Vorbild ist kein leeres Wort

Interviews sollen zum Nachdenken anregen, im besten Fall neue ­Gedanken platzieren. Dass das aber ausgerechnet beim Interviewten passiert, finden wir ziemlich toll und ehrlich. Musiker Max Mutzke bat uns, das Interview noch einmal führen zu können. Hier ist die zweite ­Fassung. 

Hallo Max! Was ist der Grund, dass wir das Gespräch über Frauen in der Musik noch mal führen?

Mich hat unser erstes Gespräch sehr zum Nachdenken gebracht. Offen gestanden hatte ich mich im Vorfeld nicht so mit dem Thema beschäftigt. Ich habe die Fragen gehört und dann festgestellt, dass ich mir erst einmal Gedanken machen muss. So ging es mir in meiner Karriere noch nie! Ich habe dann extra noch mit anderen Menschen gesprochen, etwa Götz Bühler, der beim WDR für die Neuveröffentlichungen zuständig ist. Auch er sagt, es ist wahnsinnig schwer, 50 Prozent Frauen zu finden in einer Musikwelt, die einen so großen Männerüberschuss hat.


Woran liegt das, dass es da so große Unterschiede gibt?

Ich glaube, das ist ein strukturelles Problem. Wir haben festgestellt, dass an Musikschulen, an denen Frauen unterrichten, auch wesentlich mehr Schülerinnen oder Studentinnen teilnehmen. Es gibt also so einen magnetischen Effekt: Wenn eine Frau vor Ort ist, zieht sie Frauen nach sich. Ein zweiter Grund, das hat mir mein Bruder erzählt, der sich bei einer Big Band beworben hatte: Bei der Neubesetzung sitzen in den Entscheidungsgremien immer Männer, die super gerne einen Freund von sich mitnehmen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen guten Musiker kennen, ist sehr viel höher, als dass sie eine gute Musikerin kennen. Weil es einfach mehr gibt, weil sie in ihrem Studiengang mit 99 Prozent Männern umgeben waren und Bünde und Freundschaften geschlossen haben.

„Wenn du im Studium nur Männer um dich herum hast und auch deine Dozenten alle männlich sind, musst du als Frau automatisch mindestens 150 Prozent mehr Leidenschaft, 200 Prozent mehr Motivation und Optimismus haben.“

Max Mutzke

Was sind Deiner Meinung nach die Folgen?

Wenn du im Studium nur Männer um dich herum hast und auch deine Dozenten alle männlich sind, musst du als Frau automatisch mindestens 150 Prozent mehr Leidenschaft, 200 Prozent mehr Motivation und Optimismus haben. Dazu brauchst du eine gehörige Menge an Durchsetzungsvermögen und Standhaftigkeit, damit du dich überhaupt durchbeißen kannst. Als Mann schwimmst du in diesem Männerschwarm einfach mit. Da hast du nur die Qualität, die du zeigen musst. Du musst dich nicht übermäßig gut artikulieren können. Du musst nur geil spielen können. Aber als Frau reicht das nicht in der Männerwelt! Sie muss resistent sein, unempfindlich sein, tolerant sein gegenüber diesen sexistischen Sprüchen. Da sind also viel mehr Widerstände für Frauen. Deswegen ist wahrscheinlich auch die Abbruchquote höher. Denn irgendwann sagen sie sich dann eben, sie müssen sich das nicht antun.

Was können männliche Musiker tun?

Mein Bruder Menzel hat mir von Pablo Held, einem erfolgreichen Jazz-Pianisten aus Köln, erzählt, der immer, wenn jemand nicht mehr kann und er einen Ersatz sucht, schon seit mehreren Jahren immer aus Prinzip eine Frau nimmt. Das ist eine gute Entwicklung, dass das Thema bei einigen Männern angekommen ist. Aber man muss es trotzdem weiter ansprechen und man muss gegensteuern. Es wird aber leider noch lange dauern, bis sich das so richtig durchsetzt und wir eine Gender-Equality haben.

„Alle sollte angehalten sein, wenn sie entscheiden, wen sie einstellen, ob im Studium oder einer Band, dass das komplett unabhängig von Geschlecht, Religion, Äußerlichkeiten und Herkunft passiert. Das würde ich mir in allen Bereichen wünschen, nicht nur in der Musik.“

Max Mutzke

Was muss sich noch ändern, damit es mehr Frauen werden?

Wir müssen alte Machtstrukturen aufbrechen. Und es braucht Vorbilder. „Vorbild“ ist kein leeres Wort. Es ist doch im Moment so, dass sich kleine Kinder heutzutage fragen, ob auch ein Mann Bundeskanzler sein kann. Einfach, weil sie es nie gesehen haben. Das zeigt doch deutlich, dass Vorbilder etwas bewegen können. Und vielleicht braucht es auch eine Art Quote. 

Und: Dozent:innen an Musikhochschulen sollten geschlechtsneutral ausgewählt werden, damit sich die Zahlen ändern und eine Sogwirkung entsteht. Verdeckte Vorspiele sind dafür eine super Idee. Alle sollte angehalten sein, wenn sie entscheiden, wen sie einstellen, ob im Studium oder einer Band, dass das komplett unabhängig von Geschlecht, Religion, Äußerlichkeiten und Herkunft passiert. Das würde ich mir in allen Bereichen wünschen, nicht nur in der Musik.

Foto: Rian Heller

Hinweis: Dieser Text erschien erstmals im femMit-Magazin 1/2021

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