„Da kommt noch was.“
Frauke Roth ist Intendantin der Dresdner Philharmonie und hat ein reiches berufliches Vorleben. Sie vereint die Rolle der Mutter von drei Kindern mit der einer gefragten Person in der deutschen und internationalen Kulturlandschaft. Ohne ihre Offenheit, Neugier und Unerschrockenheit hätte sie das nicht geschafft. Ein Porträt.
Text: Nadja Laske
Die Antwort hat sie verblüfft. Als Frauke Roth ihrem Chef mitteilt, sie werde ein Kind bekommen, antwortet er: „Das macht nichts. Sie schaffen Ihre Arbeit in der Hälfte der Zeit.“
„Ich bin nach Hause gefahren und habe gedacht: Welch Frechheit! Meint er, ich versehe meine Aufgaben bisher mit halber Kraft?“ Damals war Frauke Roth Geschäftsführerin der Kammerakademie Potsdam. In den Jahren zuvor hatte sie das Ensemble Oriol Berlin und das Potsdamer Persius Ensemble zusammengeführt und zum Hausorchester des neu eröffneten Nikolaisaales in Potsdam entwickelt. Sie wusste, was sie kann und leistet, und ihr berufliches Umfeld wusste das auch.
Die entscheidenden Herausforderungen machte sich die Musikerin und Kulturmanagerin klar, bevor sie sich für eine eigene Familie entschied. Kurze Nächte, Rotznasen, Zerreißproben für die Partnerschaft. Berufstätige Mutter mit schwierigen Arbeitszeiten zu sein, verlangt Durchhaltevermögen: „Dazu gehört auch, dass man damit leben muss, die Kinder zeitweise abzugeben“, sagt sie.
Selbst gesetztes Limit
Es nicht zu wollen, könne sie verstehen. „Ich habe kein Problem mit Frauen, die sich dafür entscheiden, Hausfrau und Mutter zu sein. Wenn sie das möchten, ist das prima.“ Für ihre Branche jedoch sieht sie keine Alternative: Will ich erfolgreich sein, geht das nur mit einer Reihe von Helfer:innen – Ehepartner, Großeltern, Kinderfrau. Was verdammt wollte der Chef ihr eigentlich sagen? „Ich erlebe immer wieder junge Frauen, sehr gut ausgebildete Musikerinnen, die den nächsten beruflichen Entwicklungsschritt nicht gehen, mit der Begründung: Ich will mal noch wenigstens zwei Kinder.“ Sie hätten das Zeug und das Interesse, eine größere Verantwortung im Job zu übernehmen. „Aber sie laufen gar nicht erst los.“ Gefangen im selbst gesetzten Limit.
Warum die einen bereits im Vorhinein zweifeln und die anderen vorbehaltlos neue Wege wagen, kann Frauke Roth nicht so einfach erklären. „Es sind immer viele prägende Zutaten, die ein Gesamtes schaffen“, sagt sie.
Anspruch auf Höchstleistung
Frauke Roth wuchs in einer Hamburger Familie von Akademiker:innen auf. Die Mutter Lehrerin, der Vater Jurist, zwei Schwestern. „Wir sind von unseren Eltern immer angehalten worden, uns zu entfalten und eigenständig zu entscheiden, was wir wollen.“ Dafür boten sie alle Möglichkeiten, damit die Töchter ihre Talente entdecken und ihren Neigungen nachgehen konnte. Musisch, aber nicht musikalisch professionell nennt sie ihre Familie. Als Kind und Jugendliche zog es sie stärker zum Sport. Viel Zeit, Kraft und Leidenschaft steckte sie ins Kunstturnen, bis sie sich selbst eingestand, dass Olympia kein realistisches Ziel sein wird.
„Wir durften uns ausprobieren, aber trotzdem stand für mich auch immer der Leistungsgedanke dahinter. Was ich mache, das mache ich richtig“, erzählt die 53-Jährige. Als Teenagerin begann sie, Flöte zu lernen, auch das mit dem Anspruch auf Höchstleistung: Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“, Landesjugendorchester. „Wenn man als ganz junger Mensch erlebt, wie auf einer Konzerttournee in Italien das Publikum von seinen Plätzen aufsteht, um Nabuccos Gefangenenchor mitzusingen, dann ist das ein sehr prägendes Erlebnis.“ Ebenso formend wie die nötige Disziplin im Leistungssport und die Bedingung, ein Instrument nur mit klaglosem Fleiß so erfolgreich erlernen zu können. Dabei war Frauke Roth kein gefügiges Kind. „Frauke kennt keine Grenzen.“ An den Ausspruch ihres Vaters muss sie häufig denken, wenn ihr Werdegang, Thema wird. Als lebendig und aktiv hat sie ihre Kinder- und Jugendzeit im Gedächtnis. Neben Schule, Sport, Musik, Kochen und Backen mit der Mutter und den Schwestern Geselligkeit im Freundeskreis der Familie. „Außerdem kam ich durch das Musizieren in eine besonders schöne Umgebung, die mich förderte.“ Doch ohne die eigene innere Stimme und Stabilität, wäre Frauke Roth heute nicht Intendantin der Dresdner Philharmonie mit einem reichen beruflichen Vorleben geworden, und auch nicht Mutter von drei Kindern und gefragte öffentliche Person der deutschen und internationalen Kulturlandschaft.
„Ich finde es ganz wichtig, das Gespür dafür zu haben: Da kommt noch was. Sozusagen die Eintrittskarte für die nächste persönliche Entwicklung in der Hand zu halten“, sagt sie. Diese Offenheit, Neugier und Unerschrockenheit ließ sie Türen aufstoßen, vor denen andere kehrtmachen. Das hat wenig damit zu tun, Grenzen nicht zu kennen, kopflos und anmaßend zu agieren. Der väterliche Satz beschrieb Frauke Roths Wesen. Zum Credo fürs Leben wurde er nicht. Grenzen zu erkennen, hat sie über die Jahre gelernt, ohne sie je als Barrieren zu empfinden. Dazu gehört Selbstbewusstsein und Ehrlichkeit mit sich selbst.
Vertrauen als Schlüssel zum Erfolg
Mit großer Verbundenheit spricht sie über Menschen, die ihr zur Seite standen und stehen. Darunter ein Wegbegleiter, dem sie besonders viel verdankt: Schonungslose Kritik, Zutrauen und schließlich eine innige Freundschaft. „Ich brauchte als Geschäftsführerin der Kammerakademie Potsdam und für ihre Entstehung aus zwei verschiedenen Ensembles juristische Beratung“, erzählt sie. Musikerin zu sein, das hatte sie studiert. Management mit all seinen Facetten nicht. „Das Erforderliche musste ich im Schweinsgalopp lernen. Dabei sind mir auch Fehler unterlaufen.“
Ein Rechtswissenschaftler der Kanzlei, die sie zurate zog, sei ihr ein harter Lehrer gewesen. „Da musste ich viel einstecken. Aber lieber kritisiert gerettet, als zu Tode gelobt!“ Viele Jahre begleitete der Mann ihren beruflichen Weg. „Inzwischen hat sich daraus eine ganz innige Beziehung ergeben, an der mir viel liegt“, sagt sie. Menschen vertrauen zu können, sei ein wichtiger Schlüssel zu Erfolg und innerer Zufriedenheit.
Ebenso, wie sich persönlicher Stärken bewusst zu sein und eigene Schwächen richtig einzuordnen. Als Flötistin habe sie ihr ganzes musikalisches Know-how eingebracht und erreicht, was man sich in diesem Beruf nur wünschen kann – angefangen als eine Bewerberin von 70 im Ringen um drei Studienplätze der Hochschule für Musik Freiburg, bis hin zu Auftritten in der Carnegie Hall in New York. „Aber ich wusste auch immer gut, was ich kann und was ich nicht kann. Ich habe verstanden, dass es Musikerinnen und Musiker gibt, die Zugänge zur Musik haben, die mir verwehrt sind.“ Kein Fleiß, kein Ehrgeiz hätten ihr diese Türen zur Genialität geöffnet.
Wachsen oder zugrunde gehen
An einer solchen Erkenntnis kann man zugrunde gehen oder wachsen, in eine neue Richtung. Für Frauke Roth war es das Managen von Orchestern, so wie sie es inzwischen auch in Dresden mit großem Erfolg tut. Seit 2015 ist sie Intendantin der Dresdner Philharmonie. Den Umbau des Kulturpalastes mit einem neuen Konzertsaal als deren Heimstatt hat sie mitbegleitet. Viel Anerkennung bringt ihr die neue Ausrichtung des Konzertangebotes der Philharmoniker und die Etablierung junger, moderner Formate. Zudem übernahm sie mit ihrem Team die Vermarktung und Vermietung des Konzertsaals. Ihr Konzept ging auf. Auslastung vor Corona: 93 Prozent. Gerade hat die Stadt ihren Vertrag bis 2026 verlängert.
Erfolg bringt neuen Erfolg
Wenn Frauke Roth zurückblickt, stellt sie fest: „Erfolg bringt neuen Erfolg“ und das nötige Bewusstsein für die eigene Expertise. Wobei es ihr nie an Selbstwertgefühl gemangelt habe. Schon nicht als Mädchen und nie als Frau. „Es gab keinen Anlass, sich nicht wahrgenommen zu fühlen.“ Doch das setze eine Grundeinstellung voraus: Frauen müssen am Tisch sitzen – nicht am Katzentisch. Verantwortlich dafür ist, was sie die Gesamtheit der Zutaten nennt: Charakterliche Eigenschaften, Erziehung und Bildung, Prägung durch Wegbegleiter:innen und Selbstreflexion.
Dass in Deutschland nur gut 20 Prozent der Konzert- und Theaterhäuser von Frauen geleitet werden, erstaunt sie nicht. „Zu viele Frauen schrecken vor alten Rollenbildern und insuffizienten Strukturen zurück.“ Um daran nicht zu scheitern, ist es ihrer Erfahrung nach sinnvoll, im Job bereits ein Stück weit voran gekommen zu sein, bevor man Mutter wird. Wer Spitzenfunktion und Familie will, finde Lösungen. „Entsprechende Rahmenbedingungen wie Familie, Partnerschaft, Kindertageseinrichtungen und zusätzliche Kinderbetreuung braucht es dafür unbedingt.“ Frauke Roth hat drei Kinder im Alter von 13, 15 und 17 Jahren. Als sie zum ersten Mal Mutter wurde, war sie 34 Jahre alt. Es war diese Schwangerschaft, die ihr damaliger Vorgesetzter mit der Bemerkung beiseite wischte, das werde an ihrem beruflichen Output nichts ändern. Anmaßung oder Zutrauen?
„Darüber habe ich lange nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass er recht hatte“, sagt sie. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass Frauen, die in der Führungsebene agieren, ihre Ressourcen noch effektiver nutzen, sobald sie Mutter werden und diese Rolle auch ausfüllen wollen. Zudem sei der Kulturbetrieb etwas anderes als beispielsweise die Autoindustrie, räumt sie ein.
„Als meine Kinder noch zu klein waren, um allein zu bleiben, konnte ich sie gelegentlich mit zur Probe nehmen.“ Für die regelmäßige Kinderbetreuung im Alltag engagierte sie Au-pairs. Die jungen Frauen sind Familienmitglieder geworden und öffnen der ganzen Familie ein Fenster zur Welt. Das bringt zudem Frauke Roths Beruf, die Arbeit mit internationalen Künstler:innen und Kulturmanager:innen, mit sich. „Eine strikte Trennung zwischen Berufs- und Privatleben halte ich weder für klug noch für möglich.“ Das muss auch eine Partnerschaft aushalten. „Statistiken zeigen, dass Frauen, denen auch ihre Karriere wichtig ist, glücklicher werden mit einem Partner, der die eigenen beruflichen Werte, Bedürfnisse und Ziele teilt“, sagt sie. Die Rollenverteilung einfach nur umzudrehen, Haushalt und Kinder dem Mann zu überlassen, darin sieht sie für sich selbst kein plausibles Modell.
In der Welt von heute sollten beide beides stemmen – Familienleben und Verwirklichung im Beruf. „Das ist nicht immer leicht. Ich bin in der vorzüglichen Lage, dass ich mit meinem Leben zufrieden bin.“ —
Hinweis: Dieser Text erschien erstmals in femMit 1/2021
Foto: Simon Pauly