Frauen sind brillante Botschafterinnen. Just go for it!
Botschafterin – was macht so jemand eigentlich den ganzen Tag, welche Ausbildung wird dafür gebraucht und wie oft muss man für den Job umziehen? Antworten auf diese und weitere Fragen konnten sich Ende Mai 20 junge Frauen bei Jill Gallard abholen. Die britische Botschafterin hat das Programm „Ambassador for a day“ initiiert und bietet damit engagierten Jugendlichen die Chance, exklusive Einblicke in den Alltag einer Diplomatin zu bekommen. Gleichzeitig präsentiert die Britin mit dem Programm Unternehmen und Institutionen, wie heutzutage nachhaltig und kreativ Kontakte zu potenziellen Nachwuchskräften aufgebaut werden können – lange bevor die mit der Berufsausbildung beginnen.
Text: Katalin Valeš
Die Idee: Kontaktaufnahme & Zielgruppe erreichen
Lernen funktioniert heute stärker denn je über das Prinzip: Selbst erleben ist besser, als Texte darüber lesen. Für den Schnuppertag in der Britischen Botschaft in Berlin wurden Mädchen und junge Frauen mit Wohnsitz in Deutschland im Rahmen eines Wettbewerbs aufgerufen, Themen vorzuschlagen, die sie auf die Tagesordnung setzen würden, wenn sie einen Tag lang mit der britischen Botschafterin tauschen könnten. Eine Idee, die sich auf andere Einrichtungen übertragen lässt. Für Jill Gallard ist das Programm „Ambassador for a day“ mit dem besonderen Focus auf jungen Frauen ein Herzensprojekt: „Als erste Frau als britische Botschafterin in Deutschland ist es sehr wichtig, junge, weibliche Talente zu ermutigen. Wir haben hier junge Frauen aus ganz Deutschland, um heute hier und im Auswärtigen Amt Diversity zu feiern.“ Die Themen, mit denen sich die jungen Frauen beworben haben, findet sie spannend und inspirierend.
Eingereicht wurden Videos, Essays und sogar Gedichte. Unter allen Einsendungen wurden 20 ausgesucht, die besonders beeindruckten – die ausgezeichneten Beiträge thematisierten zum Beispiel Chancengleichheit, Mentale Gesundheit, Klimawandel oder Bildung. Die Gewinnerinnen durften dann nach Berlin reisen und Jill Gallard einen Tag lang auf Termine begleiten – inklusive Fotoshooting beim Profi-Fotografen, der sonst Polit-Größen wie Annalena Baerbock oder Heiko Maaß ablichtet. Außerdem gab es eine Führung durch die britische Botschaft. In einer Fragerunde im Auswärtigen Amt durften die Teilnehmerinnen der Menschenrechtsbeauftragten Louise Amtsberg, der Bundesregierung und Botschafterin Jill Gallard Fragen stellen sowie Mitarbeiterinnen des diplomatischen Dienstes kennenlernen. Insider-Einblicke bekamen die angehenden Diplomatinnen am Nachmittag bei zwei Workshops mit Profis aus der Britischen Botschaft. Zwischen all den Programmpunkten gab es dann noch genug Zeit zum Netzwerken. Der krönende Abschluss des Tages war die Gartenparty anlässlich des Queen-Geburtstages und des Platin-Thronjubiläums in der Residenz der Botschafterin im Berliner Nobelkiez Grunewald mit 850 geladenen Gästen – unter ihnen Verlegerin Friede Springer, Sänger Max Rabe, Journalist Theo Knoll und vielen wichtigen Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft und Politik. Ihre Lektion des Tages: „Eine Botschafterin ist immer im Dienst. Viele Mahlzeiten werden verknüpft mit Terminen. Privatleben? Eher selten in diesem Job.“ Aber dafür wird es sicher niemals langweilig.
Jugendliche motivieren, sich mit Themen des potenziellen Arbeitgebers zu befassen
Die 16-Jährige Valerie hat sich mit einem Beitrag zu „Gender & Equality“ für den Schnuppertag in der Botschaft beworben und damit überzeugt: „Ich finde, so viele Probleme auf dieser Welt entstammen aus dieser Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Wenn ich für einen Tag Botschafterin wäre, würde ich das auf jeden Fall angehen.“ Dass den gesamten Tag über Englisch gesprochen wird, stört sie nicht, im Gegenteil, denn sie hat 14 Jahre in England gelebt. Auch andere Teilnehmerinnen haben einige Zeit im Ausland verbracht, einige aufgrund der Jobs der Eltern, andere aufgrund von Austauschschuljahren. Dass Englisch gesprochen wird, auch beim Smalltalk in der Pause, finden daher alle gut.
Für Janice wird der Besuch in der britischen Botschaft wohl lange in Erinnerung bleiben: Denn ausgerechnet am Schnuppertag hatte sie ihren 18. Geburtstag. Das Team der Britischen Botschaft sang ihr ein herzliches Ständchen und feierte sie. Doch trotz lockerer Atmosphäre, lag manchmal auch leichte Anspannung in der Luft: „Ich habe mir viele Fragen überlegt und hoffe, dass sie mir auch gleich einfallen,“ ist von mehreren der Teilnehmerinnen auf den Weg in das Auswärtige Amt zu hören.
Das besondere für jungen Frauen: Hier auf Gleichgesinnte zu treffen. „Es ist toll mit Leuten so einen Tag zu erleben, die sich genau wie ich für diese Themen interessieren. Das ist schon anders, als bei einer Klassenfahrt“, erzählt Ronja. Sie hat sich mit einem Essay über Gewalt gegen Frauen für das Programm beworben und konkrete Vorschläge gemacht, wie für das Thema sensibilisiert werden kann: „Zum Beispiel dachte ich an Workshops mit britischen und deutschen Künstler:innen und Betroffenen, die zusammenkommen können, um gemeinsam an kreativen Projekten zu arbeiten. Die Ergebnisse könnten in einer Berliner Galerie ausgestellt werden und auch digital erlebbar gemacht werden.“
Für die 18-Jährige Una war das Thema Klimaschutz das Ticket in die britische Botschaft. Sie hat sich gefragt, was Diplomatie in diesem Bereich zu tun kann. Im Auswärtigen Amt zeigt Una am Einlass einen amerikanischen Pass vor. Die anderen schauen interessiert die bunten Bilder und Symbole an – „Es ist wie eine Mini-Werbebroschüre für die Vereinigten Staaten“, lacht Una. Sie ist im Rahmen eines Schulprogramms zum Thema „Frieden und Nachhaltigkeit“ nach Deutschland gezogen. Wie die anderen Teilnehmerinnen hier, schätz sie das internationale Flair dieses Tages. Und auch diejenigen, ohne Auslandserfahrungen fühlen sich wohl.
Weibliche Perspektiven in ehemaligen Männerdomänen
Echte Kontakte und Gespräche bleiben in Erinnerung. Begegnungsmöglichkeiten gab es am Schnuppertag viele: Zum Beispiel mit Rebecca Kasens. Die Diplomatin ist stellvertretende Referatsleiterin für Bürger:innendialog und Öffentlichkeitsarbeit. Sie hat die „Ambassador-for-a-day“-Teilnehmerinnen durch das Auswärtige Amt geführt und als Diplomatin selbst auch schon u.a. in Prag und Kiew gelebt. Den jungen Frauen will sie vermitteln: „Außen- und Sicherheitspolitik ist keine Männerdomäne. Lange haben sich darauf Männer beworben, weil ja in diesem Bereich öfter mal ein Umzug ansteht. Aber Frauen können das genauso. Wir brauchen eine weibliche, ganzheitliche Perspektive und wir müssen wegkommen von diesem Wahnsinn zu glauben, wer länger bleibt, ist produktiver.“ Dass inzwischen mehr und mehr Männer sich um eine gute Life-Job-Balance bemühen, findet die Diplomatin gut. Dass sich so viele junge Frauen für einen Beruf im diplomatischen Dienst interessieren, freut sie: „Ich liebe den Job. Er ist aufregend, sicher und spannend. Ich finde es toll, in anderen Ländern zu leben und dann dort durch meine Arbeit so richtig in die Kultur einzutauchen. Ich kann Frauen jeden Alters dazu nur ermutigen.“
Exklusive Einblicke: Fragerunde mit Botschafterin & Menschenrechtsbeauftragter
Wenn Führungskräfte junge Menschen ernst nehmen, bleibt das im Kopf. Auch Jill Gallard nimmt sich Zeit und erzählt in lockerer Atmosphäre, wie sie als junge Botschafterin in Portugal von den Kollegen unterschätzt wurde – die grauhaarigen Männer schüttelten intuitiv erstmal ihrem Mann die Hand, der dann immer sagte: „Das da ist die Botschafterin, ich bin nur ihr Mann.“ Gallard, eine schlagfertige, humorvolle Frau bringt es auf die Palme, wenn Frauen unterschätzt werden. Das merke sie beispielsweise daran, wenn Männer andere Fragen gestellt bekommen. Sie stört auch, wenn Männer dafür gelobt werden, wenn sie die Kinder aus der Schule abholen – „Wer würde dafür einer Frau applaudieren?“ fragt sie in die Runde. Die Botschaft der Botschafterin an junge Frauen: „Glaub an dich selbst! You can do it! Frauen sind brilliante Botschafterinnen. Just go for it!”
Luise Amtsberg, die Menschenrechtsbeauftrage der Bundesregierung erzählt von ihrem Werdegang, erklärt den Unterschied von „lauter“ und „leiser“ Diplomatie und berichtet von Herausforderungen in ihrem Berufsfeld. Den direkten Kontakt zu den „Ambassador-for-a-day“-Gewinnerinnen schätzt sie: „Junge Frauen als Nachwuchs zu begeistern, ist natürlich für die Politik ganz im eigenen Interesse. Deswegen sind solche Austauschrunden auch so wertvoll.“
Golschan Khun Jusch, Mitarbeiterin im Länderreferat Großbritanniens im Auswärtigen Amt mag den frischen Wind, mit dem die Botschafterin eingefahrene Strukturen durchwirbelt. „Wir haben nicht so häufig solche Veranstaltungen, aber es ist so wichtig. Ich finde, dass wir mehr Frauen in der auswärtigen Politik brauchen, denn wenn ich mich hier so umschaue, sehe ich auf jeden Fall, dass hier noch viel Potenzial und Luft nach oben ist. Ich finde es großartig, junge Frauen für den Beruf der Diplomatin zu begeistern und hoffe, dass wir da heute so einiges erreichen konnten.“
Auch der britische Minister für Energie und Klimawandel Greg Hands schaute vorbei und gesellte sich in der Pause für eine Weile zu den Teilnehmerinnen an die Stehtische. Sein Statement: „Frauen in der Diplomatie können sehr erfolgreich sein.“ Beispiele dafür nannte er dann auch prompt.
Rauchende Köpfe und Insider-Insights bei den Workshops
Probieren geht über Studieren: Am Nachmittag durften die Ambassador-for-a-Day-Teilnehmerinnen in zwei Workshops selbst spüren, mit welchen Themen sich eine Botschafterin beschäftigt und dass es oft gar nicht so leicht ist, Lösungen für verschiedene Probleme zu finden. Im Diplomatie-Workshop ging es Botschaftsmitarbeiter Dan Haraday vor allem darum zu zeigen, „Dass es in der Diplomatie nicht nur darum geht, gut zu argumentieren und Debatten zu gewinnen, sondern, dass es auch wichtig ist, klug Themenschwerpunkte auszuwählen und Kompromisse zu finden.“ Und letztendlich geht es auch um den Balanceakt, eigene Standpunkte zu vertreten und gleichzeitig die der jeweiligen Regierung für die man arbeitet, zu berücksichtigen.
Im Medienworkshop bei Oliver Frost ging es dann darum, den Botschafter oder die Botschafterin für Interviews zu briefen und Kernbotschaften zu transportieren. Am Rande gab der Medienprofi auch Tipps für Karrierestrategien und Praktika.
Nachwuchsförderung, die in Erinnerung bleibt
Ein ziemlich vollgepackter Tag und durchweg zwanzig leuchtende Augenpaare. Julie fand beeindruckend zu sehen, wie die verschiedenen Institutionen im Hintergrund zusammenarbeiten: „Vorher wusste ich überhaupt nicht, wie das so in einer Botschaft abläuft, doch jetzt habe ich so ungefähr eine Ahnung. Wir haben tolle Einblicke bekommen.“ Wenn Julie Botschafterin für einen Tag wäre, würde sie sich für die Rechte von LGBTQ+Menschen einsetzen. „Denn diese Menschen werden im Alltag immer noch diskriminiert.“ Diversity und Chancengleichheit scheint auch der echten Botschafterin aus dem Vereinigten Königreich am Herzen zu liegen, denn sicherlich ist es kein Zufall, dass gerade Beiträge zu diesem Themenbereich zu den Gewinnerbeiträgen gehörten. Auch Kinza hat sich dazu Gedanken gemacht und die Jury mit einem Gedicht über die Ungleichheit von Männern und Frauen beeindruckt – so sehr, dass über dieses Gedicht sogar beim Smalltalk während der Gartenparty zum Queen-Geburtstag gesprochen wurde. Ob Kinza später mal Botschafterin werden will, weiß sie jedoch noch nicht. „Gerade interessiere ich mich mehr für Wissenschaft. Aber ich habe einen Diplomaten getroffen, der im Bereich künstliche Intelligenz arbeitet – das hat mir gezeigt: Vielleicht kann ich beide Bereiche ja miteinander verbinden.“
Nachmachen und Nachwuchs gewinnen
Programme wie ‚Ambassador for a day‘ bieten zahlreiche Chancen und dürften daher auch für andere Institutionen, Unternehmen und Betriebe nachahmenswert sein. Denn klug organisiert bieten sie der veranstaltenden Institution die Möglichkeit, mit jungen Menschen und potenziellen Nachwuchstalenten in Kontakt sowie Einblicke in deren Standpunkte und Themenwelten zu bekommen. Und Jugendliche, die sich mit der Frage auseinandersetzen, was sie nach der Schule machen möchten, erhalten frühzeitig Einsichten, die ihnen keine Jobmesse und kein Infoflyer bieten kann. Denn letztendlich werden berufliche Entscheidungen auch davon beeinflusst, welcher persönliche Bezug zur jeweiligen Branche besteht. Beim Wettbewerb um die besten Nachwuchskräfte sind also jene Unternehmen und Einrichtungen gut beraten, die schon sehr früh Begegnungsmöglichkeiten mit potenziellen Nachwuchskräften schaffen. –
Hinweis: femMit unterstützt das Projekt „Ambassador for a Day“ im Rahmen einer Medienpartnerschaft. Alle Infos dazu unter: www.ambassadorforaday.de
Foto: ©Till Budde
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