Nicht nur mit meiner Tochter
Wenn Männer wie Friedrich Merz ihre Töchter und Frauen als Kronzeuginnen für das Patriachat heranziehen, läuft hier irgendetwas gewaltig schief, findet unser Autor.
Text: Nils Pickert
„Mein Mann ist Zahnarzt, deshalb kenne ich mich mit Zahnweißpräparaten aus.“
„Als Zahnarztfrau werde ich oft nach Perlweiss gefragt.“
Solche und andere Sätze legte die Fette Pharma AG Anfang der 90er Jahre Darstellerinnen in Werbeclips in den Mund, in denen ihr Zahnaufhellungsprodukt beworben werden sollte. Man schuf die Figur der Zahnarztfrau, weil es unrealistisch und unter der Würde von „echten Zahnärzten“ schien, ein rein kosmetisches Produkt zu bewerben. Trotzdem wollte man auf den Anschein von Professionalität nicht verzichten und ließ die Darstellerinnen in weißen Kitteln durch zahnarztpraxisähnliche Büroräume schreiten, während sie ihre Werbeformel aufsagten und mit Expertise durch Assoziation glänzten. Die weiß Bescheid, immerhin hat die einen Zahnarzt geheiratet! Und auch heute wird noch breit in die Kamera gegrinst, wenn es darum geht, Status und Expertise durch Assoziation und Umgang mit anderen Menschen ausweisen zu wollen. Eines der eindrücklichsten und mithin peinlichsten Beispiele der jüngeren Vergangenheit für diese Strategie hat Friedrich Merz auf dem virtuellen Parteitag der CDU abgeliefert.
„Auch diejenigen, die sozial schwach sind, finden gerade bei uns ein Herz und Zuwendung“, ließ der später unterlegene Kandidat um den CDU-Vorsitz das Publikum an den Bildschirmen wissen, um sich dann zu einer Überleitung zu versteigen, nach der ihm wirklich niemand mehr rhetorisches Talent unterstellen sollte: „Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort zu den Frauen sagen.“ Im Anschluss nutzte der Mann die Existenz seiner Ehefrau und Töchter dafür, zu belegen, dass er „kein Frauenproblem“ habe. Noch lächerlicher wäre es nur gewesen, für dieses Statement die alten Perlweiss-Sätze zu recyceln:
„Meine Ehefrau ist ja auch eine Frau, deshalb kenne ich mich mit Frauensachen aus.“
„Als Ehefrauengatte werde ich ja oft nach Menstruationsprodukten gefragt.“
Nun ist es einfach, sich an dieser und anderer Stelle über Friedrich Merz und seine antiquierten Ansichten lustig zu machen. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Aber für diesen Spott sorgten auch Männer, die mit Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit deutlich zeitgemäßer als Merz argumentieren und viele Inhalte und Werte der Emanzipationsbewegungen der letzten Jahrzehnte verinnerlicht haben. Oder vielmehr verinnerlicht zu haben glauben. Denn auch wenn die meisten von ihnen es niemals so bräsig und aus der Zeit gefallen formulieren würden wie Friedrich Merz, verstecken sie sich doch hinter dem gleichen Privileg der Nichtachtung von Ungleichberechtigung zwischen den Geschlechtern.
Die Rede ist von „feministischen Töchtervätern“. Von Männern, die in sozialen Netzwerken, Artikeln, Podcasts oder unter Bekannten angeben, ein neues, besonderes Verständnis für die Belange und Ziele des Feminismus zu haben, weil sie mittlerweile Vater eine Tochter sind und die ganze Sache ja nun ganz anders aussähe. Das klingt vielleicht nicht genau so wie „Ich hab nichts gegen Frauen, meine Mutter ist sogar eine“, aber die Frage, wo denn genau die inhaltlichen Unterschiede zu dieser ironisch zugespitzten Aussage sein sollen, drängt sich trotzdem auf.
Denn die Sache sieht schon sehr lange so aus: Ungleiche Bezahlung bei gleicher Leistung. Care-Arbeit, die viel zu häufig und mit großem Selbstverständnis auf die Schultern von Frauen geladen wird. Sexualisierte Gewalt, die mehrheitlich Frauen und Mädchen durch Männern angetan wird. Halbnackte Frauen, die in der Reklame dafür herhalten müssen, Parkettfußböden und Fleischprodukte zu bewerben. Mädchen, denen mit dem Satz „Ihr seid ja viel früher reif als Jungen“ nicht etwa mehr Macht und Kompetenz zugesprochen wird, sondern lediglich mehr Verantwortung und Verpflichtung für das (Wohl)Verhalten anderer.
Es sollte also nicht notwendig sein, Töchter als Kronzeuginnen für die Existenz des Patriarchats heranzuziehen. Das müsste Männern auch so auffallen. Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass dieses Patriarchat neben diversen Privilegien für sie auch Dinge im Gepäck hat, die alles andere als erfreulich sind: Leistungszwang, Versagensängste, Erniedrigungen, Anschuldigungen wegen unmännlichem Verhalten, Gewalt, Entfremdung, Verletzungen, emotionale Inkompetenz und, statistisch gesehen, 5 Jahre weniger Lebenszeit. Schon wegen dieser nicht allzu guten Aussichten würde es sich lohnen, sich intensiver mit feministischen Analysen und Strategien gegen patriarchale Zuschreibungen und Zumutungen zu beschäftigen. Denn Männer und ihre Rechte waren und sind Bestandteil feministischer Diskurse. 2004 schrieb die feministische Literaturwissenschaftlerin bell hooks dazu:
„Ich bin der Überzeugung, dass Jungen durch Gewalt zu Männern gemacht werden. Wir reißen sie von ihrer eigenen Ausdrucksfähigkeit, von ihren Gefühlen und der Sensibilität für andere weg. Die Phrase ‚Sei ein Mann!‘ bedeutet nichts anderes als sich alles zu verbeißen, runterzuschlucken und weiterzumachen. Diese Entfremdung ist keine Auswirkung eines falschen Verständnisses von traditioneller Männlichkeit. Sie IST diese Männlichkeit.“
Seitdem hat sich viel zu wenig verändert. Männer könnten und sollten sich also auch hinter Gleichberechtigungsbemühungen und gegen das Patriarchat stellen, wenn sie Väter von Söhnen sind. Wenn sie sich ihre eigenen Väter anschauen. Ihre Onkel, Brüder, Freunde und Bekannten. Wenn sie auf sich selbst blicken. Und trotzdem scheint es immer noch viel zu häufig einer Tochter zu bedürfen, damit Männern der Schleier der „Wir sind doch alle schon so gleichberechtigt“-Ignoranz von den Augen gerissen wird. Das Problem damit ist nicht nur, dass sie es längst besser wissen sollten und keinen Applaus für das Anerkennen offensichtlicher Zustände verdienen. Sondern auch, dass es eben einfach stimmt.
Männer werden Väter von Töchtern, bemerken dann womöglich ein bisschen mehr wie ungerecht sich diese Welt für Frauen ausnimmt und ändern ihr Verhalten bzw. fordern Änderungen im Verhalten von anderen ein. Das kann und sollte man, wenn es wie bei Friedrich Merz in Form einer herablassenden Beschwichtigungsgeste daherkommt, verspotten und demaskieren. Aber wenn dahinter auch nur ein Fünkchen Wahrheit steckt, ein Quäntchen Substanz, dann sollte man das mit Blick auf all die Dinge anerkennen, die gleichstellungspolitisch noch erreicht werden müssen. Ja, einige Männer ändern ihre Ansichten, wenn sie Väter von Töchtern werden. Manchen fällt dann verstärkt oder gar zum ersten Mal auf, wie bruchfest gläserne Decken für Mädchen und Frauen sind und wie ubiquitär Bedrohungen durch sexistische und sexualisierte Gewalt. Und ja, da hätten sie auch vorher drauf kommen können, kommen müssen.
Aber wenn es hier und jetzt Männer gibt, die aufgrund von stellvertretender persönlicher Betroffenheit durch ihre Töchter die Augen nicht mehr vor unfairen Verhältnissen und Ungleichberechtigungen verschließen, dann ist das zwar keine wirklich nennenswerte Leistung, aber immerhin ein Glücksfall. Ein Anfang. Etwas, das sich womöglich einmal zu einem Pfund auswächst, mit dem man gleichstellungspolitisch wuchern könnte. So angebracht wie „Schnellmerker“-Kommentare auch sein mögen, sie sollten mit einer Einladung verbunden werden: Gut, dass dir das jetzt auch auffällt, hast du eine Idee, was wir gemeinsam dagegen unternehmen können?
Prinzessinnen Jungs von Nils Pickert
Ein Buch, das die Augen öffnet, sensibilisiert und zum Überdenken gesellschaftlicher Regeln anregt. Kompromisslos und schonungslos deckt Nils Pickert auf, wie Männer schon von Geburt an mit Erwartungen und Stereotypen konfrontiert werden. Er zeigt Ursachen für und die Entstehung von Sexismus, Gewalt und Unfähigkeit zur Kommunikation auf. Ein Buch, das so viel mehr als ein Erziehungsratgeber für Jungs ist.
Männer, die bestehende Machtverhältnisse und Ungerechtigkeiten ignorieren, müssen vom Feminismus nicht da abgeholt werden, wo sie stehen. Aber ihre einsetzende Irritation sollte genutzt werden.
Also ja, Mann: Deine eigene Tochter wurde neben den Klassenclown gesetzt, damit sie mit ihrem „reifen Verhalten“ beruhigend auf ihn einwirkt. Sie gilt in der Schule maximal als fleißig, aber niemals als genial. Wegen übergriffigen Schönheitsnormen kämpft sie mit ihrem Gewicht und zieht sich aus öffentlichen Räumen zurück. Ihr Schwarm in der Oberstufe setzt sie mit der Behauptung unter Druck, dass sie mit ihm Sex haben würde, wenn sie ihn wirklich liebte.
An der Uni schreiben sich ein paar ihrer Kommilitonen anfeuernde Nachrichten, wer sie als erster „knackt“. Der Mann, der ihr beim Rechtsabbiegen die Vorfahrt genommen hat, schleudert ihr „Fotze!“ ins Gesicht. Beim Bewerbungsgespräch findet man trotz eindeutiger Gesetzeslage Wege, um sich nach ihren Reproduktionsplänen zu erkundigen.
Für das Kümmern ist immer sie zuständig. Bei Beförderungen wird sie konsequent übergangen, weil sie mit Kindern ja womöglich in Teilzeit gehen könnte. In Besprechungen formulieren Kollegen ihre Vorschläge einfach noch mal um und kassieren dafür die Anerkennung. Ihr Freund sagt, sie solle sich für ihre Frauenabende nicht so „nuttig“ anziehen. Und immer wieder steht in ihrem Leben die Möglichkeit von Gewalt gegen sie im Raum.
Was willst du dagegen tun? —
Hinweis: Dieser Text erschien erstmals im femMit-Magazin 1/2021
Foto: Adobe Stock / Wayhome Studio
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