Von Level zu Level

Olympionikin und ­Managerin Christiane Reppe

Interview und Porträt: Claudia Gersdorf

„Wer sich mit Problemen beschäftigt, kreiert Probleme. Wer sich Lösungen zuwendet, schafft Lösungen.“
(Anm. der Autorin: frei nach Steve de Shazer)

Christiane Reppe ist lösungsorientiert und liebt Herausforderungen. Sie sucht stetig neue Abenteuer, befindet sich in permanenter Weiterentwicklung. Das zahlt sich aus: Als Leistungssportlerin wird sie mehrfache Meisterin – in gleich drei Sportarten.

Weiterentwicklung durch Herausforderung 

„Gerade am Ende, auf den letzten 10 von 28 Kilometern, dachte ich jede Sekunde: Ich muss aufhören, jetzt sofort aufhören! Ich habe diesen Kampf mit mir selbst geführt – und mit meinem Kopf gewonnen.“ Für den guten Zweck entscheidet sich Christiane Reppe im letzten Jahr dazu, die Aktion eines befreundeten Schwimmtrainers aktiv zu unterstützen – spontan und unvorbereitet. Sie umrundet schwimmend die Insel La Graciosa, nur eine halbe Stunde von Lanzarote entfernt. Sie reüssiert mit links und dank ihres ungebrochenen Willens. 

Mit fünf wurde der Dresdnerin das rechte Bein aufgrund eines bösartigen Nerventumors amputiert.

Christiane Reppe beginnt im Alter von 11 Jahren ihre sportliche Karriere als Schwimmerin und krönt sie als Paralympics Siegerin im Handbiking 2016 mit der Goldmedaille in Rio de Janeiro. Heute ist sie Produktmanagerin – nach lediglich einem Jahr Traineeship im neuen Beruf.

„Ich bin sehr zielstrebig, ehrgeizig, ich bin fröhlich, das war schon immer so, eine Charaktersache“, sagt sie. „Ich lache einfach sehr gerne, und daran sieht man auch immer, ob es mir gut geht oder nicht.“ In ihrer unverkennbaren Art ist Christiane Reppe beliebt und geschätzt, man verbringt sehr gerne Zeit mit ihr. „Ich merke natürlich, wenn mich jemand mit großen Augen anschaut, weil er denkt: ‚Wow, attraktive Frau!‘ – oder: ‚Oh, da ist etwas nicht so, wie ich das kenne.‘ Meine Freund:innen attestieren mir immer wieder: Wenn man mit mir unterwegs ist, sprechen uns die Leute an.“ Die Menschen sehen sie zwar auf Krücken laufen, seien es jedoch so gewohnt, dass jede:r von uns zwei Beine und zwei Arme hat – der Kopf spiele in dem Moment dann seinen eigenen Film ab: „Sie sehen erst mal nicht, dass ich nur ein Bein habe. Wenn sie mich dann betroffen fragen, erkläre ich ihnen kurz, was los war: dass ich Krebs hatte und sehr gut mit allem klarkomme.“

Es seien hingegen die bohrenden, oft deplatzierten Fragen in Gesellschaft, die sich Christiane Reppe selbstbestimmt vom Hals hält. Hier kennt sie keine Samthandschuhe (die sie für sich selbst im Übrigen auch nie in Anspruch nehmen würde). Denn Taktgefühl und Sensibilität gegenüber dem Menschen sollten stets selbstverständlich sein: „Ja, so ist das Leben mit all seinen Konsequenzen für die Worte und Taten, die wir wählen. Warum muss ich alles abfedern? Meine Mitmenschen können sich erst einmal Gedanken machen, bevor sie etwas sagen und nicht andersherum.“ Das Gespräch unter vier Augen könnte vielmehr Anlass sein, in die Tiefe ihres Lebens zu tauchen – und ja, sie kann sich auch in Menschen hineinversetzen, die keinerlei Berührungspunkte mit erfolgreichen Sportler:innen mit Behinderung haben. 

Aufgeben war und ist für sie keine Option. Sie setzt sich immer wieder neue Ziele, scheut keine Herausforderung und weiß: Wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende. Und wenn es das Ende ist, dann ist Zeit für Neues. „Ich bin irgendwann einfach mit etwas fertig. Und Schwimmen habe ich ja sehr lange gemacht. Wenn ich das erreicht habe, was ich erreichen wollte, dann ist der Anreiz für mich weg. Dann ziehe ich weiter. Ich glaube auch gar nicht, dass man das negativ bewerten sollte, sondern es ist etwas sehr Positives, sich neue Ziele zu stecken.Tatsächlich hat man neue Risiken und muss wieder neu anfangen etwas zu erlernen.“ Auf die Frage, ob sie sich bei all dem Tatendrang auch gut Grenzen setzen kann, antwortet sie: „Ich werde besser, gelassener in vielen Dingen.“ 

„Positiv getrieben“ – so betitelt die Sporthilfe einen Porträt-Kurzfilm über Christiane Reppel. Ich will wissen, ob sie dies bestätigen kann. Sie zögert keine Sekunde und bekräftigt: „Total. Nur positiv!“ Obgleich der Übergang vom Schwimmen zum Handbiken nicht ausschließlich positiv war. Der Prozess bis dahin forderte vieles ein: Den Weggang aus dem geliebten Schwimmsport und der gewohnten Umgebung; Nerven, Energie- und Kraftverlust. 

Der Weg zum Gold in Rio

Als ihr Kampfgeist wiedererwachte, fängt Reppe erneut mit dem Sport an. Nachts schreckt sie mehrfach aus dem Traum hoch, in Rio ganz oben auf dem Treppchen zu stehen – ohne zu wissen, in welcher Sportart. Also schaut sie sich nach einem passenden neuen Sport um und stößt auf das Handbiking. Sie lässt alles stehen und liegen, sucht sich einen Trainer und bezahlt ihn aus eigener Tasche. Sie will unbedingt in Rio gewinnen. Und sie gewinnt. „Es war kein einfacher Weg. Und das muss es ja auch nicht“, kommentiert Christiane Reppe. Dieser innere Antrieb sich weiterzuentwickeln, besser zu werden, Erfolg zu planen und Ziele zu avisieren, das alles zeichnet sie als Ausnahmesportlerin aus. Und auch als Menschen. Die Bedingungen, die es für Meisterschaft und Erfolg zu erfüllen gilt, nimmt sie gerne an. Als wichtig empfindet sie es dabei, die Erfolge auch feiern zu können. Das habe sie im Sport gelernt, gilt aber genauso für den jetzigen Job im Produktmanagement. 

„Es ist wichtig, dass man nicht aufgibt. Ich habe viel durch Mentaltraining ­gemacht damals. Ich habe mein Ziel visualisiert – und das immer und immer wieder.“ Zitat Christiane Reppe

Ein essentieller Erfolg in ihrem Leben ist eindeutig die Paralympics Goldmedaille. Immer wieder sagt Reppe den Satz, den wir uns alle öfter sagen sollten: „Ich bin so richtig stolz auf das, was ich geschafft habe!“ Aus einer Krisensituation heraus in die Transformation zu gehen, Neues zu erlernen und noch viel Größeres zu erschaffen – ja, das ist Meisterschaft.

„Aber es war viel Arbeit“, beschreibt Reppe ihren Weg zu dem Olympia-Gold. „Es ist wichtig, dass man nicht aufgibt. Ich habe viel durch Mentaltraining gemacht damals. Ich habe mein Ziel visualisiert – und das immer und immer wieder. Und man muss schauen, auf wen man hört. Man muss selbst entscheiden und den eigenen Weg gehen.“ 

Sport-Life-Balance

In der Vorbereitungszeit zu den Paralympics trainiert sie zu Spitzenzeiten sieben Stunden am Tag. Wassertraining, Ergometer, Krafttraining und mehr. Vieles muss dem Sport untergeordnet werden. Da fällt auch schon mal das Studium und das entsprechende Prüfungspensum hinten runter. Reppe studiert zu dem Zeitpunkt Wirtschaftspsychologie, darf später den Studiengang wechseln – BWL meistert sie nebenbei. Vorrang haben Trainingspläne, wichtige Auftritte und Reisen. Als Sportler:in das eigene Netzwerk zu pfelgen, auch in Hinblick auf die persönliche und berufliche Zukunft, empfindet sie als wichtige Aufgabe. Immerhin gilt es nach der Sportler:innen-Karriere in einem ansprechenden Job Fuß zu fassen.

„Man muss die Balance finden, sodass man viel arbeitet, viel Sport macht, viel investiert und damit fokussiert ist. Aber trotzdem den Rest, das Leben nicht vernachlässigt.“

Ich möchte wissen, wie es um die Verdienstmöglichkeiten steht. Aktuell sei es im Parasport so, dass Medaillen für alle gleich vergütet werden. Ansonsten bleibe die Möglichkeit, einen Sponsoring-Vertrag von der Bundeswehr zu bekommen oder vom Zoll, sowie Stipendien der Telekom über die Deutsche Sporthilfe. Voraussetzung auch hier die individuelle Performance: Ein gewisses Level und der Kaderstatus sind fundamental. Um die hippen Verträge mit den großen Sportmarken gilt es sich selbst zu kümmern – hier handele es sich um private Sponsor:innenverträge. Ich frage mich, wo die Business Angels im Frauen- und Parasport sind. 

„Ich bin der Meinung, dass Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung besser werden und sich entwickeln, wenn man sie zusammenführt, und wenn man da die Brücke schafft.“ Zitat Christiane Reppe

Gelebte Inklusion durch Brücken im Alltag

Christiane Reppes Vision für den Sport und den Parasport setzt sie mit ihrer Vision für eine inspirierende und glückliche Gesellschaft gleich. Angefangen im Kindergarten und in der Schule bis hin zum Beruf sollte es keine Besonderheit mehr sein, Menschen mit und Menschen ohne Behinderung zusammenzuführen. 

Obgleich unsere aktuelle Realität dann doch anders aussieht: Das vermeintliche Mehr an Aufwand, ein Kind mit Körperbehinderung oder lediglich mit körperlich diversen Merkmalen zu trainieren, scheint nach wie vor eine Hürde zu sein. Innerhalb der Trainer:innenschaft herrsche hier noch immer eine Abwehrhaltung vor.

In Christiane Reppes Leben und insbesondere während ihrer kindlichen Entwicklung steuerte glücklicherweise ihre Mutter zugunsten des Trainings – und nicht das System zu ihren Ungunsten. 

„Ich bin der Meinung, dass Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung besser werden und sich entwickeln, wenn man sie zusammenführt, und wenn man da die Brücke schafft.“

Die Diskussionen rund um das Thema Kategorisierung im Parasport nimmt Christiane Reppe als etwas wahr, dass es immer geben wird. Ihrer Einschätzung nach wird es im Parasport nie komplett gerecht zugehen. Dann bräuchte es für jede Behinderung eine eigene Kategorie. Nicht realisierbar. Und auch im Nichtbehindertensport sind ja die unterschiedlichen körperlichen Gegebenheiten kein Thema. Die Teilnahme an Nichtbehindertenwettkämpfen, etwa mit einer Beinprothese, befürwortet Reppe nicht. Eine Beinprothese sei nun mal kein normales Bein. Es bleibt auch hier dabei: „Jede und jeder versucht einfach für sich das Beste rauszuholen!“ 

Immer das Beste rausholen

In einem zweiten Leben würde Christiane Reppe schon früher ihr eigenes Ding machen. Lange habe sie sich eine:n Mentor:in gewünscht, um dann festzustellen: „Da kommt niemand, der mich an die Hand nimmt, mir zur Seite steht, mich nach vorne bringt. Ich muss das einfach selbst machen und solange probieren, bis es gelingt.“

Das stellen Christiane Reppe und Family oft genug unter Beweis. Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) vergisst schlichtweg, sie ordnungsgemäß anzumelden und Reppe erfährt davon im Trainingslager. Sie stand einfach nicht auf der Anmeldeliste für die Weltmeisterschaft im südafrikanischen Pietermaritzburg. Reppe fährt trotzdem hin, ohne Bike. Sechs Stunden nach ihrer Ankunft kommt der Anruf rein: Sie kann doch starten. Der Verband hatte sich mit allen Kräften für sie eingesetzt. Also muss das Bike her. Ihr Vater macht sich auf den Weg und bringt es ihr. Die Anspannung war groß: Einigen Sportler:innen fehlte das Verständnis dafür, dass plötzlich Reppes Vater vor Ort war, dass die gesamte mediale Aufmerksamkeit auf ihr lag – vieles kam zusammen.

Und was passiert? Sie holt Gold. Zweimal.

Was Christiane Reppe jungen Athlet:innen mitgeben kann? „Versucht immer, das Beste für euch aus allem rauszuholen. Alle wollen etwas von euch – Sponsor:innen, Trainer:innen, Verbände. Am Ende, wenn ihr eure Leistungen nicht mehr bringt, seid ihr einfach raus. Umso wichtiger, auf das eigene Bauchgefühl zu hören!“

Aktuell befindet sie sich wieder in einer Phase der Weiterentwicklung. Sie ist neu in ihren Beruf eingestiegen, muss sich behaupten und zeigen, was die erfolgreiche Athletin denn sonst noch kann, will sich als vormalige Einzelkämpferin im Team zurechtfinden: „Klar hast du dein Team, aber du bist eigentlich keine Team-Sportler:in. Das muss ich lernen – und das tue ich sehr gerne und intensiv. Es ist mein Ziel, zu führen, vielleicht —

Christiane Reppes Sportlerinnen-Karriere

1998–2002
Im Alter von fünf Jahren wird Christiane Reppe das rechte Bein, aufgrund eines bösartigen Nerventumors, amputiert. Bereits mit elf Jahren startet sie ihre Sportkarriere im Schwimmen. Im Winter 2002 qualifiziert sie sich für ihre erste Weltmeisterschaft in Argentinien (zwei Bronzemedaillen).

2003–2007
Bei den Paralympischen Spielen in Athen (2004) gewinnt sie zweimal Bronze und wird dafür im selben Jahr mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet. 2006 qualifiziert sich Christiane Reppe für ihre zweite Weltmeisterschaft in Südafrika und siegt (Bronzemedaille). — Nach ihrem Abitur verlagert sie 2007 ihren Trainingsort nach Berlin und beginnt ihr Studium für Wirtschaftsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht.

2008–2012
Aufgrund einer Schulterverletzung verläuft die Paralympische Saison 2008 nicht optimal; dennoch ist die Teilnahme an den Paralympischen Spielen in Peking erfolgreich. Im Herbst 2011 neuer Fokus und Trainerwechsel. Neues Ziel: Paralympics in London 2012 (mit mehreren Finalteilnahmen und 5. Platz). — In ihrer Laufbahn als Schwimmerin konnte Christiane Reppe von 2002 bis 2012 große Erfolge verbuchen und hält bis heute mehrere deutsche Rekorde.

2013–2015
Nach den Paralympics in London 2012 beendet sie ihre Schwimmkarriere und damit zunächst auch den Leistungssport. Nur ein Jahr später entdeckt sie ihre Liebe zum Handbike-Sport. Bereits in ihrer ersten Saison schafft sie es durchgängig, bei allen Wettkämpfen einen Medaillenplatz zu belegen. — Während eines Weltcups in Spanien qualifiziert sie sich für ihre erste Weltmeisterschaft in Greenville, USA. Einige Wochen später gewinnt die Newcomerin völlig überraschend Bronze im Einzelzeitfahren und zwei Tage später Gold im Straßenrennen. Damit legt sie den Grundstein für eine erfolgreiche Zukunft in der Handbike-Szene. Im Sommer 2015 schafft sie es neben dem erneuten Weltmeistertitel, gemeinsam mit ihrem damaligen Team Sunrise eine neue Weltrekordzeit über die Marathondistanz aufzustellen.

2016–2017
Im Sommer 2016 krönt Christiane Reppe ihre bisherige Sportkarriere mit der Goldmedaille bei den Paralympics in Rio de Janeiro. Geehrt wird sie noch im selben Jahr mit ihrem bereits zweiten Silbernen Lorbeerblatt. — Nach Turbulenzen und Versäumnissen in der Anmeldung erfährt sie drei Tage vor dem Wettkampf, dass der Internationale Radweltverband UCI eine Nachmeldung zur WM in Südafrika nun doch zulässt. Christiane Reppe nutzt ihre Chance und gewinnt zweimal Gold.

2018–2022
Nach fünf erfolgreichen Jahren im Paracycling sucht sie die Herausforderung und setzt alles auf eine Karte. Sie will ihre fünften Paralympics bestreiten – und zwar im Paratriathlon. Bei ihrem ersten Triathlon auf Madeira beweist sie durch den Sieg einmal mehr ihre Vielseitigkeit.


Foto: privat

Kommentieren...

Deine Email Adresse wird nicht angezeigt..

Ich drück die Daumen, dass du findest, wonach du suchst.