsstandards zu früher verändert? Ich denke da nur an den klassischen Lebenslauf. Oder geht es inzwischen auch um Social Skills?

Die erste Antwort wäre natürlich, dass man in erster Linie auf den Menschen und nicht auf die formalen Kriterien schaut. Die Realität sieht aber mitunter anders aus. Recruiter, die vielleicht eher dafür sensibel sind, entscheiden letzten Endes nicht darüber, wer eingestellt wird, sondern die Führungskräfte. Und hier fehlt oftmals das Bewusstsein über z. B. die Unconscious Bias, die eigenen Privilegien und alles rund um Chancengleichheit und Diversity. Hier müssten weit vor den Bewerbungsprozessen die Unternehmen zu diesen Themen geschult und sensibilisiert werden. Der Schwerpunkt sollte nicht nur auf Time-to-hire liegen, sondern auf der Fähigkeit, die richtigen Leute in die richtigen Positionen zu bringen. Unvoreingenommen.

Warum passiert das noch nicht?

Recruiting ist in großen Konzernen teilweise ein Massengeschäft. Da können Bewerber mit ungradlinigen Lebensläufen leicht untergehen. Da kann vielleicht ausgerechnet KI zukünftig helfen. Ein weiterer Punkt ist die faire Entlohnung, die oft nicht gegeben ist, und die Bewerber dann natürlich nach Alternativen suchen. Dann von Fachkräftemangel zu sprechen und nicht zu verstehen, dass Hygienefaktoren und eine gute Unternehmenskultur entscheidend sind, ist unangemessen.

Mit jedem Prozent, um das die Mitarbeiterzufriedenheit gestiegen ist, ist auch der Unternehmenswert deutlich gestiegen.

Cawa Younosi

Gab es in deiner Laufbahn einen entscheidenden Moment, der maßgeblich zu deiner positiven Einstellung und Haltung gegenüber Mitarbeitenden geführt hat? 

Ich habe immer versucht, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Augenhöhe zu behandeln. Seit Jahren misst z. B. SAP die Mitarbeiterzufriedenheit. Diese wird, wie zuletzt aus dem Geschäftsbericht 2019 auch zu entnehmen, den Unternehmensergebnissen gegenübergestellt. Das Ergebnis: Mit jedem Prozent, um das die Mitarbeiterzufriedenheit gestiegen ist, ist auch der Unternehmenswert deutlich gestiegen. Dafür braucht es aber keine Wissenschaft. Es braucht Teams und Rahmenbedingungen, in denen sich die Menschen angenommen fühlen und motiviert sind, was sie in der Regel immer sind. Die wichtigste Aufgabe einer Führungskraft ist, diese nicht zu demotivieren … Wenn Mitarbeiter entmündigt oder übergriffig behandelt werden, wenn ihre Freiräume eingeschränkt werden, wenn ihnen mit Misstrauen statt mit Vertrauen begegnet wird und sie dadurch in ihrem Wirkungsgrad eingeschränkt werden – damit macht man sich nicht nur als Führungskraft das Leben schwer.

Ein Tipp von dir an Führungskräfte?

Geht zunächst mit Vertrauen in Vorleistung. Begleitet von Transparenz und dem Angebot, jederzeit zur Unterstützung bereitzustehen. Ihr werdet sehen, wie viel Zeit ihr selbst gewinnt und wie die Mitarbeiter aufblühen werden.

Und was würdest du Jobsuchenden in der aktuellen Situation raten?

Niemand muss mehr darauf warten, zufällig an die richtige Person in einem Unternehmen zu geraten, sondern kann seine Sichtbarkeit selbst in die Hand nehmen. Das geht zum Beispiel, indem ich auf LinkedIn gezielt nach Führungskräften suche, deren Beiträge mit meiner Expertise kommentiere oder Netzwerkanfragen verschicke. Wenn dieser Führungskraft irgendwann deine Bewerbung vorliegt, bist du dann kein unbekanntes Gesicht mehr, sondern vielleicht der Preferred Candidate … 

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto: privat

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