Ein gefestigtes strukturelles Männernetzwerk
Sachsen gehört bundesweit zum Schlusslicht, wenn es um die Repräsentation von Frauen in der Politik geht. Besonders in der Kommunalpolitik zeigt sich ein eklatantes Missverhältnis: Trotz eines leichten Anstiegs bei den Kommunalwahlen 2024 liegt der Frauenanteil mit rund 20 Prozent immer noch deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Eine neue Studie zeigt nun unmissverständlich, welche Barrieren Frauen den Zugang zur Kommunalpolitik erschweren – und was sich dringend ändern muss.
Text: Romina Stawowy
Im Sächsischen Landtag beträgt der Frauenanteil in der laufenden 8. Wahlperiode nur 27,5 Prozent – noch weniger als zuvor. Damit liegt Sachsen weit unter dem Bundesdurchschnitt von 33,2 Prozent. Nur Bayern schneidet mit 24,6 Prozent noch schlechter ab. Auf kommunaler Ebene sieht es nicht besser aus: Der Frauenanteil lag in der letzten Legislaturperiode bei mageren 20 Prozent. Trotz eines leichten Zuwachses im Jahr 2024 bleibt Sachsen, zusammen mit Sachsen-Anhalt, beim Thema Frauenbeteiligung im unteren Bereich.
Die neue Studie „Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik in Sachsen“ der EAF Berlin beleuchtet ein männerdominiertes System, das Frauen systematisch ausschließt. Frauen stellen 50,8 Prozent der sächsischen Bevölkerung, aber nur 20 Prozent der Sitze in den Kommunalparlamenten – ein Missverhältnis, das die demokratische Legitimation ernsthaft in Frage stellt. Das Problem liegt aber tiefer: Kommunalpolitik muss man sich leisten können – zeitlich, finanziell und emotional. Ohne starkes Selbstbewusstsein, Pragmatismus und ein dickes Fell ist es für Frauen fast unmöglich, sich in diesem Umfeld durchzusetzen.
Die Studie, die zwischen Oktober 2023 und März 2024 insgesamt 89 Frauen aus Sachsen in Einzelinterviews und Fokusgruppen befragte, legt die strukturellen Hindernisse schonungslos offen. Frauen müssen sich in einem festgefahrenen System behaupten, das von männlichen Netzwerken dominiert wird. „Wenn man sich das Bundesland Sachsen anschaut, das ist alles schon sehr traditionell, seit 25 Jahren sehr eingefahren und strukturell, ich sage mal, gefestigt. Also ein gefestigtes strukturelles Männernetzwerk. Die bleiben sehr gerne unter sich“, beschreibt eine Stadträtin (53) die Situation. Diese Netzwerke blockieren den Zugang von Frauen – und erschweren deren langfristige Beteiligung.
Der schwierige Einstieg
Für viele Frauen ist der Weg in die Kommunalpolitik ein steiniger. Oft beginnt ihr Engagement im zivilgesellschaftlichen Bereich – sei es in Elternbeiräten, Vereinen oder sozialen Projekten. So zeigte eine repräsentative Befragung von Stadt- und Gemeinderätinnen in Deutschland, dass 86 Prozent der Frauen schon vor der Übernahme eines kommunalpolitischen Mandats in Vereinen, Verbänden oder Parteien ehrenamtlich engagiert waren. Dennoch: Der erste Kontakt mit der Politik gleicht für viele einem Sprung ins kalte Wasser: „Der CDU sind die männlichen Kandidaten ausgegangen. Und da kamen sie dann zu mir und haben eben gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte“, erzählt eine Bürgermeisterin.
Doch die persönliche Ansprache allein reicht nicht aus. Frauen, die sich längerfristig in der Kommunalpolitik engagieren, müssen über entscheidende persönliche Ressourcen verfügen. Kommunalpolitisches Engagement muss man sich leisten können – zeitlich, finanziell und auch im Hinblick auf das eigene Persönlichkeitsprofil. Ein starkes Selbstbewusstsein, Pragmatismus, Belastbarkeit und ein „dickes Fell“ sind unabdingbar, um den Herausforderungen dieser Arbeit gewachsen zu sein. Vor allem Selbstbewusstsein wird von vielen Frauen in der Studie als Schlüsselfaktor genannt. Erfahrungen in Führungsrollen, sei es beruflich oder zivilgesellschaftlich, helfen den Frauen, das nötige Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln.
Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen scheint es jedoch für introvertierte Menschen oder Menschen mit neurologischen Erkrankungen oder traumatischen Erfahrungen besonders schwierig zu sein, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren. Diese Barrieren führen dazu, dass wichtige Perspektiven fehlen, was den Handlungsbedarf zusätzlich unterstreicht. Für die Frauen, die sich engagieren, ist das Gefühl der Wirksamkeit ein zentraler Motivationsfaktor: Mit ihrer Arbeit etwas zum Positiven zu verändern, gibt ihnen die Kraft, trotz der oft schwierigen und herausfordernden Rahmenbedingungen weiterzumachen. So berichtet eine Stadträtin (57): „Wenn man dann das Krankenhaus retten kann, nur weil man da ist, das ist schon eine coole Aktion gewesen. Da waren die Insolvenzverwalter da und so weiter, und das haben wir in einer Sitzung kippen können.“
Trotz des persönlichen Einsatzes stehen viele Frauen vor weiteren Hindernissen, die den Zugang zur Politik erschweren. Besonders die Vereinbarkeit von politischem Engagement mit Beruf und Familie sowie der Zugang zu wichtigen Netzwerken sind ausschlaggebend für eine langfristige Beteiligung in der Kommunalpolitik.
Vereinbarkeit und Netzwerke
Die Studie macht deutlich: Frauen, die sich politisch engagieren, stoßen immer wieder auf dieselben strukturellen Barrieren. Die größte ist die Vereinbarkeit von politischem Engagement, Beruf und Familie. Lange Sitzungen, oft bis spät in die Nacht, machen eine Beteiligung für Frauen fast unmöglich. „Stadtratssitzungen dauern fünf Stunden, manchmal sogar sechs. Und ich habe einen Arbeitstag von acht Stunden hinter mir. Das ist schlicht eine Zumutung,“ kritisiert eine Stadträtin (52). Wenn Menschen in der Politik übermüdet abends um 21 Uhr noch Entscheidungen treffen sollen, leidet die Qualität.
Neben diesen formellen Hürden gibt es auch inoffizielle: Männernetzwerke. Viele Entscheidungen werden nicht in den offiziellen Sitzungen getroffen, sondern in inoffiziellen, männlich geprägten Runden – beim berühmten Bier unter Männern. Frauen, insbesondere diejenigen ohne langjährige politische Erfahrung, werden oft ausgeschlossen. „Ich weiß aber, dass es einen Männerstammtisch gibt, wo die FLINTA-Personen nicht gefragt werden, wo sich die Männer nach dem Stadtbezirksbeirat dann treffen und zusammen ein Bier trinken gehen,“ beschreibt eine Stadtbezirksrätin (32) ihre Erfahrung. Eine Bürgermeisterin schildert: „Es ist ganz schwer, sich als Frau in der Männerwelt zu behaupten. Und das fängt an, wenn man sich die Gremien anguckt, wie viele Frauen und wie viele Männer sitzen dort. Der Gemeinderat damals – da waren enge Freunde des alten Bürgermeisters, der mit mir abgewählt wurde. Also das war ein schweres Leben, das muss ich so sagen.“
Sexismus im politischen Alltag
Fast alle befragten Politikerinnen berichten von Erfahrungen mit Sexismus in der kommunalpolitischen Arbeit. Diese sexistischen Erfahrungen reichen von subtilen Herabsetzungen bis hin zu expliziten Beleidigungen und Bedrohungen.
Für viele Frauen gehört offener Sexismus längst zum Alltag – sei es in Form degradierender Kommentare über ihr Aussehen oder ihrer Kleidung. Solche Angriffe sind nicht nur beleidigend, sondern tief entwürdigend und untergraben aktiv das Vertrauen in ihre politische Arbeit. „Also bei uns passiert das auch im Stadtrat häufig. Tatsächlich auch in den Reden. […] Also, wirklich so ganz schlimm unter der Gürtellinie. Der hat gesagt: ‚dumme F***‘. Sie hatte um Ruhe gebeten. Und da dreht sich der eine um und sagt ihr: ‚Du hast gar nichts zu sagen‘,“ berichtet eine Stadträtin (55) aus einer kreisfreien Stadt. Solche Angriffe erschüttern nicht nur das Vertrauen in die politische Arbeit, sondern führen auch zu einer tiefen psychischen Belastung.
Diese Angriffe bleiben oft nicht auf den politischen Raum beschränkt. Im digitalen Raum, vor allem in den sozialen Medien, erleben viele Frauen zunehmende Belästigung und Bedrohungen. „Ich bekomme selbstverständlich auch Briefe, anonyme und selbst mit Unterschriften, die ich zur Anzeige bringe. Das passiert leider regelmäßig. Das macht auch was mit einem. […] Und wenn du nach Hause kommst, du guckst dich dreimal um, ob jemand im Grundstück mit steht. Das hat in den letzten fünf Jahren schon was mit einem gemacht,“ berichtet eine Bürgermeisterin aus einer ländlichen Gemeinde.
Diese ständige Bedrohung hinterlässt Spuren – nicht nur bei den betroffenen Frauen, sondern oft auch bei ihren Familien und ihrem Umfeld. Die psychische Belastung, ständig auf der Hut sein zu müssen und Angst um das eigene Wohl und das der Liebsten zu haben, ist enorm. Frauen, die sich politisch engagieren, müssen somit nicht nur gegen Sexismus im politischen Alltag ankämpfen, sondern auch die langfristigen emotionalen Auswirkungen bewältigen.
Mentoring und Netzwerke
Um die Hürden in der Kommunalpolitik zu überwinden, sind Netzwerke und Mentoring-Programme unerlässlich. Frauen, die Zugang zu solchen Programmen haben, sind besser gerüstet, um sich in der Politik zu behaupten. „Je mehr role models man hat, desto mehr fühlt man sich vertreten,“ sagt eine Teilnehmerin. Diese Netzwerke stärken das Selbstbewusstsein und machen Frauen politisch sichtbar.
Eine wichtige Rolle spielt auch das private Umfeld. Viele Frauen berichten, dass die Unterstützung des Partners entscheidend ist, um politisch aktiv bleiben zu können. „Die Kontakte, die man knüpft, helfen ungemein“, erklärt eine Stadträtin (40). Frauen ohne familiären Rückhalt, insbesondere Alleinerziehende, haben es oft ungleich schwerer.
Empfehlungen zur Stärkung der Teilhabe
Auf der Grundlage der gesammelten Erfahrungen und Interviews gibt die Studie klare Empfehlungen, wie die Partizipation von Frauen in der Kommunalpolitik gestärkt werden kann. Ein zentraler Punkt ist die Schaffung von institutionellen Rahmenbedingungen, die es Frauen ermöglichen, politische Mandate auszuüben, ohne dass sie mit familiären oder beruflichen Verpflichtungen in Konkurrenz stehen. Flexible Sitzungszeiten und die Möglichkeit von hybriden Sitzungen sind nur zwei der vorgeschlagenen Maßnahmen, um Frauen mit Betreuungspflichten oder langen Arbeitszeiten die politische Teilhabe zu erleichtern.
Darüber hinaus müssen finanzielle Anreize und Unterstützungsangebote geschaffen werden, um Frauen in finanziell prekären Situationen die Teilnahme an der Politik zu ermöglichen. „Wenn man sich politisch engagiert, kann man weniger Geld erwirtschaften und die Erwerbsarbeit leidet darunter. Aber ich als Alleinerziehende muss einfach jede Stunde, die ich arbeiten kann, auch arbeiten,“ erklärt eine Kommunalpolitikerin. Diese Maßnahmen würden vor allem Frauen aus bildungsfernen Schichten, Alleinerziehenden oder Geringverdienerinnen den Weg in die Politik ebnen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Stärkung von Netzwerken und Mentoring-Programmen. Parteien müssen aktiv daran arbeiten, geschlechtergerechte Strukturen zu schaffen und Frauen durch Empowerment-Programme in ihrer politischen Laufbahn zu unterstützen. Verbindliche Quotenregelungen, wie sie in einigen Parteien bereits existieren, sollten weiter ausgebaut werden, um den Anteil von Frauen auf Wahllisten und in politischen Ämtern nachhaltig zu erhöhen.
Für eine starke Demokratie
Frauen stellen mehr als die Hälfte der Bevölkerung, doch ihre Stimme bleibt in der Kommunalpolitik weitgehend ungehört. Die Studie zeigt: Das ist kein Zugangs-, sondern ein Strukturproblem. Ohne entschiedene Maßnahmen wird die Kommunalpolitik nicht die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln. „Jede Frau, die auf politisches Engagement verzichtet, obwohl sie es sich zutraut, schwächt unsere Demokratie“, warnt Katja Meier, Sächsische Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung. Es liegt nun an den politischen Akteuren, diese Erkenntnisse in die Tat umzusetzen. –
Bilder: Studie „Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik in Sachsen„
Titelbild: Adobestock/Denys