Faule Mütter – fleißige Väter? 

Wie Sprache unser Denken über Fürsorgearbeit beeinflusst

Egal, ob wir uns „politisch korrekt“ oder frei Schnauze unterhalten – mit Worten zeigen wir unser Urteil über die Welt. Und wir beeinflussen das Urteil anderer. Aber was genau geschieht, wenn wir Menschen sprachlich zu Gruppen zusammenfassen? Welche Folgen hat das für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen? Und ganz konkret für die Verteilung der Aufgaben zwischen uns?

von Sarah Zöllner

Im Herbst 2023 äußerte Bundesfinanzminister Lindner in einer Pressekonferenz, Alleinerziehende bräuchten „finanzielle Anreize“, die sie zur Erwerbstätigkeit ermutigten. Autsch: ausgerechnet Alleinerziehende, in über 80 Prozent der Fälle Mütter, die aufgrund der schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf ohnehin schon stark belastet sind. Fami­lienministerin Paus ließ das Statement unkommentiert. Stattdessen veröffentlichten kurz darauf mehrere Alleinerziehendenverbände einen offenen Brief, in dem sie Lindners Aussagen als falsch und diskriminierend bezeichneten. Der Bundesfinanzminister rücke damit alleinerziehende Mütter und Väter in ein schlechtes Licht.

Die Art, wie wir über Sach­verhalte reden, ­beeinflusst, wie wir sie wahrnehmen und uns zu ihnen positionieren. 
Sarah Zöllner

Spätestens hier wird klar: Sprache hat das Potenzial, Fronten zu schaffen. Die Art, wie wir über Sachverhalte reden, beeinflusst, wie wir sie wahrnehmen und uns zu ihnen positionieren. Lindner wertete die Leistung Alleinerziehender in seinem Statement ab und erhielt (zum Glück) entsprechend Gegenwind – im Alltag werten wir jedoch häufig ganz nebenbei die täglich erbrachte Leistung von Müttern und Vätern ab oder sprechen als Paar aneinander vorbei. 

Wer über Care-Arbeit spricht, hat davon oft keine Ahnung

Dazu kommt, dass in vielen Fällen Menschen öffentlich über Fürsorgearbeit sprechen, die gar nicht für andere sorgen. Gerade Müttern mit kleinen Kindern fehlt oft Zeit und Energie, sich neben 12–14 Stunden Erwerbs- und Care-Arbeit auch noch (familien-)politisch zu engagieren. Stattdessen sitzen auf Podien und in Entscheidungsgremien die immer gleichen Menschen: überwiegend weiß, überwiegend männlich und häufig kinderlos oder altersbedingt mit schon erwachsenen Kindern. Sie sind nicht mehr nah am „Klein-Klein“ der täglichen Sorgearbeit – oder waren es nie.

Daraus ergibt sich eine traurige Logik: Wer für andere sorgt, gestaltet den öffentlichen Diskurs über Sorgearbeit nur am Rande mit. Dieser Umstand hat Folgen auf struktureller wie individueller Ebene. Denn worüber wir öffentlich sprechen, das wird tendenziell auch zum Politikum. Und wie wir über Dinge sprechen, schafft den kulturellen Rahmen, innerhalb dessen politische Entscheidungen getroffen werden. Das wiederum hat Einfluss auf unser persönliches Leben.

Historisch belastete Begriffe wie 
„Haus- oder Karrierefrau“ sollen 
hinterfragt und Frauen nicht mehr nur „mit gemeint“ werden, indem die 
männliche Form als sprachlicher
 Standard verwendet wird. 
Sarah Zöllner

Geschlechtergerechte Sprache – Hype oder Hilfe?

Wie lässt sich das besser machen? In Deutschland beschäftigten sich bereits in den 1980er-Jahren Luise F. Pusch und Senta Trömel-Plötz mit Geschlechterstereotypen in der Sprache. 1984 erschien Puschs Werk „Das Deutsche als Männersprache“, mittlerweile ein Klassiker feministischer Sprachforschung. Gendern und geschlechtergerechte Sprache folgten, beides bis heute vor allem in konservativen Kreisen höchst umstritten. Der Gedanke dahinter: Historisch belastete Begriffe wie „Haus- oder Karrierefrau“ sollen hinterfragt und Frauen nicht mehr nur „mit gemeint“ werden, indem die männliche Form als sprachlicher Standard verwendet wird.

Ein weiterer Ansatz, diskriminierende Äußerungen zu entlarven, ist ihre Persiflierung und Verkehrung ins Gegenteil. Sehr unterhaltsam macht das die Instagram-Seite @seiten.verkehrt mit mittlerweile rund 100.000 Followerinnen und Followern. Sei es die „Bürostute“, die ihren Job liebt und nur selten den Schreibtisch verlässt, der Vatertag, an dem den Vätern „mit einem neuen Staubsauger und Nagelpilz-Creme für 100 Stunden unbezahlte Care-Arbeit“ gedankt wird, oder der „Rabenvater“, der auf Kosten seiner Kinder die Karriere verfolgt – die wöchentlichen Postings machen auf die dahinterstehenden sexistischen Strukturen aufmerksam. Lustig? Ja. Aber so, dass das Lachen im Halse stecken bleibt.

Was ist unser Fokus, wenn wir über Dinge sprechen?

Darüber hinaus können wir entscheiden: Welche inhaltlichen Schwerpunkte setzen wir, wenn wir über Dinge sprechen? Betonen wir, dass Väter, rund 15 Jahre nach der Reformierung von Elterngeld und Elternzeit im Jahr 2007, im Durchschnitt bundesweit noch immer „nur“ maximal drei bis vier Monate in Elternzeit gehen? Oder heben wir hervor, dass sie es überhaupt tun und fragen, was es braucht, damit noch mehr Väter diese Entscheidung treffen? Stellen wir Frauen – und erst recht Mütter – in hohen beruflichen Positionen immer wieder als (bewundernswerte) Ausnahmeerscheinung dar, oder fangen wir an, diesen Lebensentwurf als einen möglichen Weg wahrzunehmen und schaffen die Rahmenbedingungen, dass Frauen tatsächlich die Wahl haben, ihn zu gehen oder auch nicht?

Es ist schlicht bequemer, an dem, was ist, festzuhalten, es fordert kein Umdenken und belässt Macht und Entscheidungsgewalt bei denen, die sie ungern freiwillig abgeben. 
Sarah Zöllner

Damit Strukturen aufbrechen und Frauen und Männer gleichberechtigt aufeinandertreffen können, braucht es ein gesellschaftliches Klima, das Männern erlaubt, fürsorglich, bedürftig, weich und gemeinschaftsorientiert zu sein. Und Frauen, durchsetzungsstark und in gesunder Weise auf sich bezogen. Und es braucht Gesetze und Vorgaben, die Männern und Frauen echte Wahlmöglichkeit schaffen. Was uns daran hindert, Gleichberechtigung sprachlich und strukturell konsequent umzusetzen? Es ist schlicht bequemer, an dem, was ist, festzuhalten, es fordert kein Umdenken und belässt Macht und Entscheidungsgewalt bei denen, die sie ungern freiwillig abgeben. Gleichberechtigung und soziale Fairness sind weder ein Männer- noch ein Frauenthema. Als „Menschenthema“ sind sie für alle wichtig. Die Art, wie wir über Männer und Frauen, Mütter und Väter und die Arbeit, die sie leisten, sprechen, ist ein Schritt, unsere Gesellschaft zu verändern. —

Foto: AdobeStock / New Africa

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