Probleme sind zum Lösen da

Mathematik, Physik und Formeln faszinieren sie, ebenso schroffe Kletterfelsen. Humor findet Dubravka Maljevic lebenswichtig. Als Jugendliche flüchtete sie vor dem Krieg. Heute ist die Ingenieurin Führungskraft im viertgrößten Klinikkonzern Deutschlands. Dabei musste sie sehr dafür kämpfen, überhaupt in ihrer neuen Heimat zur Schule gehen und studieren zu können.

Text: Katalin Valeš

Wenn Dubravka Maljevic über die „Schönheit der Zahlen“ spricht, strahlen ihre Augen. Mathematik und Physik faszinieren sie, denn deren Gesetzmäßigkeiten gelten universell – in Dubrovnik an der kroatischen Adria, von wo aus sie als 13-Jährige vor dem Jugoslawienkrieg in den 1990er-Jahren geflohen ist, genauso wie in Berlin an der Spree, wo sie in ständiger Angst vor der Abschiebung in einer Flüchtlingsunterkunft ihre Jugend verbrachte. In Deutschland zur Schule gehen, Abitur machen, studieren, zum Urlaub ans Meer oder in die Berge fahren – all das war ihr als Geflüchtete mit Duldungsstatus zunächst nicht erlaubt. Doch mit Mut, Hartnäckigkeit, Zuversicht und einer großen Portion Humor sowie durch ihre Liebe zu den Naturwissenschaften hat Dubravka Maljevic geschafft, was vor knapp zwanzig Jahren wohl niemand für möglich gehalten hätte: Heute leitet die 42-Jährige den Bereich Medizintechnik in einem großen Krankenhauskonzern und ist Präsidentin des Fachverbandes für Biomedizinische Technik – als erste Frau in der Geschichte dieser Interessenvertretung. Mit femMit kehrt sie an den Ort zurück, an dem ihre berufliche Laufbahn begann, und erzählt, wie sie wurde, wer sie heute ist. 

Sprichwörtlich ganz unten fing Dubravka Maljevic bei den BG Kliniken an, dem Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung in Deutschland. Heute verantwortet sie als Führungskraft den gesamten medizintechnischen Bereich in dem Krankenhauskonzern und ist für die Strategie und Ausrichtung der Medizintechnik verantwortlich. Als Werkstudentin jobbte sie in der medizintechnischen Werkstatt im Untergeschoss des Berliner Unfallkrankenhauses, einem Vorzeigehaus des Klinikverbundes. Vorfreudig öffnet sie die Werkstatttür: „Die haben hier an mich geglaubt. Ich kam als Studentin und keiner kannte mich. Hier gaben sie mir die Möglichkeit, mich auszuprobieren, an den Geräten zu arbeiten und zu wachsen.“ Die Begrüßung ist herzlich. Einige kennen Dubravka Maljevic noch aus der Zeit, als sie hier als Werkstudentin und später als Medizintechnikerin gearbeitet hat. In dem mittelgroßen, hellen Raum gibt es Computerarbeitsplätze und eine Werkbank. Daneben einige Schränkchen mit sorgfältig beschrifteten Fächern für Kleinteile. Regale mit blauen und roten Kunststoffstapelboxen voller Kabel. Ein Ultraschall- und ein Beatmungsgerät stehen zur Wartung bereit. Konzentriert tüfteln zwei Medizintechniker und eine Medizintechnikerin über Reparaturen. Über das Gesicht von Dubravka Maljevic huscht ein Lächeln: „Hier steckt ganz viel Physik drin. Jedes einzelne der Geräte beruht auf physikalischen Prozessen!“ Schon als Kind hat sie sich für Technik interessiert. Neugierig nahm sie mit ihrem Vater ferngesteuerte Spielzeugautos und Fernseher auseinander, um sie dann wieder zusammenzusetzen. Die Faszination für Technik ist geblieben – ein Faible, das Leben rettet.

In der Werkstatt.  Das Druckmodul vom Patientenüberwachungsmonitor hat leider die sicherheitstechnische Prüfung nicht bestanden. Deshalb muss es ausgebaut und ausgetauscht werden. Dubravka Maljevic beherrscht wie früher noch alle Handgriffe.
In der Werkstatt.  Das Druckmodul vom Patientenüberwachungsmonitor hat leider die sicherheitstechnische Prüfung nicht bestanden. Deshalb muss es ausgebaut und ausgetauscht werden. Dubravka Maljevic beherrscht wie früher noch alle Handgriffe. Foto: Laurence Chaperon

„Wie eine Superheldin“ 

Im Krankenhaus legen Patient:innen ihr Leben nicht nur in die Hände des medizinischen Personals. Sie sind auch darauf angewiesen, dass die medizinischen Geräte zuverlässig funktionieren und die richtigen Messwerte ausgeben – Aufgabengebiet der Medizintechnik. „Wir betreuen den gesamten aktiven medizintechnischen Gerätepark des Krankenhauses – also alle Geräte mit Stromanschluss, die dazu dienen, eine Diagnose zu stellen, eine Therapie durchzuführen oder eine Krankheit zu lindern. Dazu gehören neben den bildgebenden Geräten,  z.B. aus der Röntgentechnik, auch Überwachungssysteme, die Vitalparameter wie Blutdruck oder die Herzfunktionen messen. Und dann gibt es noch Narkose-, Beatmungs- und Infusionstechnik. Dialysemaschinen, OP-Systeme, OP-Tische und -Leuchten“, sprudelt es lebendig aus Dubravka Maljevic heraus. Sie kennt die technischen Raffinessen all dieser Geräte und auch mögliche Fehlerquellen, wenn in Situationen extremer Belastung mal ein Gerät nicht so funktioniert, wie es soll. Für das Leben der Patient:innen ist es in solchen Fällen extrem wichtig, dass die Fachleute verschiedener Disziplinen gut zusammenarbeiten. Dass Dubravka Maljevic mit ihrer Expertise dazu beitragen kann, Menschenleben zu retten, erfüllt sie mit Freude: „Stellen Sie sich vor: Sie bekommen einen Anruf und werden in den OP gerufen. Irgendetwas funktioniert nicht und Sie bringen das wieder in Ordnung, wie eine Superheldin – tadaa!“ Bei der Fehlersuche sei analytisches Denken gefragt: „Es ist wie Detektivarbeit. Und wenn Sie das Rätsel geknackt haben, freuen Sie sich doppelt: Erstens, weil Sie ihr Hirn angestrengt haben – da oben hat’s gearbeitet – und zweitens: die Erleichterung und Dankbarkeit auf der Anwenderseite.“  Medizintechnische Geräte und Systeme sind sehr teuer in der Anschaffung und dementsprechend auch in der Pflege. Die Medizintechnik im Berliner Unfallkrankenhaus umfasst einen Wert von 50 Millionen Euro – damit bewegt sich das Budget im Vergleich zu anderen Kliniken im oberen Segment. Dubravka Maljevic bezeichnet ihren Arbeitsplatz als „Mekka der Medizintechnik“. Die wirtschaftliche Verantwortung dafür zu tragen, ist groß. Für Dubravka Maljevic bestand gerade darin der Reiz, diese Stelle anzutreten: „Ich hatte ja schon vorher eine sehr gute Führungsposition in einem anderen Unternehmen. Aber hier bekam ich die Möglichkeit, einen ganz eigenen Bereich aufzubauen und zu gestalten. Ein tolles Abenteuer! Mein Ziel ist: technisch auf dem neusten Stand zu sein, ganz nah am Puls der Zeit.“.

Lebensrettende Möglichkeiten modernster Technik

Weiter geht es in die Rettungsstelle – da befinde sich so viel tolle Technik, die sie unbedingt zeigen müsse, macht Dubravka Maljevic im Gehen neugierig. Türen öffnen und schließen sich. Ein kurzer Blick in den Schaltraum, wo auf großen Monitoren die Diagnose-Ergebnisse aus der Ganzkörper-Computertomographie einlaufen, wenn Schwerstverletzte mit multiplen Verletzungen in der sogenannten Trauma-Spirale positioniert werden. Goldstandard in der Diagnostik. Durch eine Glasscheibe beobachtet Dubravka Maljevic, wie ein Patient in den Raum mit dem großen CT-Gerät gefahren und umgelagert wird. Was sie vor allem interessiert: dass die Technik macht, was sie soll – und das tut sie. Bevor sie weitergeht, tauscht sie sich mit dem medizinischen Personal aus und vergewissert sich, ob ihr Eindruck stimmt. Fachübergreifende Kommunikation ist wichtig. Weiter geht’s. Wenn sie an Menschen mit schmerzverzerrten Gesichtern vorbeieilt, die im Gang sitzen und warten oder benommen in rollbaren Betten liegen, wirkt sie auf Außenstehende unbekümmert. Doch das Schicksal der Menschen ist ihr nicht egal. Dubravka Maljevic setzt lediglich einen anderen Fokus: Sie sieht auf der Rettungsstation wunderbare Möglichkeiten, wie Menschen mithilfe modernster Technik geholfen werden kann. „Im Laufe der Zeit legen wir uns natürlich in dieser beruflichen Umgebung auch ein Schutzschild zu.“ Wenn Probleme auftauchen, begegnet Dubravka Maljevic ihnen nicht mit Furcht, sondern mit Zuversicht. Lösungsorientiertes Denken bringt weiter.

„Ich halte nichts von reinen Frauen- oder Männergruppen. Nur zusammen ist es möglich, etwas zu verbessern: mehr Sichtbarkeit, mehr Gleichberechtigung zu erreichen. Wenn alle das einbringen, was sie am besten können, entsteht was Schönes.“

Dubravka Maljevic

Chancengleichheit funktioniert nur gemeinsam

„Ein Medizinstudium hätte mich früher auch interessiert, aber als Kriegsflüchtling konnte ich lange kein Blut sehen“, erzählt Dubravka Maljevic. Das Studium der Medizintechnik bot die Möglichkeit, Menschen zu helfen, ohne dabei direkt am OP-Tisch stehen zu müssen. Außerdem faszinierte sie der Facettenreichtum des Faches. Auf dem Vorlesungsplan standen physikalische Technik, Medizinphysik, Entwicklung und Sensorik. Mathematik, Elektrotechnik und Informatik spielten ebenfalls eine große Rolle und Fächer wie Biologie, Anatomie und Physiologie. Weil Deutschland weltweit der drittgrößte Produzent von Medizintechnik ist, gingen die meisten ihrer ehemaligen Kommilitonen und Kommilitoninnen nach dem Studium in die Entwicklung, auch Dubravka Maljevic arbeitete nach Abschluss ihrer Diplomarbeit für eine Weile in diesem Bereich. Doch die Nähe zu den Menschen, die von der Technik direkt profitieren, war ihr wichtig. Dubravka Maljevic betritt ein Zimmer, in dem ein Patient an eine Beatmungsmaschine angeschlossen ist. Reglos liegt er da, die Augen geschlossen. Die Medizintechnikerin deutet auf den Monitor neben seinem Bett und dann auf das Gerät, das den älteren Mann mit Sauerstoff versorgt. Detailliert erklärt sie die Funktionsweisen und wofür die einzelnen Anzeigen wichtig sind. Frauen sind im Bereich der Medizintechnik unterrepräsentiert. Ein Umstand, den Dubravka Maljevic nicht nachvollziehen kann. Ihr Job sei abwechslungsreich und bedarf eines großen Verantwortungsbewusstseins. Kommunikation und Einfühlungsvermögen sei wichtig – besonders in kritischen Situationen. Als Führungskraft versuche sie, Abläufe effizienter zu gestalten und durch kluge, strategische Entscheidungen die Arbeit für die rund 14.000 Beschäftigten im Klinikkonzern sowie die Behandlung für die Patienten und Patientinnen zu verbessern. Dabei findet sie auf allen Ebenen gemischte Teams wichtig: „Ich halte nichts von reinen Frauen- oder Männergruppen. Nur zusammen ist es möglich, etwas zu verbessern: mehr Sichtbarkeit, mehr Gleichberechtigung zu erreichen. Wenn alle das einbringen, was sie am besten können, entsteht was Schönes.“ Eltern und Gesellschaft können jede Menge dazu beitragen, dass Geschlechterklischees verschwinden. Mädchen können Technik, ist Dubravka Maljevic überzeugt und fügt hinzu, dass sie durchaus feminin aussehen dürfen: „Viele denken immer an solche Nerds. Aber nein, es gibt wunderschöne Frauen, die sich mit Naturwissenschaften auskennen. Das ist kein Widerspruch.“ Das gibt die zweifache Mutter auch ihren beiden Töchtern mit auf den Weg. Genauso, wie sie jungen Kolleginnen zeigt, stabile berufliche Netzwerke zu knüpfen. Gegenseitige Unterstützung sei wichtig – übrigens ebenso in privaten Beziehungen: „Augen auf bei der Partnerwahl! Karriere funktioniert nur, wenn beide die gleichen Werte teilen und sich gegenseitig unterstützen.“

Im Herzkatheter-Labor.  Die Hämodynamik wird auf den Bildschirmen aufgezeichnet. Dubravka Maljevic geht der Frage nach, ob alle Sensoren aktiv sind. Im Hintergrund die Röntgenanlage und das Patientenüberwachungsmonitoring. Die Hämodynamik beschreibt den Blutfluss in den Blutgefäßen in Abhängigkeit von den verantwortlichen Kräften. Störungen im Blutfluss werden von Kardiologen hier interventionell behoben. Foto: Laurence Chaperon

Mutigen Möglichkeiten geben

Weiter geht’s in den Fahrstuhl, zwei Etagen höher. Was rät Dubravka Maljevic anderen Frauen auf dem Weg nach oben? Den einen perfekten Ratschlag gebe es nicht, überlegt sie.  Doch bei einer Sache ist sie sich sicher: „Wer ein Ziel hat, einen Traum, soll daran festhalten. Es gibt immer einen Weg!“ Das Wichtigste sei es, sich nicht aufhalten zu lassen von Leuten, die sagen, dass etwas nicht geht, „sondern an sich selbst zu glauben. Wir alle haben dieses gewisse ‚Etwas‘ in uns.“ Es sei wichtig, sich mit Menschen zu umgeben, die ebenfalls daran glauben, die den Mutigen Möglichkeiten geben. Wer ihre Vorgeschichte kennt, weiß: Sie sagt das nicht einfach so daher. Über die Frage, wie viel davon in der femMit stehen darf, hat sie lange nachgedacht.

Resilienz dank unbeschwerter Kindheit 

Die ersten Worte zu ihrer Vergangenheit kommen zögerlich. Dubravka Maljevic blickt nicht gern zurück – nicht, weil sie nicht dazu steht, sondern: „Weil ich mich nicht in der Vergangenheit aufhalten kann. Ich kann da heute nichts mehr verändern. Gestalten kann ich nur die Gegenwart und damit die Zukunft.“ Doch ist ihr dabei bewusst, dass ihre Geschichte Einfluss darauf hat, wie sie heute mit Herausforderungen umgeht. Ihre Kindheit verbrachte Dubravka Maljevic in der Adria-Stadt Dubrovnik, gemeinsam mit ihren Eltern und ihren beiden Brüdern. Auch wenn nicht immer alles einfach für die Familie war, sei sie im Großen und Ganzen unbeschwert aufgewachsen. Das liebevolle Verhältnis zu den Eltern habe sie resilient gemacht gegen so manches, was später kam. Da ist zum Beispiel die Erinnerung, wie sie als kleines Mädchen auf den Schultern ihres Vaters saß, und die beiden fröhlich durch die Straßen der prunkvollen Festungsstadt ziehen, vorbei an Barock- und Renaissance-Palästen. „Mein Vater hat mich überall hin mitgenommen, zum Schachspielen, zum Bootfahren, zum Tauchen, manchmal sogar auf eine Unterwasserjagd oder auf den Markt.“ Dubravka Maljevic war von klein auf wissbegierig. Im Alter von drei Jahren konnte sie kyrillische und lateinische Buchstaben lesen und schreiben. Wenn die Händler:innen auf dem Markt nach Lösungen für ihre Kreuzworträtsel suchten, fragten sie gern das aufgeweckte Mädchen, das sie war. Denn es hatte sich herumgesprochen, dass das Kind vieles wusste. Mit fünfeinhalb wurde sie eingeschult, nachmittags lernte sie in der Musikschule Akkordeon. Wäre der Krieg nicht dazwischengekommen, hätte sie vielleicht eine musikalische Laufbahn eingeschlagen. 

„Naturwissenschaften sind universell. Dadurch waren sie für mich wie eine Brücke in die deutsche Gesellschaft. Sie haben mir den Weg erleichtert, auch, um die Sprache zu lernen.“

Dubravka Maljevic

Fliehen und neu ankommen

Als Dubravka Maljevic elfeinhalb Jahre alt war, verwandelte sich ihre Heimatstadt am blauen Meer in einen Kriegsschauplatz. Die Jugoslawische Volksarmee nahm Dubrovnik unter Raketen- und Granatenbeschuss. „Ich weiß ganz genau, wie sich das anfühlt, wenn man rausgeht, um Milch zu kaufen und nicht weiß, ob man lebendig zurückkommt.“ Die Familie ist geflohen. Schweren Herzens, nach viel Leid und mit einem Hilfskonvoi des UNPROFOR/UNHCR. „Krieg ist so sinnlos. Am Ende werden immer viele unschuldige Menschen sterben. Wofür?“ Das beste Mittel, die Welt zu verändern, sei immer noch Bildung. Ihr Herzensthema.  Daher engagiert sich Dubravka Maljevic ehrenamtlich als Präsidentin des Fachverbandes für Biomedizinische Technik und fördert Studentinnen als Mentorin. In der Männerdomäne Medizintechnik will sie für frischen Wind sorgen, mit voreingenommenen Haltungen aufräumen und dazu beitragen, überkommene Denkmuster aufzulösen. Dass vieles, was den meisten Deutschen als selbstverständlich erscheint, nicht selbstverständlich ist, hat Dubravka Maljevic als junger Mensch erfahren müssen – ein sicheres Zuhause, ein Schulbesuch, eine Ausbildung. Als sie mit ihrer Familie nach Deutschland flüchtete, dachten sie nicht, dass es ein Abschied für immer werden sollte. Auch in Deutschland ging die Politik davon aus, dass die Geflüchteten nur kurz bleiben würden. „Daher war nie vorgesehen, dass die Erwachsenen arbeiten und eine Arbeitserlaubnis bekommen, dass die Kinder in die Schule gehen.“ In ihrer alten Heimat hat die Mutter von Dubravka Maljevic ein Wasserkraftwerk geleitet. Ihr Vater war Werkzeugmechaniker. In seiner Freizeit hat er leidenschaftlich gern gemalt. In Deutschland war es den Eltern nicht erlaubt, zu arbeiten. „Stellen Sie sich mal vor, Sie kommen in einer ganz fremden Welt an und dann … ja, was machen Sie da den ganzen Tag? Die ganze Woche? Ohne irgendeine Beschäftigung, und Geld haben Sie auch nicht.“ 

Mit der Isolation in der Flüchtlingsunterkunft und damit, dass ihr der Zugang zu Bildung verwehrt wurde, hat sich Dubravka Maljevic nicht abgefunden: „Ich wollte unbedingt zur Schule. Das war die einzige Möglichkeit, sich mit der Welt in Verbindung zu setzen. Und ich wusste, was ich kann.“ Ohne Deutschkenntnisse aber mit viel Durchsetzungsvermögen überzeugte sie die Leitung des Flüchtlingsheims, den Gesundheitsdienst und einen Schulrektor – auf Englisch. „Anfangs konnte ich kein Deutsch. Meine Allgemeinbildung und das Wissen – zum Beispiel im Unterrichtsfach Geschichte – haben hier nicht viel genützt. Was wusste ich denn vom 30-jährigen Krieg in Deutschland?“ Im Gegensatz dazu galt auch hier, was sie in Mathe und Physik gelernt hatte: „Naturwissenschaften sind universell. Dadurch waren sie für mich wie eine Brücke in die deutsche Gesellschaft. Sie haben mir den Weg erleichtert, auch, um die Sprache zu lernen“, erinnert sich Dubravka Maljevic. „Beim Sprechen in diesen Fächern ging es um eine Sache, und wenn der Artikel nicht stimmt, wurde ich ein bisschen korrigiert. So habe ich schnell die Sprache gelernt. Den Rest konnte ich mir leicht erschließen.“ Außerdem hatte sie eine gute Deutschlehrerin. Innerhalb weniger Monate lernte sie Deutsch und übersetzte bald für andere aus der Flüchtlingsunterkunft bei Behördengängen.

Ölgemälde von Dubrovnik. Dubravka Maljevics Vater malte die alte Heimat, die Altstadt von Dubrovnik, die Perle an der Adria, auf Leinwand.

Abitur unter ständiger Angst vor der Abschiebung

Als Jugendliche mussten Dubravka Maljevic und ihre Familie alle sechs Monate einen neuen Antrag stellen, der zum Bleiben berechtigte. Alle sechs Monate die ganz reale Gefahr, das bisher Erreichte hinter sich zu lassen. Abitur unter ständiger Angst vor der Abschiebung. Das Land Berlin durfte sie nicht verlassen, ihre Jugend verbrachte sie in einer Flüchtlingsunterkunft zusammen mit anderen Familien. Trotz dieser Umstände absolvierte sie ihr Abitur – und amüsierte sich wie all die anderen aus ihrer Klasse über gewisse Eigenheiten bestimmter Lehrkräfte. Humor hilft, und der unbeirrbare Glaube an das eigene Können. Doch nach dem Abi tauchten neue Schwierigkeiten auf: Dass Dubravka Maljevic in Deutschland eine Ausbildung oder ein Studium beginnt, war aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen nicht vorgesehen. Auf den Versuch, sich für ein Studium einzuschreiben, folgte die Absage. Aufgrund ihres Duldungsstatus war es ihr nach geltendem Recht nicht erlaubt, zu studieren. Doch der Ablehnungsbescheid enthielt auch einen Hoffnungsschimmer: Buchstaben in sehr kleiner Schrift, die über das Widerspruchsrecht aufklärten. Dubravka Maljevic machte davon Gebrauch. Sie wollte etwas leisten, sich einbringen in die Gesellschaft. Doch ihr Widerspruch wurde abgewiesen. Kein Grund für sie, den Kopf in den Sand zu stecken. Sie klagte sich durch mehrere Instanzen. Aufgrund der Rückschläge wandte sie sich parallel dazu mit ihrem Anliegen, doch studieren zu dürfen, an den Petitionsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Der prüfte ihre Bitte und machte das Unmögliche möglich: Für Dubravka Maljevic gab es eine Sondergenehmigung. Damit konnte sie ihr Studium aufnehmen und die laufenden Klageverfahren einstellen. Die Hartnäckigkeit hat sie sich behalten. Wenn sie etwas will, sie etwas unlogisch findet oder ihr etwas wichtig erscheint, setzt sie alle Hebel in Bewegung, um mit sachlichen Argumenten ihr Ziel zu erreichen. Eine Eigenschaft, die einen Teil ihres Erfolges ausmacht. Ihr Studium meisterte sie erfolgreich. Am Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik, dem Heinrich-Hertz-Institut, schrieb sie ihre Diplomarbeit im Bereich Halbleiter-Laser. Weil sie keinen Anspruch auf BaföG hatte, jobbte sie während des Studiums als Werkstudentin am Berliner Unfallklinikum in der Medizintechnik. Hier konnte sie sehen, wie das Wissen aus der Physik in der Praxis angewendet werden kann. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie bei einer Tochterfirma von Siemens und sammelte internationale Erfahrungen in England, Frankreich und den USA. Im Jahr 2018 kehrte sie zurück an die BG Kliniken – als Führungskraft. Zu den wichtigsten Themen gehören Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Robotik, IT-Sicherheit, Virtual Reality und sogar Gamification für Rehabilitationsmaßnahmen. Für diese Herausforderungen sei Kommunikation und interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den anderen Fachbereichen wichtig. Dabei profitiert sie von ihren Einblicken aus früheren Zeiten: „Ich bin ja Stufe für Stufe gegangen und nicht von ganz unten plötzlich ganz nach oben. Die Erfahrung unterwegs ist wichtig, auch um zu wissen, was an der Basis gebraucht wird.“

Energie durch Sport, Lebensfreude und gutes Essen

Bleibt die Frage, woher Dubravka Maljevic die Energie für all das nimmt? Die Antwort kommt prompt und wird mit einem Lachen quittiert: „Es gibt ja einen Energieerhaltungssatz. Da heißt es: Energie vorher gleich Energie nachher. Es ist ein Kreislauf.“ Auch im Privaten mag sie Herausforderungen: Sie genießt Bewegung an der frischen Luft und körperliche Anstrengung. In ihrer Freizeit geht sie Klettern, Segeln und fährt viel mit dem Rad. Und dann lacht sie wieder und beugt sich etwas vor, wie um ein Geheimnis zu verraten: „Ich bewege mich auch deshalb so viel, weil ich so gerne esse!“ Sie liebt gute Restaurants, tanzt gern und spielt gelegentlich Akkordeon. Die Zeit mit ihrer Familie ist ihr heilig. Und noch etwas ist ihr wichtig: Humor. „Ohne Humor würde ich in meinem Leben nicht überleben.“ Wenn sich Dubravka Maljevic eine Superkraft aussuchen würde, dann die: „Leute zum Lachen zu bringen.“ —

Hinweis: Dieser Text erschien in femMit Magazin Ausgabe 4

Foto: Laurence Chaperon

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