Schicksal und Mission: Posaunistin
Jazzmusik, Posaune und jede Menge Leidenschaft. Das ist Antonia Hausmann aus Leipzig. Die junge Musikerin hat es trotz zahlreicher Hürden geschafft, sich in einem eindeutig männlich dominierten Musikgenre einen Namen zu machen.
Text: Denny Niesar
Es ist eine Szene, wie sie Antonia Hausmann (30) schon Dutzende Male passiert ist. Sie steht mit ihrem Posaunenkoffer auf dem Rücken im ICE oder in der Straßenbahn in Leipzig (sie könnte auf dem Weg sein zu einem Konzert in der Band von Clueso, der Liedermacherin Sarah Lesch oder mit der Leipziger Durchstarter-Band „Karl die Große“) und plötzlich wird sie von einem wildfremden Mann mit ungläubigem und vielleicht sogar belustigtem Gesichtsausdruck angesprochen: „Was das für ein großes Instrument sei? … Aha eine Posaune … Sind Sie da nicht viel zu klein und schwach dafür? Kommt mit Ihrer kleinen Lunge denn da überhaupt ein richtiger Ton heraus?“ Für die Frau, die diesem Instrument ihr Leben gewidmet hat, die durch Stunden harten Übens und erfolgreichen Konzertierens eins geworden ist mit diesem Stück klingendem Messing, sind solche Sätze inzwischen nicht mehr verletzend. Sie sind der Auftrag für eine Mission.
Antonia Hausmann hat die Posaune, die heute immer noch vor allem eine Männerdomäne ist, nicht gefunden. Sie ist ihr passiert. Sie macht sie heute zu einer Exotin. Egal wo oder vor wem sie spielt – das angebliche Paradox zwischen ihrem Geschlecht und ihrem Instrument schwingt immer mit, ist immer Thema.
Der Bruchteil einer Sekunde
Der Startpunkt für die Posaunenkarriere waren 24 Stunden, wie sie für das damals 14-jährige Mädchen aus Jonsdorf bei Zittau nicht tragischer hätten sein können. Traum und Albtraum lagen schmerzhaft eng beieinander. Sie war nach jahrelanger Vorbereitung in Dresden gewesen. Ein Vorspiel am Landesmusikgymnasium auf ihrem damaligen Herzensinstrument, der Klarinette, war gut gegangen. Check! Bald sollte es ins Internat in der Elbestadt gehen. Von früh bis abends nur noch Musik. Am Tag darauf kamen Freunde und Familie in einem Wald in der Oberlausitz zusammen. Es wurde „Holz gemacht“. Bäume fällen, sägen, spalten. Für Letzteres war sie eingeteilt. Holzstücke in den Spalter schieben, damit daraus Scheite werden. Am Ende des Tages war es der Bruchteil einer Sekunde, in dem Antonias Traum zerplatzte. Sie wollte das Holz noch richtig hindrehen und ihre rechte Hand war noch in der Maschine, als der Spalter auslöste.
Ziemlich schnell war klar: Das wird nichts mehr mit der rechten Hand. Beim Unfall wurde sie buchstäblich in zwei geteilt. Das Gefühl war weg und nach mehreren Operationen waren drei Finger für die Feinmotorik, die beim Klarinette-Spielen – wie bei fast jedem Instrument – so wichtig ist, nicht mehr zu gebrauchen. Ihr Blick ging damals durch die Reihen der heimischen „Klangfarben-Big-Band“, die ihr Onkel und Mentor Frank Hepper leitete. „Diese Gruppe war ein Zufluchtsort, in der es egal war, ob du 60 oder 10, ob du dick oder dünn, Mann oder Frau bist.“ Das ideale Instrument für die desillusionierte und plötzlich rechtshändig-grobmotorische 14-jährige war die Posaune. Zug rein und raus. Dazu braucht es keine flinken Finger. Antonia Hausmann hat sich dieses Instrument nicht herausgesucht, um zu beweisen, dass es auch Mädchen spielen können. Sie hat es gewählt, weil es ihr die Chance bot, die Leidenschaft für die Musik am Lodern zu halten.
In den nächsten vier Jahren wurde aus der Notlösung der Hoffnungsträger für einen neuen Traum. Sie will Jazzposaunistin werden, obwohl sie in ihrem Alter als Anfängerin reichlich spät dran ist. Vor der Schule übt sie jeden Tag im Probekeller des Onkels. Nach der Schule will sie lieber der Mutter helfen – Essen kochen und den gerade geborenen Bruder betreuen. Neben der Musik ist nichts wirklich wichtig. Typen, die ihr mit dem Spruch „Du und deine Musik“ kommen, sagt sie Tschüss. Kurz vor dem Abitur steht sie wieder in Dresden bei einem Vorspiel, diesmal an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber. Nur knapp schafft sie es in den handverlesenen Kreis der 15 Student:innen, die in diesem Jahrgang aufgenommen werden. Eigentlich konnte sie den Rückstand auf dem neuen Instrument noch nicht wirklich aufholen. Doch die Kommission, in der auch Till Brönner sitzt, gibt ihr eine Chance mit einer Begründung, die in der elitären Welt der Musikhochschulen außergewöhnlich ist: „Wir geben Ihnen den Studienplatz, weil wir die Leidenschaft sehen, mit der sie ihr Instrument spielen.“
Das Publikum schaut anders auf eine Frau
Obwohl der Jazzkosmos deutlich männlich dominiert ist, hat Antonia innerhalb der Hochschule selten das Gefühl, dass ihr der Fakt – eine Frau an der Posaune zu sein – zum Nachteil gereicht. Einmal muss sie sich durchringen, einem Lehrer klar zu machen, dass sie sich keine Sonderbehandlung wünscht, weil er sich komisch „verdruckst“ verhält. Doch auf den Bühnen ist sie immer die Erscheinung, bei der man die Verbindung von Instrument und Geschlecht im positiven wie im negativen Sinne für etwas Besonderes hält. Es gibt verbale und schriftliche Kommentare, die an Plattheit nicht zu übertreffen sind, weil sie das Blasen in die Posaune mit Sexualtechniken vergleichen. Wenn sie in Big Bands aushilft, in denen nur Männer sitzen, erfährt sie oft eine Extraprüfung. „Sie haben mich ganz klar das Solo-Mikrofon testen lassen, weil sie checken wollten, ob die Kleine auch wirklich was bringt.“ Ähnlich geht es ihr auf Sessions, auf die sie nicht gerne geht. Oft sind ihr diese Veranstaltungen zu sportiv, zu sehr auf das musikalische Kräftemessen ausgerichtet. Außerdem ist ihr in solchen Situationen immer bewusst, dass das Publikum anders auf eine Frau auf der Bühne schaut. „Was hat die denn an? Wie steht die denn da? Wie bewegt die sich?“ Das hat alles nichts mit Musik zu tun. Doch für die Musikerin Antonia Hausmann schwingt es immer mit, sobald sie vor Menschen ihr Instrument in die Hand nimmt.
»Es müssen sich mindestens drei Dinge ändern: Erstens müssen die Eltern bei der Wahl des Instruments. für ihre Töchter Rollen-klischees beiseite lassen. Dann braucht es junge Musikerinnen, die als Vorbilder in der Öffentlichkeit stehen. Die Frauen müssen es sehen und hören, dass Frauen cool sind. Und schließlich müssen auch die Männer aktiv Platz machen für Frauen in ihren Reihen.«
Antonia Hausmann
Rollenklischees beiseite lassen
Im Laufe der Jahre ist sie entspannter mit dem Thema „Posaunistin“ geworden. Es freut sie regelrecht, wenn mal wieder nach einem Konzert ein überraschter Kommentar am Merchandise-Stand kommt. „Mit der Ruhe, wie ich sie mir wünschen würde, wenn mir jemand eine Physikformel erklärt, stehe ich dann Rede und Antwort.“ Dann ist auf einmal ein junger Familienvater vor ihr, bei dem es während des Gesprächs „Klick“ macht. „Ach dann muss meine Tochter ja gar nicht unbedingt Flöte lernen. Posaune wäre vielleicht auch etwas.“
Antonia hat es sich zur Mission gemacht, dafür einzustehen, dass es irgendwann mal nichts Besonderes mehr ist, wenn ein Mädchen oder eine Frau zur Posaune greift. „Es müssen sich mindestens drei Dinge ändern. Erstens müssen die Eltern bei der Wahl des Instruments für ihre Töchter Rollenklischees beiseite lassen. Dann braucht es junge Musikerinnen, die als Vorbilder in der Öffentlichkeit stehen. Die Frauen müssen es sehen und hören, dass Frauen cool sind. Und schließlich müssen auch die Männer aktiv Platz machen für Frauen in ihren Reihen.“ Dazu gehört auch, dass die männlichen Mitmusiker mit ganz allmonatlichen Problemen der Frauen leben müssen. Vor vier Jahren hat sich Antonia entschlossen, in ihren Ensembles ganz offen ihre Stimmungsschwankungen und massiven Schmerzen während dieser Zeit zu thematisieren. Das hat Überwindung gekostet. Und es waren im anfangs schamhafte Situationen. Doch der wohltuende Effekt war ein großer Zugewinn an Qualität in den zwischenmenschlichen Beziehungen zu ihren Kollegen. Antonia bemerkt in den letzten Jahren vorsichtige Bewegungen in die richtige Richtung in ihrem Arbeitsumfeld. Drei Leipziger Jazzmusiker haben im Juni 2020 das Mjuzik Festival mit einer konsequenten Frauenquote von 50 Prozent gemacht. Die Big Band „Spielvereinigung Sued“ hat sie zu einem Gespräch eingeladen, um gemeinsam zu überlegen, wie man den Frauenanteil steigern kann. In der Band von Clueso, in der neben Antonia auch die österreichische Bassistin Marlene Lacherstorfer spielt, wird betont, wie sich das Bandklima verbessert hat, seitdem Frauen Positionen besetzen. Eine Sache ist ihr bei Engagements in neuen Musikprojekten allerdings wichtig: Sie will nicht die Quotenfrau sein, die eingeladen wird, um entsprechende Fördermittel abzugreifen.
Konzert von Boris beim SWR-Sommerfestival in Stuttgart,
Foto: Milo PDMit dem Volker Heuken Sextett in der Nato in Leipzig,
Foto: Lukas Diller
Zurück zu den Wurzeln
Sorgen macht der heute 30-jährigen die Vereinbarkeit von Kindern und ihrem Beruf als Jazzmusikerin. Kann es sein, dass sie bereits im sechsten Monat einer Schwangerschaft Probleme mit der Atmung bekommt und deshalb nicht lang genug arbeiten kann? Wer wird sie noch für eine Tour oder einen Studiojob anrufen, wenn sie wegen des Kindes Anfragen absagen musste? Wie werden ihre Posaunenschüler:innen reagieren, wenn sie nicht mehr in der gewohnten Flexibilität Unterrichtsstunden anbieten kann? Das sind nur einige der Fragen, die sich Antonia Hausmann stellt, wenn sie an eine zukünftige Familienplanung denkt. Ihre Einnahmequellen sind vielfältig und die Netzwerke dahinter betreuungsintensiv.
In der ersten Lockdown-Phase im Frühjahr 2020 hat sich Antonia Hausmann getraut, einen neuen Weg einzuschlagen, der sie auch ein Stück zu ihren Wurzeln zurückträgt. Sie hat sich die Haare abgeschnitten und blond gefärbt (das hatte sie ohnehin schon lange mal vor) und ist aus der zweiten Reihe als Posaunistin in die erste Reihe als Sängerin getreten. Unter dem Namen Suntje, was ihr zweiter Vorname ist, singt sie zu Beginn ihrer ersten Single „Puppet“ einen Satz, der als ihr Lebensmotto ganz gut herhalten kann: „Challenge yourself through little steps everyday – stop dawdling about and please do what you say“. Denn bei ihrem zweiten Song „Compass“ ist nach gut 16 Jahren auch wieder die Klarinette zu hören. —
Hinweis: Dieser Text erschien erstmals im femMit Magazin 1/2021
Foto: Marco Sensche
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