21 Kinder haben keine Mutter mehr
Alejandra Gallo ist Journalistin und Wirtschaftswissenschaftlerin in Argentinien. Sie wohnt in Buenos Aires. Im femMit-Magazin 1/2020 hat sie uns Fragen zur aktuellen Situation rund um COVID-19 in Argentinien und der Rolle der Frauen und Kinder in dieser Krise beantwortet. Jetzt im Februar 2021, ein halbes Jahr später, haben wir Alejandra Gallo noch einmal gefragt.
Übersetzung: Kristin Wesemann
Wie ist die aktuelle Situation in Ihrem Land mit Blick auf Covid-19?
„Argentinien hat das Jahr 2021 leider mit einer schlechten Nachricht begonnen. Wir gehören jetzt zu den 11 Ländern mit den meisten Infizierten im Verhältnis zu unserer Einwohnerzahl. Ende Januar betrug die Zahl 1,9 Millionen, wir hatten 46.000 Tote. In Argentinien leben 40 Millionen Menschen. Und das, obwohl wir die längste “Quarantäne” der Welt erlebt haben. Unser Impfplan hält nur ein einziges Vakzin bereit: das russische Sputnik V, weniger als 1 Million Menschen wurde es bisher verabreicht. Die Regierung von Alberto Fernández hatte uns 20 Millionen Impungen bis April versprochen.“
Wie ist die Situation für Frauen?
„Frauen und Kinder sind diejenigen, die am meisten leiden. Die lange Quarantäne, also die obligatorische Isolierung, dauerte von März bis November 2020. Es gab weder Schulunterricht noch waren soziale Kontakte erlaubt. Das hat uns Frauen überfordert. Der Rat für Wirtschaft und Soziales der Stadt Buenos Aires hält folgende Zahl bereit: 97,8 Prozent der Frauen in unsere Hauptstadt sagen, dass die Pandemie ihr Leben umgekrempelt hat. Sieben von zehn Frauen sagen, dass sie Probleme haben, Beruf und Familie zu vereinbaren. Zudem hat die Ungleichheit im Bildungssystem zugenommen. Gerade arme Menschen haben keinen Zugang zur notwendigen Technik und können die Kosten etwa für das Internet nicht tragen. Das aber brauchen die Kinder, um wenigstens etwas Online-Unterricht mitzumachen. Viele Frauen konnten auch kein Geld mehr verdienen, etwa als Hausangestellte, weil sie diesen Tätigkeiten in der Zeit der sozialen Isolation nicht mehr nachgehen durften. Unsere Wirtschaft ist paralysiert. Sowohl das Weltwirschaftsforum in Davos als auch die G20 sagen, dass Argentinien innerhalb dieser Ländergruppen das Land sein wird, dass den größten ökonomischen Zusammenbruch zu verzeichnen hat. Hinzu kommt, dass wir schon vor der Krise in einer gewaltigen Rezession gesteckt haben.“
Glauben Sie, dass die Gleichberechtigung durch die Pandemie leidet?
„Auf jeden Fall. Die Pandemie hat gezeigt, wie groß die Lücke zwischen Frauen und Männern ohnehin schon war, jetzt sehen wir das noch deutlicher. Die Gleichzeitigkeit von Telearbeit und Homeschooling hat Frauen, Mütter, Arbeitnehmerinnen aller Altersgruppen an ihre Grenzen gebracht. Umfragen und Untersuchung wie die des Nationalen Rates für Wissenschaft und Technik bestätigen das: Viele Frauen können nicht mehr. Zudem ist die Zahl der Frauen, die von ihren Männern ermordet wurde, brutal angestiegen. Allein im Januar gab es 23 Femicidios, wie wir diese Morde an Frauen nennen. 21 weitere Kinder haben nun keine Mutter mehr.“
Alejandra Gallo ist Journalistin und Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie moderiert eigenen Radiosendungen und ist Kolumnistin für zahlreichen Zeitungen. Ihr Spezialgebiet ist die Wirtschaft. Sie gehört dem Netzwerk humanistischer Frauen in Lateinamerika an.