Deutlich weniger Frauenstimmen

Ein Gerücht brachte Singer-Songwriterin Alin Coen dazu, einmal genau hinzuhören, was da eigentlich im Radio läuft. Mehrere Tage sah sie sich die Playlists einiger Sender an und fragte bei den Senderverantwortlichen nach.
Ein Protokoll.

„Seit Jahren höre ich immer wieder das Gerücht, dass es bei Radiostationen ein ungeschriebenes Gesetz gebe, maximal zwei Frauenstimmen nacheinander laufen zu lassen. Darüber darf und würde natürlich niemand öffentlich sprechen, sollte es stimmen.
Worauf diese Regel basiert? Es hat wohl irgendwas mit Marktforschungsstudien und Hörerbefragungen zu tun, die die Privatradios gemacht haben. 

Stimmenverhältnis 108 zu 34

Um Zahlen zu haben, habe ich mir die Playlists von drei aufeinanderfolgenden Tagen im Sommer 2020 (31. August, 1. und 2. September) angesehen. Von morgens um acht bis abends um acht. Ich habe dann ausgewertet, ob eine männliche oder weibliche Stimme singt oder ob es ein Duett ist. Dabei hab ich festgestellt, dass es einige Sender gibt, die neun Männerstimmen am Stück und nie mehr als zwei Frauenstimmen hintereinander laufen lassen. Insgesamt war es bei keinem der Sendern ein ausgeglichenes Verhältnis. Ein Beispiel: An einem Tag war das Verhältnis 108 Stücke mit Männerstimmen zu 34 Stücken mit Frauenstimmen und 18 mit gemischten Stimmen. 

„Das Radioprogramm würde nur widerspiegeln was die Musikindustrie hergibt. Aber da muss man auch sagen: Die Radiosender sind selber Teil der Musikindustrie und haben einen großen Einfluss auf die Spielregen.“

Alin Coen

Das wäre keine Absicht

Bei zwei Radiosendern habe ich nachgehakt. Als Reaktion kam eine Stellungnahme mit der Aussage: ‚Eine bewusste Benachteiligung von Frauen findet nicht statt‘. Das Gerücht, dass nur maximal zwei Frauenstimmen hintereinander laufen dürften, dementierten sie. Das sei keine Absicht, es sei auch in keinem Computerprogramm so eingestellt. 

Das Radioprogramm würde nur widerspiegeln was die Musikindustrie hergibt. Aber da muss man auch sagen: Die Radiosender sind selber Teil der Musikindustrie und haben einen großen Einfluss auf die Spielregen. 

Ein weiteres Ergebnis meiner Programmbeobachtung: An einem Tag wurden fünf verschiedene deutschsprachige Männer gespielt, aber keine einzige deutschsprachige Frau. Ich könnte sofort fünf Frauen nennen, die man alternativ spielen kann. Und auch hier ist mir über jemand von einem Major-Label zu Ohren gekommen, wie das gehandhabt wird: Wenn da schon eine Frau in der Playlist ist, die auf Deutsch singt, wird für eine zweite kein Platz gemacht.

„Rundfunk müsste Gleichstellung fördern. Das sind öffentliche Gelder. Diese öffentlichrechtlichen Radiosender haben einen Staatsvertrag, in dem drin steht, dass sie verpflichtet sind, Benachteiligungen aus der Welt zu schaffen.“

Alin Coen

Fast ausschließlich Männer

Ich habe den Radiosendern angeboten, dass wir mit ‚Music Women* Germany‘ Workshops zum Thema ‚Female Empowerment’ mit den Redaktionen machen könnten. Oder dass wir auch Vorschläge machen könnten, welche Musik sie von Frauen spielen könnten. Ich habe nie eine Antwort auf mein Angebot bekommen.

Das Problem fängt noch viel früher an: Die A&R’s, also die Leute, die auswählen, wer auf ein Label kommt, sind fast ausschließlich Männer. Es gibt kaum Frauen in A&R-Senior-Positionen in Deutschland wie auch in den Musikredaktionen von Magazinen, das sind häufig Männer, die über Platten schreiben. Es ist ja inzwischen bekannt, dass Menschen unbewusst diejenigen für kompetent halten und fördern, die ihnen selbst ähnlich sind. Männer fördern also häufig Männer.

Gleichstellung beim Rundfunk

Oft schreiben die Sänger und Sängerinnen an den Songs, die sie singen, mit. Das bedeutet also auch einen finanziellen Unterschied, wenn weniger Sängerinnen gespielt werden. Denn GEMA-Einnahmen für die Radioplays kriegen nur diejenigen, die den Song mitgeschrieben haben. 

Rundfunk müsste Gleichstellung fördern. Das sind öffentliche Gelder. Diese öffentlich-rechtlichen Radiosender haben einen Staatsvertrag, in dem drin steht, dass sie verpflichtet sind, Benachteiligungen aus der Welt zu schaffen.

Es wäre an der Zeit, das umzusetzen.“ —

Alin Coen studierte Infrastruktur und Umwelt und Land- und Wassermanagement. Seit 2007 ist sie als Musikerin unterwegs. Im Sommer 2020 erschien das Album „Nah“. Alin ist außerdem Gründungsmitglied der „Music Women* Germany“, die sich für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Musikbranche
einsetzt.

Hinweis: Dieser Text erschien erstmals im femMit-Magazin 1/2021

Bild: Sandra Ludewig

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