Jederzeit ansprechbar

Wie sprechen wir eigentlich mit uns selbst?

„Habe ich das gerade laut gesagt? Peinlich!“, oder: „So, jetzt das noch schnell fertig machen und dann gönne ich mir erst mal einen Kaffee.“ Ob laut oder leise, bewusst oder unbewusst – 97 Prozent der Menschen sprechen mit sich selbst. Aber hören wir uns dabei auch zu? Und wie können wir Selbstgespräche bewusster für uns nutzen? Dazu sprach femMit mit Prof. Dr. Anke Werani

Text: Martina Cwojdzinski

Wer sich in diesem Moment fragt, ob es eine unbekannte oder die eigene Stimme ist, die diesen Beitrag innerlich vorliest, während eine andere Stimme genervt fragt, was diese Frage überhaupt soll, der oder die ist mittendrin: im inneren Sprechen. 

Doch wie treten wir in den Dialog mit uns selbst? Schon bei der ersten Frage unseres Interviews schmunzelt die Expertin: „Wir werden direkt in eine Sprachgemeinschaft und Erzählgemeinschaft hineingeboren. Das ist praktisch schon unser In-den-Dialog-treten. Wie um uns herum gesprochen wird, wird dann im Laufe der Zeit von uns verinnerlicht“, erklärt eine, die es wissen muss. Prof. Dr. Anke Werani lehrt und forscht als kulturhistorische Psycholinguistin am Institut für Phonetik und Sprachverarbeitung an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Inneres Sprechen ist von außen geprägt

Für inneres Sprechen gibt es gute Gründe, denn es erfüllt verschiedene Funktionen. Wenn wir mit uns selbst sprechen, dient dies der Stabilisierung und Steuerung unserer Gedanken und unseres Verhaltens. Eine wichtige Aufgabe ist die Selbstregulation und Planung. Mithilfe des inneren Sprechens behalten wir den Überblick, wenn wir z. B. zu uns selbst sagen: „Ich mache jetzt erst das und danach kümmere ich mich darum.“ Wir bleiben bei uns und wägen innerlich verschiedene äußere Einflüsse ab, um besser mit unseren Emotionen umzugehen. Im Gespräch mit uns selbst reflektieren wir unsere Gedanken und können verschiedene Perspektiven einnehmen, dank mehrerer Stimmen, die uns ihre jeweilige Sichtweise näherbringen. Der Kommunikationspsychologie Friedemann Schulz von Thun hat für diese Gesamtheit der inneren Stimmen den Begriff „inneres Team“ geprägt. Inneres Sprechen hilft uns zudem bei der Kooperation mit Gesellschaftsformen und ist nötig, um einen Bezug zur Welt um uns herum herzustellen.

„Wir sind ganz stark von unserer Sozialität geprägt, deshalb gibt es unterschiedliche Entfaltungsgrade des inneren Sprechens.“

Prof. Dr. Anke Werani

Wer schon einmal einen Marathon gelaufen ist, weiß, dass während der 42,195 km langen Strecke die kritische Stimme im Kopf („Wieso mache ich das hier eigentlich? Das wird eh keine Bestzeit mehr“) ebenso zu hören ist wie die motivierende Stimme („Los, weiter, im Ziel wartet die Medaille auf dich. Du schaffst das!“). Nun muss man keinen Marathon laufen, um sich selbst zu motivieren. Spannend ist vielmehr, wie man sich durch inneres Sprechen im Alltäglichen motiviert – oder demotiviert. Beispiel: „Wenn du die Arbeit heute nicht schaffst, dann darfst du nicht ins Kino.“ Oder: „Heute wirst du mit der Arbeit fertig und gönnst dir zur Belohnung einen Kinoabend.“ Was wirkt motivierender? Egal, wie die Antwort ausfällt, klar ist, der Ausgangspunkt liegt in der sozialen Praxis. 

Wie oft wir im Alltag tatsächlich mit uns selbst sprechen, hängt unter anderem davon ab, in welche Sprachgemeinschaft wir geboren wurden und wie unsere Persönlichkeit im Laufe unserer Biografie geprägt wurde. „Wir sind ganz stark von unserer Sozialität geprägt, deshalb gibt es unterschiedliche Entfaltungsgrade des inneren Sprechens“, betont Prof. Werani den kulturhistorischen Ansatz ihrer Forschung. Und verweist auf den Philosophen Ludwig Wittgenstein, der festgestellt hat: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ So hat Sprache bei Menschen, die viel lesen oder sich beruflich mit Sprache beschäftigen, einen höheren Stellenwert im Leben als bei jenen, die das nicht tun. Entsprechend ist auch das innere Sprechen unterschiedlich ausgeprägt. Menschen, die eine hohe Gewissenhaftigkeit an den Tag legen, neigen laut Forschung beispielsweise stärker zu Selbstgesprächen als andere. Und Singles wiederum mehr als Menschen, die in einer Beziehung leben. 

Viele kennen die kritische Stimme, die uns ermahnt, wenn wir in eine Richtung denken oder handeln möchten, die nicht in unser Wertebild oder in die gesellschaftlichen Normen um uns herum passt. Bei Sigmund Freuds Modell der menschlichen Psyche ist diese kritische Stimme das sogenannte Über-Ich. Unser Gewissen mit seinen sozialen Normen und Werten, das als weitere Person mit uns spricht.

Selbstgespräche können uns helfen, Stress abzubauen, Ordnung zu schaffen und uns selbst zu motivieren. Super, dann sollten wir doch viel öfter mit uns selbst sprechen und auf unsere inneren Stimmen hören! Doch so einfach ist das nicht – denn nicht alle Menschen sprechen regelmäßig mit sich selbst.

Gesprächig oder wortkarg?

In ihren Untersuchungen konnte Prof. Anke Werani vier Gruppen ausfindig machen: Menschen, die vor allem dann mit einer inneren Stimme sprechen, wenn sie ein Problem lösen müssen, kategorisiert Werani als Pragmatikerinnen und Pragmatiker („Was haben wir denn da? Jetzt Schritt für Schritt, dann bekomme ich das hin.“). Die sogenannten Gesprächigen sprechen unabhängig von der Situation ständig mit sich selbst. Da sie sehr geübt in der dialogischen Struktur sind, sind sie auch gut im Problemlösen. Die Zweiflerinnen und Zweifler unterbrechen sich hingegen selbst oft im Denkprozess, und zwar mit einer negativen inneren Stimme („Das wird doch eh nichts und ist viel zu schwer. Ich habe keine Lust mehr.“). Das innere Sprechen wirkt bei ihnen eher demotivierend. Und dann gibt es noch die vierte Gruppe: die Wortkargen. Menschen, die kaum oder gar nicht mit einer inneren Stimme sprechen. 

Ob und wie wir mit uns sprechen, wirkt sich direkt auf unser eigenes Verhalten aus. „Gerade für Problemlöseprozesse ist es immer günstiger, mit sich selbst zu sprechen, es zuzulassen und das Augenmerk auf das innere Sprechen zu richten“, weiß Werani. Denn wie wir mit uns sprechen, hat Einfluss auf unsere Problemlösung. Hier sind die Wortkargen deutlich weniger erfolgreich als die Pragmatischen.

Was empfiehlt Prof. Werani, um sich mit den eigenen Stimmen bewusster zu beschäftigen? „Ich empfehle immer eine Selbstbeobachtung in Form von Introspektion. Einfach mal einen Tag lang zuhören, welche verschiedenen Stimmen es überhaupt gibt.“ Interessant sei dabei auch, zu beobachten, welche Stimmen am häufigsten und „lautesten“ zu uns sprechen. So manche Stimme entpuppt sich vielleicht als Rat der besten Freundin und gar nicht als die eigene Meinung.

„Es ist beeindruckend, wie viel Macht die Sprache für unseren Entwicklungsprozess hat. Umso wichtiger, dass man daran arbeitet.“

Prof. Dr. Anke Werani

Wichtig: Inneres Sprechen ist völlig gesund, solange wir die Stimmen als unsere eigenen Stimmen und zu unserer Person gehörend identifizieren. Krankhaft wird es, wenn wir diese eigenen Stimmen als fremde Stimmen anderer Personen wahrnehmen, wie es bei Schizophrenie vereinfacht gesagt der Fall ist, betont die Expertin.

Die Bürokollegin, die am Rechner mal wieder Selbstgespräche führt, ist also alles andere als krank. Vielleicht arbeitet sie sogar effizienter als jene, die sich über ihr lautes Denken lustig machen.

Was die Expertin aktuell selbst beschäftigt, ist das Phänomen des Gedankenkreisens: Wo kommt es her und wie kann man es unterbrechen? „Es ist beeindruckend, wie viel Macht die Sprache für unseren Entwicklungsprozess hat. Umso wichtiger, dass man daran arbeitet“, betont Werani.

Lassen wir unsere inneren Stimmen also zu Wort kommen, hören wir hin und denken wir laut mit. Denn inneres Sprechen ist essenziell für die Verständigung mit uns selbst. Das muss sich nur noch herumsprechen. —

Bild: adobestock/luismolinero

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