Wie bekämpfen wir Hass, Frau Nasr?
Rasha Nasr ist weiblich, ostdeutsch und hat syrische Wurzeln. Diese drei Eigenschaften haben sie in ihrem Leben oft Zielscheibe von Hass werden lassen. Doch die SPD-Politikerin kämpft. Für Demokratie, für Freiheit und für ihre Heimatstadt Dresden.
Autorin: Lisa Gerth
„Du gehörst nicht zu uns.“ Das ist ein Satz, den Rasha Nasr in ihrem Leben schon oft gehört hat. Sie wurde 1992 in Dresden geboren. Ihre Eltern wanderten in den 1980er-Jahren aus Syrien in die DDR ein. Deutschland ist ihre Heimat. Sie spricht schon als Kind fließend die Sprache. Nur ihr Aussehen verrät ihre syrischen Wurzeln. Trotzdem gehören rassistische Anfeindungen fast selbstverständlich zu ihrem Leben dazu. Seit sie als Politikerin aktiv ist, haben die Angriffe eine neue Dimension erreicht. Während des Wahlkampfes zur Bundestagswahl 2021 ist sie bei Veranstaltungen immer wieder angepöbelt oder angefeindet worden. „Das zieht sich bis in den Bundestag. Ich bekomme böse Blicke und muss mir Anfeindungen während meiner Reden gefallen lassen.“ Im Oktober forderte sie der AfD-Abgeordnete Roger Beckamp im Bundestag auf, sich für die „Aufnahme in Deutschland“ zu bedanken. Ihre erste Rede im Bundestag hielt sie zur Impfpflicht. Danach wartete eine Welle der Empörung auf sie: Hassnachrichten über Telegram, über 2.000 Mails pro Tag mit Bedrohungen und Anrufe von unbekannten Nummern. „Ich habe dann versucht, Schutz durch die Polizei zu bekommen und meine private Adresse schützen zu lassen. Doch da wurde ich lange abgewiesen mit der Begründung: ‚Bis jetzt sei doch noch nichts passiert‘.“ Sie musste kämpfen, bis die Behörden reagierten.
Es passiert. Täglich.
Allein im ersten Halbjahr 2023 zählte das Bundeskriminalamt 739 Angriffe auf Parteirepräsentantinnen und -repräsentanten. Dazu kommen Angriffe auf Parteibüros und Wahlplakate. Im Vergleich zum zweiten Halbjahr 2022 sind besonders die Parteien der Ampelkoalition betroffen. Die Grünen sind den Bedrohungen mit 301 Fällen am stärksten ausgesetzt. Beim Wahlkampf zur Landtagswahl in Bayern landete ein Stein mitten auf der Bühne, als Katharina Schulze und Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen im bayerischen Landtag, im September in Neu-Ulm auftraten. Alice Weidel sagt im Oktober ihren Auftritt bei einer Kundgebung ab, da es Hinweise auf einen Anschlag auf sie und auf ihre Familie gab. Die Parteien erhöhen ihre Sicherheitskonzepte. Rasha Nasr geht nicht mehr allein zu Terminen. Im vergangenen Sommer hat sie während einer Bahnfahrt einen tätlichen Angriff erlebt. Da waren gerade die Pläne zur Gasumlage bekannt geworden. Ein Mann habe sie erkannt, sich die Maske vom Gesicht gerissen und sie angebrüllt. „Er sagte zu mir: ‚Wir gehören alle an die Wand gestellt‘“. Auch in ihrer Heimatstadt Dresden wurde sie in der Bahn oder auf der Straße beleidigt. Obwohl Rasha Nasr von sich selbst sagt, dass Hass schon immer zu ihrem Leben dazugehört, ist es schwer für sie, damit umzugehen. „Natürlich habe ich Angst. Natürlich belastet das meine Psyche. Es geht ja nicht nur um mich, sondern auch um meine Familie, meine Freunde und mein Team.“ Trotzdem werde sie nicht aufgeben. „Ich habe den Menschen in der Vergangenheit zu viel Macht über mich gegeben. Das darf nicht mehr passieren. Ich habe mich für den Weg in die Politik entschieden und gehe in dieser Rolle auf. Ich gehöre sehr wohl dazu.“ Demokratie schützen bedeute für sie auch, die Kraft aufzubringen, zu kämpfen.
Innere Sicherheit durch Selbstverteidigung
Um in schwierigen Situationen besser reagieren und sich schützen zu können, hat Rasha Nasr einen Selbstverteidigungskurs mit ihrem Team gemacht und das öffentlich geteilt. Für die Instagram-Story bekam sie so viel Zuspruch, dass sie mit einem Reel ihre Position noch mal verstärkt hat. „Wir finden uns in einer Situation wieder, die wir nicht mehr allein meistern können“, sagt sie darin. Der Kurs habe ihr vermittelt, dass sie stark ist und den Mut hat, sich zu wehren. „Es ging nicht darum, sich zu prügeln, sondern die Situation schon vor einem möglichen Angriff zu entschärfen. Und, falls es doch passiert, zu wissen, wie man am besten reagiert.“ Neben der körperlichen Verteidigung in einer Gefahrensituation zielt realistische Selbstverteidigung darauf ab, das Selbstbewusstsein zu stärken. Einfache Anwendungsmethoden geben innere Sicherheit. Genau zu wissen, wozu man in der Lage ist, hat einen positiven Effekt auf die Selbstsicherheit im Alltag und trägt zur Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens bei. Durch innere Sicherheit wird Stress abgebaut und die Resilienz nachhaltig gestärkt. Rasha Nasr fühlt sich nach ihrem Kurs sicherer.
Nur der Dialog zählt
Auf politischer Ebene versucht die 31-Jährige Konflikte durch Dialog zu lösen. „In meinen Gesprächen merke ich, dass es eigentlich allen Menschen nur um eins geht. Wir wollen alle ein sicheres Leben. Wenn irgendetwas nicht funktioniert, wird nach Ausreden gesucht. Da sind dann die Ausländer:innen Schuld oder die Politiker:innen. Aber eigentlich tragen die Menschen eine persönliche Geschichte mit sich herum, die oft tiefer geht.“ Rasha Nasrs Strategie gegen diese Vorurteile ist Kommunikation. Sie spricht mit Menschen, fragt, was sie beschäftigt, und erklärt, welche Lösungen die Politik dafür bereithält. „Ich will das Bild aufbrechen vom Politiker, der übermächtig ist. Wir müssen miteinander reden, statt übereinander. Dass nicht immer alle einer Meinung sind, ist klar. Aber das macht die Demokratie doch aus. Da gehört auch mal ein Streit dazu.“ Den momentanen politischen Kurs in Fragen der Migration kritisiert Rasha Nasr. Sie plädiert für die Abschaffung von Arbeitsverboten und Wohnsitzverpflichtung, für den Austausch mit den Kommunen und pragmatische Lösungen. „Eine diverse Gesellschaft ist so wichtig für uns. Nur gemischte Perspektiven bringen uns weiter.“
Ein Herz für Dresden
Obwohl Rasha Nasr in ihrer Heimat seit sie denken kann rassistischen Anfeindungen ausgesetzt war, liebt sie Dresden und setzt sich dafür ein, dass sich die Menschen in der Region wohlfühlen. Trotzdem verschweigt sie nicht, dass die Stadt ein Rassismusproblem habe. Das könne man aus ihrer Sicht nur lösen, wenn alle Parteien konstruktiv zusammenarbeiten, die Verwaltung entschlackt und die Stadtplanung menschenfreundlicher gestaltet werde. Mit ihrer Politik will sie erreichen, dass alle Menschen in Dresden eine Perspektive bekommen. —
Foto: Amac Garbe