Achtung, Amani 

Mit ihrem unverkennbaren Humor hat sie die Comedy-Welt im Sturm erobert. Enissa Amani, eine der bekanntesten Comediennes Deutschlands, ist Macherin und Menschenrechts-Aktivistin. Wie nutzt die Künstlerin ihre Reichweite und wann geht sie ins Gefängnis?

Von Sofie Flurschütz

Im weißen T-Shirt mit „Basquiat“-Aufdruck begrüßt mich Enissa Amani via Zoom. Kein Glamour-Make-up, die langen Haare offen und ein strahlendes Lächeln. Die Stimmung ist entspannt – fast so, als würde sie sich mit einer alten Freundin unterhalten. 

Nicht die Kanzlerin der Welt 

„Enissa, bitte tu etwas“, ist eine von Tausenden Nachrichten, die täglich in ihrem Instagram-Postfach landen. Es geht um den Angriff der Hamas auf Israel oder den Sudan oder Iran. „Ich weiß, dass das Posten in sozialen Netzwerken viel bewirken kann, aber es kann mich zeitweise überfordern. Ich kann die Situation dort nicht retten. Ich habe nicht die Autorität, Staatsoberhäuptern zu sagen, was sie zu tun haben“, bricht es aus der Künstlerin heraus. Manchmal machen die Nachrichten sie wütend. Gleichzeitig sei es eine große Ehre. Amani weiß, dass sie diese Erwartung geschaffen hat und mit ihrer Reichweite auch Verantwortung trägt. Allein auf Instagram und Facebook verfolgen über 1,7 Millionen Menschen gebannt ihre Geschichten und Beiträge. Seit 2014 gehen Amanis Online-Beiträge immer wieder viral. Durch einen Auftritt in der Londoner Late-Night-Talkshow des iranischen Komikers Sina Valiollah sogar auf Persisch, mit über 30.000 Kommentaren unter dem Video. „Innerhalb von vier Tagen kamen 180.000 neue iranische Follower aus Europa und der Welt auf meinen Instagram-Account“, erinnert sich die Influencerin und ergänzt: „Sie wurden dann manchmal sauer, wenn ich auf Deutsch gepostet habe. Sie dachten nämlich, sie seien die Mehrheit meiner Page, einfach weil sie aktiver kommentieren.“ 

Mental Load 

Wer sich Amanis Instagram-Feed anschaut, sieht wenig Comedy. Dafür viele politische Statements in Bild, Text und Video – über Frauen im Iran, Grundrechte oder den Streit mit einem AfD-Politiker. Sie macht Comedy und Aktivismus, Mode und Kultur. Sie füllt Hallen mit Tausenden Menschen und ist die erste deutsche Comedy-Künstlerin, die 2018 ein eigenes Netflix-Special bekam. Amani selbst meidet Kriegs- und Krisen-Videos. Sobald sie Videos dieser Art sehe, schaut sie weg um sich zu schützen. Das bildliche Leid zu sehen, belaste sie unglaublich und sie versuche daher, alles in Textform zu konsumieren, um über Konflikte und Notlagen informiert zu bleiben. Was ihr in Stressphasen guttue: Handy ausschalten, Klavier spielen, meditieren, beten, schwimmen oder malen. 

Ritterschlag durch Raab 

Amanis Eltern flohen 1985 als politisch Verfolgte mit der noch sehr jungen Enissa aus dem Iran nach Frankfurt am Main. Ihre Mutter ist Ärztin, ihr Vater Literat. Während Gleichaltrige den Führerschein wollten, wünschte sie sich den deutschen Pass. Nach dem Abitur begann die extrovertierte Frau Jura zu studieren, entdeckte dann ihre Liebe für Literaturwissenschaften. Während Amani an der Uni paukte, nahm sie außerdem an Schönheitswettbewerben teil. Sie konnte sich die Titel „Vize Miss Westdeutschland“ und „Miss Tourism Iran“ sichern. Klare Sache: Enissa Amani zog es auf die Bühne. 2013 dann der erste Auftritt als Stand-up-Comedian. „Comedy war mein Hobby – von 0 auf 100 änderte sich das“, erinnert sich Amani. Einladungen zu Fernsehauftritten ließen nicht lange auf sich warten. So war sie zum Beispiel beim ARD-„Satiregipfel“ und bereits im ersten Jahr für den Kabarett-Preis „Prix Pantheon“ nominiert. Kurz darauf wurde sie mit dem Comedypreis für Newcomer ausgezeichnet. Auftritte bei Dieter Nuhr, „NightWash“ und beim Comedy Contest des NDR folgten. Durch ihre Fernseh-Showeinlagen bei „TV total“ konnte sie sich 2014 endgültig in der Showbranche etablieren. „Wow, als BAföG-Studentin und einem Konto im Minus darf ich bei Stefan Raab auftreten“, dachte sie damals. Schnell wurden ihre helle Stimme, die femininen Kleider und ihre Schlagfertigkeit zum Markenzeichen. 

Ihre Vision: Vor dem Azadi-Turm, dem Freiheitsturm in Teheran, stehen und sprechen, wenn das Land befreit ist.

Tourneen und neue Richtungen 

Im selben Jahr begann die Künstlerin, mit ihrer eigenen Show „Zwischen Chanel und Che Guevara“ auf Tournee zu gehen. Heute blickt sie kritisch auf ihre alten Jokes zurück. „Es ist eine normale Dynamik, sich zu verändern. Auch im Netflix-Special von 2018 finde ich inhaltlich vieles nicht mehr gut“, reflektiert die Künstlerin. Personen, die sie für ihr Lebenswerk verehrt, seien Hannah Arendt, Rosa Luxemburg, Nelson Mandela, Martin Luther King, Che Guevara und Simone de Beauvoir. „Diese Biografien zeigen, dass das Unmögliche möglich ist“, sagt Amani optimistisch. Ihre Vision: Vor dem Azadi-Turm, dem Freiheitsturm in Teheran, stehen und sprechen, wenn das Land befreit ist. Und die Muße finden, ein Buch zu schreiben. 

Längst nicht nur Comedy 

Menschenrechte ziehen sich wie ein roter Faden durch Amanis Arbeit. Aufgewachsen ist sie in einem sehr politischen Haushalt. Ihre ultra-feministische Mutter sowie die Bücher und Regimekritik ihres Vaters haben sie geprägt. „Mein Vater wurde als 23-Jähriger mit Bertolt Brecht im Rucksack von der Geheimpolizei erwischt und hatte im iranischen Gefängnis zwei Foltermethoden innerhalb von vier Jahren erlebt“, berichtet Amani. Sie war selbst zweimal im Iran, mit Anfang 20. Damals stand sie auf Demonstrationen vor dem iranischen Konsulat und gab auf, jemals wieder sicher in die Islamische Republik Iran einreisen zu können. 

Dass ihr Aussehen wichtig ist, verleugnete Amani in der Vergangenheit nie. Auch ihre Nasenoperation war regelmäßig Teil ihres Bühnenprogramms, für das sie mit dem Comedypreis ausgezeichnet wurde. Die „Lidstrich-Enissa“ sei sie aber nicht mehr. Klar wurde ihr das 2019: Als ein rechtsextremer Australier in zwei Moscheen der Stadt Christchurch 51 Muslime beim Beten erschossen hatte, äußerte sich Amani zu dem Massaker. Es war ihr erstes politisches Statement-Video auf Instagram. 200.000 neue Follower:innen und Tausende Kommentare folgten. „Das war so ein Moment, in dem ich merkte, dass mich die Öffentlichkeit plötzlich anders sieht. Viele schrieben mir, dass sie mich als Comedian vorher schon kannten, aber erst die politische Enissa interessant fanden“, erinnert sich Amani. Die „politische Enissa“ kostete die Feministin Mut und Publikum, weil viele lieber die „Vorurteile bestätigende Vorzeige-Ausländerin“ hören wollen. „Diese Person möchte ich nicht sein. Ich erreiche lieber ein cooles Publikum als die Masse“, sagt die Comedienne. Was ihr aufgefallen ist: Sobald es politisch wurde, wurde sie nicht mehr zu Lanz und Co eingeladen. Als ob es in Ordnung wäre, über Nasenoperationen zu reden, aber bitte nicht über Rassismus. 

„Bereits als Kind habe ich gelernt, wie wichtig die ­Intonation von Wörtern ist, wann man etwas mit Nachdruck sagen muss und wann eine sanfte Form angebrachter ist.”
ENissa Amani

Vielplapperin mit Nachdruck 

Ganz egal, ob schauspielern, moderieren oder die Menschen zum Lachen bringen – Amani weiß, wie es geht. Als Aktivistin spricht sie sich aber auch öffentlich für Gleichberechtigung und Menschenrechte aus. 2022 setzte sich Amani zum Beispiel als Orange-The-World-Botschafterin von UN Women Deutschland gegen Gewalt gegen Frauen ein. 2023 flog sie als Botschafterin für ein Kinderhilfsprojekt nach Ecuador. Außerdem sprach sie 2023 für Amnesty International auf dem Platz vor dem Bundestag, bei den Düsseldorfer Reden und als Schirmherrin des Human Rights Filmfestivals in Berlin. Ende Oktober 2023 hielt sie einen Vortrag über Menschenrechte auf der 15. German American Conference der Harvard Kennedy School in Cambridge. Für ihre Auftritte und Tourneen habe sie nie ein Sprechtraining absolviert. „Als ich klein war, lief mein Vater beim Lesen immer auf und ab. Er hat die Wörter so schön betont“, berichtet Amani. Das sei ihr Training gewesen. „Bereits als Kind habe ich gelernt, wie wichtig die Intonation von Wörtern ist, wann man etwas mit Nachdruck sagen muss und wann eine sanfte Form angebrachter ist“, schildert die Künstlerin. In Deutschland seien wir oft zu still, vorsichtig und regelverliebt. „Wenn es jedoch um Ungerechtigkeit geht, brauchen wir auch mal eine gewaltfreie, aber entschlossene Tonalität“, unterstreicht Enissa und kritisiert: „Vor allem Politiker sprechen über Ungerechtigkeit in einem Ton, als würden sie Papier für den Drucker bestellen.“ 

Amani vs. AfD-Politiker 

1.800 Euro Strafe. So lautet das Urteil gegen Amani, die 2019 den AfD-Landtagsabgeordneten Andreas Winhart in sozialen Medien für dessen rassistische Aussagen als „Idiot, Bastard und Rassisten“ bezeichnete. „Ich konnte nicht verstehen, warum es nach der Rede des AfD-Politikers keine Empörungs-Welle gab“, erinnert sich Amani und ergänzt: „Manchmal reicht eine diplomatische Sprache nicht und es braucht scharfe Formulierungen.“ Um darauf aufmerksam zu machen, dass Winharts Aussagen für ihn ohne Konsequenzen blieben, werde sie die Geldstrafe aus Protest nicht zahlen, verkündete sie online und zuletzt auch in der NDR-Talkshow „deep und deutlich“. Für sie sei es eine Sache des Prinzips: „Das könnten fünf Euro sein, es können 50 Cent sein oder eben 1.800 Euro. Völlig egal, ich zahle das nicht“, sagt die Aktivistin bestimmt. Weil sie die Zahlungsaufforderung mehrmals ignoriert hat, drohen der Künstlerin 40 Tage Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis. „Ich finde meine Strafe für die Beleidigung wunderbar. Ich finde es nur angsteinflößend und fraglich, schwierig und problematisch, dass der Politiker straffrei blieb“, meint die Künstlerin. Für sie wäre das Thema schon längst durch, „wenn der Politiker nicht so einen Quatsch behaupten würde, zum Beispiel, dass ich mich nach Großbritannien abgesetzt habe.“ Nun wünscht sich Amani, dass die angekündigten Konsequenzen folgen und sie nicht jahrelang warten muss, bis das Strafverfahren abgeschlossen ist. Sollte es übrigens passieren, dass Amani in die Politik gehe, wünscht sie sich vor allem eines: dass sie ihre klare Sprache behält. —

Foto: Andres Perez, Anka Portraits, New York

Hinweis: Dieser Text erschien in femMit Ausgabe 2/2023

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