Iran – Wir dürfen nicht wegsehen!

Täglich hören wir neue erschreckende Meldungen aus Iran. Mich lässt es nicht los und ich möchte wissen, was konkret ich tun kann, wie es den Menschen geht und ob unsere Solidaritätsbekundungen etwas nützen. Ich habe dazu mit Aktivistin Soschia Karimi gesprochen.

Von Romina Stawowy

An manchen Tagen trifft es mich knallhart: Die Erkenntnis, dass es mir verdammt gut geht. Bei allen Schwierigkeiten die das Leben so mit sich bringt, fühle ich mich bei den Bildern aus Iran fast wie die Prinzessin auf der Erbse. Ich schäme mich ob meiner Privilegien. Natürlich ist hier in Deutschland auch nicht alles super. Heute, am Tag an dem ich diesen Text schreibe, ist Orange Day, der 25. November, ein Aktionstag, der ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen setzt. Die Fakten: Jeden Tag gibt es in Deutschland einen versuchten polizeilich registrieren Tötungsversuch an einer Frau. Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner. So die Zahlen des Statistischen Bundesamtes.

Ich möchte an diese Stelle aber nicht vergleichen. Denn es gibt sie nicht, die besser oder schlechtere Gewalt. Gewalt ist nie richtig. Was ich hier in Deutschland aber habe, sind Menschenrechte. Die Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg beschreibt sie so: „Sie stehen jedem Menschen zu – einfach nur, weil er oder sie ein Mensch ist. Jeder und jede hat zum Beispiel ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Menschenrechte sind universell, unveräußerlich und unteilbar.“

Ich habe jeden Tag die Wahl, was ich anziehe. Ich kann singen und tanzen, wann und wo ich möchte. Ich konnte für mich entscheiden, mich von meinem Mann zu trennen. Und grundsätzlich kann ich nahezu jeden Beruf in diesem Land ausüben. Mir geht es so gesehen sehr gut.

Ich habe mit Aktivistin Soschia Karimi gesprochen:

Was dürfen Frauen im Iran eigentlich?

Die Frage, was Frauen im Iran dürfen, ist schwer zu beantworten. Denn immer wenn ich überlege, was Frauen im Iran dürfen, fallen mir nur noch mehr Punkte ein, die sie nicht dürfen. 

Die islamische Revolution 1979 war ein Wendepunkt in den Geschlechterbeziehungen im Iran. Die Stellung der Frau verschlechterte sich rechtlich und gesellschaftlich. Gewalt an Frauen hat im Iran System – Vergewaltigungen werden als Waffe eingesetzt, und staatlich organisierte Femizide wie im Fall Jina Mahsa Amini sind leider ebefalls nicht selten.

Was den Frauen im Iran allerdings zusteht, ist Bildung. Und das Recht auf Bildung nutzen sie auch. Die Frauen im Iran sind gut gebildet und wissen, was Menschenrechte sind und sie wissen auch, dass ihnen grundlegende Rechte gesetzlich verweigert werden. Nur um ein paar Beispiele zu nennen:

Frauen dürfen im Iran das Land nicht ohne Erlaubnis eines männlichen Vormunds verlassen. 

Frauen dürfen sich nicht frei kleiden. 

Frauen dürfen nicht singen.

Frauen dürfen nicht tanzen. 

Frauen dürfen nicht Fahrrad fahren. 

Frauen dürfen sich nicht gegen Vergewaltigung in der Ehe wehren (der Mann hat das Recht “auf die sexuelle Verfügbarkeit der Ehefrau“). 

Frauen dürfen sich nicht einfach scheiden lassen.  

Frauen dürfen bestimme Ämter nicht ausüben, wie zum Beispiel das einer Richterin. 

Frauen werden gesteinigt, wenn sie außereheliche Beziehungen halten – Männer dürfen zeitgleich fünf Frauen haben. 

Frauen verlieren das Sorgerecht Ihrer Kinder automatisch an den Mann – ab dem 2. Lebensjahr bei Söhnen und ab dem 6. Lebensjahr bei Mädchen,

Frauen bekommen im Erbschaftsfall die Hälfte dessen, was der Mann bekommt. 

Frauen werden im Zeugenrecht benachteiligt. Vor Gericht zählt die Aussage einer Frau nur halb so viel wie die eines Mannes.

Zum Tode verurteilte Jungfrauen werden vor der Hinrichtung zwangsverheiratet und vergewaltigt, da es im Islam verboten ist, Jungfrauen zu ermorden. 

Mädchen dürfen ab 9 Jahren zwangsverheiratet werden.

Homosexualität ist verboten. 

Das und noch viel mehr ist im Iran verboten. Das sind die Gründe, warum diese feministische Revolution im Iran unaufhaltsam ist.

Wie geht es den Menschen in Iran aktuell?


„Seit über 12 Wochen gehen die Menschen in Iran auf die Straßen und demonstrieren für Freiheit und gegen das Regime. Die Antwort des Regimes? Gewalt. Folter. Erpressung. Vergewaltigung. Verschleppung. Mord. 
Aber, und das ist das bemerkenswerte: Die Bevölkerung lässt sich nicht mehr einschüchtern. Der Drang nach Freiheit („Azadi“) ist stärker als die Angst um das eigene Leben. Bevor die Menschen auf die Proteste gehen, schreiben sie ihre Abschiedsworte, weil sie wissen, dass man in Iran mit dem Leben zahlen kann, wenn man protestiert. Allein in den letzten 12 Wochen wurden über 480 Protestierende (auf den Demonstrationen) ermordet und über 18.000 Protestierende inhaftiert, von denen bereits zwei hingerichtet wurden. Die Dunkelziffer an inhaftierten, verschleppten, ermordeten und verwundeten ist noch viel höher. 


Unser Plädoyer ist: Nicht wegschauen. Laut sein.  

Die Menschen in Iran haben keine Stimme – das Internet wird gedrosselt, teils ganz abgestellt. Auch Strom und Wasser werden teilweise abgestellt, beziehungsweise verunreinigt.“

Aufmerksamkeit kann Leben Retten. Teile Meldungen oder auch deinen eigenen Aktivismus.

Soschia Karimi

Was kann jede und jeder Einzelne von hier aus tun? 

„1. Komm zu Demos: Über https://iranprotestsgermany.wordpress.com/ findest du für jeden Tag deutschlandweit Demos, die Irans Freiheit fordern.

2. Unterschreibe Petitionen: Klare Forderungen, die von vielen unterstützt werden, sind ein deutliches Signal an unsere Entscheidungsträger. Du findest Petitionen unter anderem bei Amnesty International, Háwar.help, Change.org

3. Werde kreativ: Jede Form der Solidaritätsbekundung ist wertvoll. Du kannst singen, ein Bild malen, ein Plakat erstellen, ein Gedicht verfassen, eine Performance aufführen und so viel mehr.

4. Teile auf den sozialen Medien: Aufmerksamkeit kann Leben Retten. Teile Meldungen oder auch deinen eigenen Aktivismus.

5. Teile dein Internet: Das iranische Regime beschränkt den Zugang zum Internet. Über VPNs, können sich Menschen dennoch Zugriff verschaffen, zu vom Staat blockierten Webseiten. Im Netz findest du z.B. unter https://snowflake.torproject.org/  Anleitungen dazu, wie Du dein Netzwerk teilen kannst.


6. Kontaktiere deine Politiker:innen: Ob Kommunal-, Landes-, Bundes-, oder EU-Politiker:innen: Bitte deine Politiker:innen um Unterstützung. Dass kann in unterschiedlichster Form passieren. Beispielsweise durch Druck auf Schlüsselentscheidungsträger oder durch die Bekanntgabe politischer Patenschaften.

Wenn wir hinschauen und laut sind, können wir helfen die Gewalt zu reduzieren.

Soschia Karimi

Hilft es laut zu sein?

„Ja es hilft. Durch vehementen Einsatz und Aufmerksamkeit konnte das Leben von Mahan Sedarat gerettet werden. Uns hat heute die Nachricht erreicht, dass sein Todesurteil offiziell aufgehoben wurde.

Mindestens 38 weiteren Demonstrierenden droht die Exekution wegen ‚Krieg gegen Gott‘ oder ‚Verdorbenheit auf Erden‘. Wir müssen verhindern, dass diese Menschen ermordet werden weil sie für Freiheit auf die Straße gegangen sind. 

Mohsen Shekari, 23 Jahre alt, wurde letzte Woche Donnerstag hingerichtet. Er war der erste Protestierende,
der im Rahmen der Iranrevolution2022 hingerichtet wurde. Sein Name tauchte vorher nicht auf den Listen der zum Tode verurteilten auf, was die Vermutung nahe legt, dass die Dunkelziffer deutlich höher ist, da einige Familie angehalten werden, Stillschweigen zu bewahren, um so möglicherweise das Leben des inhaftierten Familienmitglieds zu ‚retten‘. 

Majidreza Rahnavard, auch 23 Jahre jung, wurde ebenfalls hingerichtet. 

Lasst uns verhindern, dass diese Liste länger wird.

Ohne die Proteste, die Empörung auf den sozialen Medien und den lauten Stimmen derjenigen die Freiheit für den Iran fordern, hätten wir vermutlich bis heute keine Reaktion aus der Politik. Die UN-Menschenrechtsresolution gegen Iran oder auch die – leider unzureichenden – Sanktionen sind auf die Initiative der sich soldarisierenden Bevölkerung hin entstanden. Laut sein schafft nicht nur politischen Druck auf unsere Entscheidungsträger, es setzt auch das iranische Regime unter Druck. 

2019 gab es in Iran Proteste gegen die miserable wirtschaftliche Situation im Land. Diese Proteste endeten in einem Blutbad durch das Regime, auch bezeichnet als Bloody November. Es wurde drei Tage das Internet komplett abgeschaltet und in diesen 3 Tagen wurden über 1.500 Menschen ermordet, weil keiner hingesehen hat. Das Regime in Iran will noch den Anschein wahren. Das sieht man auch an durchgeskripteten Schauprozessen, die stattfinden. Wenn wir hinschauen und laut sind, können wir helfen die Gewalt zu reduzieren. Außerdem gibt es den Menschen in Iran Kraft zu sehen, dass sie im Ausland gehört werden und verbündete haben, denen es nicht egal ist was mit Ihnen passiert.“

Ich, auf meinem Sofa sitzend, lese diese Beispiele, die Soschia Karimi da aufzählt. Ich werde still und wütend. Alles in mir zieht sich zusammen und mehr denn je finde ich: Wir dürfen als Weltgemeinschaft nicht wegsehen. Und auch jede und jeder einzelne darf nicht wegsehen. Mir ist klar, dass es weh tut, dass es anstrengend ist und dass wir gerade jetzt zur Vorweihnachtszeit lieber an die schönen Dinge denken möchten. Aber auch die Menschen in Iran möchten lieber eine schöne, freie Welt haben. Sie möchten sich frei bewegen, kleiden und leben.

Hier einige Instagram-Accounts, denen es lohnt zu folgen, um im Bilde zu bleiben:

Düzen Tekkal
Gilda Sahebi
Soschia Karimi

Daniela Sepehri
Dr. Ali Fathollah-Nejad
Natalie Amiri

Foto: The Persian Mag

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