Ein Spiegel der gesellschaftlichen Machtverhältnisse

Das Patriarchat ist Designer unserer Umwelt. Warum das so ist, wie sich das auswirkt und wie sich etwas verändern kann, beschreibt Autorin Rebekka Endler im Interview mit femMit.

Wem gehört der öffentliche Raum? 

In der Theorie allen Menschen. Allerdings sind nicht alle gleichermaßen überall willkommen. Denken wir an Hostile Architecture, das sind z. B. Bänke, die so unbequem sind, dass Menschen dort nur kurz verweilen können, oder Spikes, die angeblich Flächen vor Taubendreck schützen, aber in der Praxis obdachlose Menschen davon abhalten, sich dort niederzulassen. Wir bestimmen über Infrastruktur, wer erwünscht ist und wer nicht. Wer gesellschaftliche Teilhabe hat und wer nicht. Wessen Fortkommen wir erleichtern wollen und wessen Fortkommen uns egal ist. Bordsteinkanten sind da auch ein gutes Beispiel, denn vielerorts sind sie an Einfahrten abgesenkt, sodass ein Auto bequem durchfahren kann, aber an Kreuzungen fehlt die Absenkung, sodass Menschen, die eine Gehhilfe oder einen Rollstuhl benutzen, und Menschen, die einen Kinderwagen schieben, ein unnötiges Hindernis nehmen müssen.

Warum ist das so? 

Diese beiden Beispiele zeigen, dass Entscheidungsträger*innen für die Gestaltung des öffentlichen Raumes sich selbst als Norm genommen haben. Deswegen funktioniert er auch als Spiegel für gesellschaftliche Machtverhältnisse so gut. Ein langsamer Wandel lässt sich ablesen: Der Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln wird barrierefreier (viel zu langsam, aber ein Bewusstsein dafür scheint da zu sein). In Neubausiedlungen wird nicht mehr nur für Autos der Bordstein abgesenkt und die Namen der Straßen dort verweisen nicht mehr bloß auf deutsche, alte, weiße Männer, sondern tragen Namen von Frauen und anderen marginalisierten Personen, denen wir Gedenken wollen.

„Was es braucht, ist ein Umdenken, pinkeln auch endlich als politisches Thema zu begreifen.“

Rebekka Endler

Du schreibst über öffentliche Toiletten, was hat es damit auf sich?

All das Gesagte lässt sich ganz einfach anhand der Frage „Wer darf wo pieseln?” beantworten, denn obwohl wir alle mehrmals am Tag pinkeln müssen, könnten die Möglichkeiten, dies im öffentlichen Raum zu tun, nicht unterschiedlicher sein. Zum einen sind da die langen Schlangen vor der Frauentoilette, ganz egal, ob ich auf einem Festival, im Kino, oder in die Oper gehe – sobald haufenweise Menschen an einem Ort sind, stehen wir an. Das liegt zum einen daran, dass auf die gleiche Grundfläche weniger Sitzklos passen, als Pissoirs. Auch brauchen wir zum Entkleiden und für Menstruations-Aktionen mehr Zeit und müssen auch durchschnittlich häufiger, wegen Schwangerschaften, Blasenentzündungen etc. Alles in allem bräuchten wir mehr Toiletten. Nun ist das Verhältnis von Pinkelmöglichkeiten aber genau umgekehrt, es gibt mehr für cis Männer. Das ist seit Ende des 19. Jahrhunderts so, als öffentliche Bedürfnisanstalten nur besonders wichtigen Personen des öffentlichen Lebens vorbehalten waren. Also Männern. Die Tatsache, dass sie wildpinkeln können und es auch tun, hat ihnen eine Vielzahl von öffentlichen Pissoirs eingebracht, wohingegen vielerorts die Benutzung einer Sitztoilette Geld kostet.

Ist es mit gleichberechtigtem Pinkeln getan?

Na ja, wie definieren wir beim Pinkeln „gleichberechtigt”? Ist eine gleiche Anzahl von Klos gleichberechtigt? Ist Pinkeln für alle kostenlos gleichberechtigt? Was es braucht, ist ein Umdenken, pinkeln auch endlich als politisches Thema zu begreifen. Das bedeutet auch das Design von öffentlichen Pinkelmöglichkeiten zu überdenken, denn für Menschen mit Vulva ist das herkömmliche Sitzklo wenig sinnvoll. Wer kann, vermeidet den Körperkontakt zum Porzellan vollkommen und veranstaltet so nicht selten eine Sauerei. Unterschiedliche Designs, die je nachdem, ob ein Mensch Penis oder Vulva hat, je nachdem, ob ein Mensch able-bodied ist, oder nicht eine sichere, hygienische und kostenlose Möglichkeit der Blasenentleerung bietet, und zwar so verbreitet, wie ein Supermarkt, wäre meine Utopie des gleichberechtigten Pinkelns. 

Buchtipp!
In „Das Patriarchat der Dinge“ beschreibt Rebekka Endler anhand vieler Beispiele, dass das am Mann ausgerichtete Design, das uns überall umgibt, Frauen nicht nur ausschließt, sondern für sie auch lebensgefährlich sein kann.

Gibt es schon positive Vorbilder / Städte?

Es gibt immer wieder Personen, die das Problem von der praktischen Seite, also der Design-Seite angehen und Pissoirs für Menschen mit Vulva entwerfen. Auf dem Tempelhofer Feld in Berlin ist beispielsweise gerade so eins eröffnet worden. Das ist super. Das Problem ist allerdings ein strukturelles und solange es als solches nicht erkannt und auch in der Politik diskutiert wird, bleibt der gesellschaftliche Wandel aus. Diese Designs sind dann kuriose Attraktionen über die mal in der Zeitung berichtet wird und die lokal Abhilfe verschaffen, mehr aber leider nicht.

Was kann jede:r selbst tun, um dazu beizutragen, dass die Welt für alle passender wird?

Bei vielen Dingen ist es im Moment noch so, dass ich als Konsument*in, Patient*in, Bürger* in Spezialwissen brauche, um fundierte Kritik zu üben und zu sagen: Das passt mir nicht aus den und den Gründen. Ich fordere dies und das. Das ist sehr viel von Privatpersonen verlangt. Der Staat hat dafür Sorge zu tragen, dass keine Diskriminierung auf Grundlage des Geschlechts stattfindet, wie es das Grundgesetz vorgibt. Und bis das nicht durchgesetzt ist, bleibt nur Aktivismus und wählen gehen. —

Foto: Frederike Wetzels

Hinweis: Dieser Text erschien erstmals in femMit Ausgabe 3

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