Abgewertet, verachtet, beleidigt, gehasst

Frauen werden im Netz häufiger belästigt – und das oft auch sexuell. Aber Verschweigen ist der falsche Weg, sagt Inge Bell, Vorständin der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Im Interview mit femMit fordert sie eine Anpassung der Gesetzeslage. 

Sind Frauen öfter von Hass im Netz betroffen als Männer, und wenn ja, woran liegt das?

Mädchen und Frauen sind tatsächlich weitaus mehr von Hasskommentaren und frauenverachtender Sprache betroffen als Männer. Dieses Schicksal teilen sie auch mit ethnischen, religiösen oder sexuellen Minderheiten. Doch Frauen sind ja keine Minderheit, sondern eine leichte Mehrheit in dieser Welt. Die Ursache dieses Frauenhasses, der sich im Netz wegen der Anonymität noch stärker Bahn bricht als ich echten Leben, liegt im Patriarchat.

„It’s a man’s world“. Die Messlatte liegt an der Norm des weißen, heterosexuellen Mannes im mittleren Alter. Alles, was nicht diesem „Norm-Mann“ entspricht, wird abgewertet, verachtet, beleidigt, gehasst.

Damit überhöhen sich diejenigen, die Hasskommentare schreiben, sie stellen sich über die Mädchen und Frauen. Und dieser traurige Mechanismus hat leider Erfolg: Frauen und Mädchen verstummen, trauen sich nicht mehr, im Netz zu widersprechen, eine andere Meinung kundzutun. Sie werden massenweise zum Schweigen gebracht. Dazu gibt es auch klare Studien, die dieses „Silencing“ belegen.

Das heißt, Frauen schweigen und ziehen sich zurück. Wie könnte dem entgegengewirkt werden?

Eins will ich mal klar sagen: Es ist nicht Sache der Frauen, damit zurechtzukommen oder sich damit abzufinden – also nicht sie müssen da stärker, selbstbewusster und dickhäutiger werden. Unser System muss geändert werden. Wir brauchen Bewusstsein und Haltung. Und dann entsprechendes Handeln. Auch Gesetze müssen angepasst oder geändert werden. Frühe Aufklärung in der Schule tut not, denn schon dort beginnen die bösen Beleidigungen gegen Mädchen in den Chats – Bezeichnungen wie „Hure“, „Schlampe“ und das Fordern von Nacktbildern, um das Mädchen hinterher zu erpressen und zu mobben, das ist ja schon dort an der Tagesordnung. 

Was müssen Politik und Behörden ändern?

Wir brauchen eine effektive Strafverfolgung. Das heißt Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften, die das Thema Frauenhass und Cyber-Harassment ernst nehmen und auch einordnen können. Leider ist es bislang so, dass viele Anzeigen eingestellt werden wegen „mangelndem öffentlichen Interesse“ oder weil die Täter nicht ermittelt werden konnten – wenn sie überhaupt gesucht wurden.

Viele Mädchen und Frauen verstummen lieber oder zucken mit den Achseln, weil sie meinen, eine Anzeige könne eh nichts bewirken. Ich sage aber: Nur wenn es Anzeigen gibt – auch wenn sie eingestellt werden, erfahren die Polizei und Staatsanwaltschaften auch von dem Problem, und diese Anzeigen fließen in Statistiken ein. Also nicht schweigen, sondern wirklich anzeigen. Denn die Gesellschaft muss sehen, wie groß das Thema und die Bedrohung der Frauen wirklich ist. Und Täter müssen verurteilt werden. Die Anonymität darf sie nicht schützen.

Auch wenn es mittlerweile spezielle Dezernate für Internetkriminalität gibt, so sind sie nicht spezialisiert auf sexuelle Belästigung im Internet oder Hasskommentare, sondern verweisen da auf das Sexualstrafrecht, und das hinkt leider der modernen Entwicklung hinterher und wird der Internet-Realität nicht gerecht: Zum Beispiel werden Anzeigen wegen sexueller Belästigung regelmäßig eingestellt, weil dazu laut Gesetz eine körperliche Berührung erfolgen muss, die ja im Netz nicht erfolgt – und dennoch sind Hasskommentare Gewalt und meist sexuelle Belästigung.

Und natürlich schadet es nie, wenn Mädchen und Frauen in ihrem Selbstbewusstsein bestärkt werden, sich nicht einschüchtern lassen und ganz klar wissen: Das, was mir hier an Hass entgegenschlägt, ist Gewalt und nicht in Ordnung. Und ich lasse mir das nicht bieten.

Kann man davon ausgehen, dass eine Person, die im Netz andere beleidigt, dies auch im privaten ­Umfeld (offline) tut?

Das ist nicht unbedingt so. Die innere Haltung ist gewiss dieselbe: Ich muss mich erhöhen, und erniedrige deshalb andere. Aber nur im Kopf oder in Verhaltensweisen. Denn die Beißhemmung im echten Leben ist doch weitaus größer als in der Anonymität des Netzes. Oft bricht sich gerade in den Social Media Bahn, was sich ein Mann im echten Leben nie sagen trauen würde – weil es dann nämlich echte Konsequenzen für ihn hätte – im Job, in der Familie. Im Netz „haten“ sie, einfach weil sie es können – im Schutz der Anonymität.

-> Hilfsangebot bei Hass im Netz

Hinweis: Dieser Text erschien erstmals im femMit Magazin 1/2020

Foto: Uwe Kloessing

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