Frauenherzen schlagen anders

Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen sind nicht ausreichend erforscht, werden kaum beachtet, seltener und zu spät diagnostiziert und ungenügend behandelt – und das weltweit! 

von Dr. med. Enise Lauterbach

Der Gender-Bias in der Medizin ist nun seit Jahren bekannt. Das Problem: Obwohl Frauen die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen, haben wir keine verlässlichen Daten, die wir für eine adäquate Gesundheitsversorgung heranziehen können. 

Lange Zeit war man der Auffassung, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen überwiegend Männer beträfen. Die teils gravierenden Unterschiede zwischen den Geschlechtern fanden wissenschaftlich kaum Beachtung. Da aber der Herzinfarkt typischerweise als Männerkrankheit gilt und Frauen weniger unmittelbar in Richtung der Diagnose Herzinfarkt weisende Symptome schildern, sterben Frauen häufiger an einem Herzinfarkt.

Frauen schildern andere Symptome

Das lässt sich am Beispiel des lebensbedrohlichen, akuten Herzinfarktes mit Verschluss eines Herzkranzgefäßes veranschaulichen: Muskelgewebe stirbt ab und die Herzleistung sinkt, wenn die Durchblutung nicht innerhalb kürzester Zeit wiederhergestellt wird. Ein solcher Herzinfarkt macht sich bei Männern durch ein Druckgefühl auf der Brust und Brustschmerzen – mit Ausstrahlung in den linken Arm – bemerkbar. Frauen verspüren auch dieses Druckgefühl, thematisieren aber eher die begleitenden Symptome: Übelkeit, Erbrechen, Magenschmerzen, allgemeines Unwohlsein, verringerte Belastbarkeit und Schwindelgefühl. Da diese geschilderten Symptome nicht sofort an einen Herzinfarkt denken lassen, wird die Gefahr oftmals nicht rechtzeitig erkannt.

Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sind immer noch die Todesursache Nr. 1 in Deutschland. Männer (48,1 Prozent) und Frauen (51,9 Prozent) weisen eine in etwa gleich hohe Sterblichkeit auf. Tatsächlich sterben zahlenmäßig wesentlich mehr Männer durch einen akuten Herzinfarkt. Es gibt allerdings auch tödliche Herzerkrankungen, bei denen es sich umgekehrt verhält. Der Deutsche Herzbericht zeigt, dass Herzschwäche, Herzklappenerkrankungen und Herzrhythmusstörungen mit einer ungünstigeren Prognose für Frauen einhergehen. So starben im Jahr 2016 fast 16.000 Frauen und rund 10.700 Männer an Herzrhythmusstörungen. An Herzschwäche verstarben im gleichen Zeitraum über 25.000 Frauen und knapp über 15.000 Männer.

Die Überlebenschancen bei Frauen sind geringer

Auch wenn durch jahrzehntelange Bemühungen zur Frauenherzgesundheit eine gewisse Sensibilität erzielt werden konnte, sterben global betrachtet weiterhin immer noch zu viele Frauen an einem Herzinfarkt. Bei Männern sinken seit den 1990er Jahren die Sterblichkeitsraten stetig – bei Frauen beobachten wir eine gegensätzliche Tendenz. 49 Prozent der Todesursachen bei Frauen und 40 Prozent der Todesursachen bei Männern sind den Herz-Kreislauf-Erkrankungen zuzurechnen. 

»Viele dieser Todesfälle ließen sich vermeiden,

würden die Symptome des Herzinfarkts bei Frauen richtig gedeutet werden.«

Dr. med. Enise Lauterbach

Bei einem akuten Herzinfarkt sind zudem die mittel- und langfristigen Überlebenschancen bei Frauen geringer als bei Männern. Während bei Männern die Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen kontinuierlich abnehmen, sinkt bei Frauen die Rate weniger. Zwischen dem 40. und 55. Lebensjahr steigt sie sogar. Neu ist außerdem die Zunahme von Herzinfarkten bei schwangeren Frauen in den letzten Jahren. Der Anstieg der Herzinfarktraten bei prämenopausalen, also jüngeren Frauen ist besorgniserregend.

Als eine Ursache hierfür wird der gestiegene Nikotinkonsum der Frauen gesehen. Bei gleichzeitiger Einnahme der Pille zur Empfängnisverhütung steigt das Herzinfarktrisiko um das Vierfache. Risikofaktoren wie Bluthochdruck, erhöhte Blutfette, Bewegungsmangel und Übergewicht gelten weitgehend geschlechtsunabhängig. Aber auch hier gibt es deutliche Unterschiede: Bei Diabetikerinnen ist das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, um das Sechsfache erhöht – bei Diabetikern um das Vierfache. Auch dauerhafter, unbewältigter Stress oder Depressionen bedingen ein höheres Gefährdungspotenzial für Frauen, insbesondere bei der Doppelbelastung durch Familie und Beruf.

Bluthochdruck wird häufig nicht erkannt

Hinsichtlich des Lebensalters, in dem ein Infarktgeschehen auftreten kann, lassen sich gleichermaßen deutliche Geschlechtsunterschiede beobachten. Während Frauen bis zu den Wechseljahren höchstwahrscheinlich durch das Geschlechtshormon Östrogen geschützt sind, entwickeln Männer im Vergleich zu Frauen durchschnittlich ca. zehn Jahre früher eine Arteriosklerose, als deren Folge Herzinfarkte und Herzschwäche auftreten. Ein früher Beginn der Wechseljahre bedingt hierbei ein höheres Risiko, einen tödlichen Herzinfarkt zu erleiden.

Große Bedeutung hat auch die Früherkennung. Ein Beispiel: Hoher Blutdruck ist eine Erkrankung, die nicht weh tut. Bis tatsächlich Bluthochdruck festgestellt wird, können Jahre vergehen. Bei auffällig hohem Blutdruck wird dies oft auf situative Stressbelastungen zurückgeführt und nicht weiter beachtet. Mit fatalen Folgen! 

Bei Frauen liegt außerdem – im Vergleich zu Männern – ein erhöhtes Risiko für die Herzinsuffizienzinzidenz durch Risikofaktoren wie Diabetes mellitus Typ 2 und Hypercholesterinämie vor. Aber auch bestimmte lebensstilbedingte Faktoren wie Aktivitätsmangel und reduzierter Schlaf erhöhen das Risiko bei Frauen stärker als bei Männern. Wobei aus der Literatur bekannt ist, dass die genannten Risikofaktoren für beide Geschlechter jeweils mit einem deutlich erhöhten Risiko assoziiert sind.

Ein spezielles Vorsorgeprogramm für Frauen mit dem Fokus auf Bluthochdruck ab dem 35.  Lebensjahr wäre zu empfehlen. Das können beispielsweise Hausärzt:innen und Frauenärzt:innen gemeinsam koordinieren. Mehr Sensibilität könnte durch Aufklärung und Prävention erreicht werden: Die gezielte Suche nach kardiovaskulären Risikofaktoren und eine regelmäßige Blutdruckmessung können sowohl im ambulanten Bereich als auch häuslich durchgeführt werden. Bei sich erhärtendem Verdacht kann hierbei eine 24-Stunden-Blutdruckmessung und eine Herzultraschallversorgung als Stufendiagnostik nachgeschaltet werden. So könnten Frauen bei der Identifikation des Bluthochdruckes deutlich früher medikamentös behandelt werden, um einer bluthochdruckbedingten Herzinsuffizienz vorzubeugen.

Mein Fazit als Kardiologin: Frauen und Männer sollten beide unter Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Unterschiede behandelt werden. Denn Frauen- und Männerherzen schlagen weiterhin einzigartig anders und wollen lange gesund bleiben. —

Dr. med. Enise Lauterbach ist Fachärztin für Kardiologie mit Zusatzausbildung in Rhythmologie und Therapie der Herzinsuffizienz. Sie war bis 2019 Chefärztin der kardiologischen Abteilung des Zentrums für ambulante Rehabilitation in Trier. Mitten in der Pandemie gründete sie das Start-up „Lemoa Medical”, das Software für digitale Gesundheitsanwendungen entwickelt.

Hinweis: Der Text erschien erstmal in femMit Ausgabe 3.

Bild: adobestock/9dreamstudio

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