Die Last der Perfektion
Die Trennung vom Freund und Vater der Kinder ist für Jacinta Nandi auch eine Reise zu sich selbst geworden. Ihre Abkehr vom perfekten Hausfrauen- und Mutter-Image hat sie in einem Buch verarbeitet. Es liest sich wie ein Manifest gegen die häusliche Ausbeutung der Frau und für eine gleichberechtigte Verteilung der sogenannten Care-Arbeit.
Text: Nadja Laske
Das Schlimmste liegt hinter ihr. Jacinta Nandi ist umgezogen, zusammen mit „dem Teenager“ und „dem Baby“. So nennt sie ihre Kinder im Buch. „Die schlechteste Hausfrau der Welt“ heißt es und treibt seine Leserinnen – überwiegend hat Jacinta Leserinnen – zu einer Achterbahnfahrt aus Lachsalven und Schockmomenten.
Ob das Buch am Umzug oder der Umzug am Buch Schuld trägt, lässt sich nicht genau sagen. Fakt ist: Beides ist miteinander so unauflöslich verbunden wie Schokocreme und Hochflorteppich, wenn das Brötchen wie selbstverständlich auf die falsche Seite fällt.
„Wenn du mein Buch gelesen hast, wird dir klar sein, dass ich mit dem Mann, der darin vorkommt, nicht mehr zusammen bin“, sagt die 41-Jährige. Gerade hat sie für ihr Jüngstes eine neue Kita gefunden. Das neue Leben muss in Tritt kommen. Jacinta freut sich darauf, auch wenn es schwer wird als alleinerziehende Freiberuflerin in Berlin, wo die Mieten teuer und die Wege weit sind.
Immerhin ist eine große Last von ihren Schultern gefallen. Besser gesagt: Sie hat sie von sich gestoßen. Die Last heißt Perfektion. Daran hat sie noch nie gut getragen. Andere Frauen lassen sie wie Handtäschchen von ihrer Armbeuge baumeln, so kommt es ihr vor. Sie sind super Mütter, Partnerinnen, Freundinnen, Mitarbeiterinnen oder Chefinnen – und Hausfrauen.
Blitzblankes Leben versucht
Voller Hingebung, Aufopferung, Zuwendung. Erfolgreich, beliebt, schön, sexy – und ordentlich. Ihre Wohnungen und Kinderwagen sind sauber. Blitzblanke Leben. Jacintas Leben scheint über ihrem Kopf zusammenzufallen. Jetzt kämpft sie sich tapfer durch schmutzige Wäsche, krümelige Fußböden, benutztes Geschirr und sieht klare Bilder: Warum kann ich das nicht, weshalb bin ich so liederlich, hat sie sich lange vorwurfsvoll gefragt. Inzwischen fragt sie anders: Wie konnte ich dahin kommen, mit immer weniger Atempausen und YouTube-Videos als Ratgeber eine Note-1-Hausfrau werden zu wollen?!
Dabei hatte doch alles so gut angefangen – damals in London mit ihrer Geburt. „Meine Mutter hat als Sachbearbeiterin voll gearbeitet und uns drei Kinder großgezogen“, erzählt die Schriftstellerin, Bloggerin und Kolumnistin. Zunächst habe die Mutter mit 16 die Schule verlassen, eine Familie gegründet, Teilzeit gearbeitet. Als 30-Jährige begann sie, Kulturwissenschaft zu studieren. „Sie hat ein paar wirklich coole Sachen gemacht. Nacktfotos zum Beispiel. Vielleicht, ohne es zu wissen, war sie eine Feministin.“
Als solche bezeichnet sich Jacinta Nandi ebenfalls, doch das Leben scheint ihr viel schwerer zu fallen als ihrer Mutter damals. Weil sie sich bewusster darüber ist? Weil die Ansprüche gestiegen sind? An Klagen der Mutter über zu viel Hausarbeit und Stress und zu wenig Zeit für sich selbst kann sich Jacinta nicht erinnern. Was ist anders geworden? Warum sieht sich die Autorin nahezu gezwungen, ein Manifest gegen die häusliche Ausbeutung der Frau und für eine gleichberechtigte Verteilung der sogenannten Care-Arbeit zu schreiben?
Alleinerziehend und berufstätig
Laut dem Statistikportal „Statista“ übernehmen in Deutschland mehr als 70 Prozent der Frauen tägliche Hausarbeiten wie Kochen, Waschen, Putzen. Weniger als 30 Prozent der Männer tun das ebenfalls. Im Jahr 2020 waren fast 77 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen erwerbstätig. Drei von vier Müttern gingen nach Erhebung des Statistischen Bundesamtes einer Arbeit nach. Alleinerziehend und berufstätig sind überwiegend Frauen, nämlich 87 Prozent.
Jacinta Nandi gehört dazu. Im Jahr 2000 kam sie nach Berlin, um dort als Assistenzlehrerin an einer Grundschule zu arbeiten. Neben ihrer Tätigkeit als Buchautorin und Kolumnistin für verschiedene Zeitungen und Magazinen unterrichtet sie an einer privaten Sprachschule Englisch. Mit ihrem Leben als Freiberuflerin hadert sie nicht. „Es gibt mir die Möglichkeit, weitgehend frei und selbstbestimmt zu arbeiten und mir die Arbeit so einzuteilen, dass ich mich um meine Kinder kümmern kann.“
Alles fein also. Nur ihr gemeinsames Leben mit dem Vater ihrer Kinder hat sie sich anders vorgestellt. Partnerschaftlich eben. Vielleicht entschied sie sich für den falschen Mann oder ihr Mann für die falsche Frau oder beide strauchelten über das allgemein vorherrschende Problem der ungleichen Ansichten über die Bedeutung der Familien- und Hausarbeit. Dass die meisten Männer das Putzen, Waschen, Kochen nicht wichtig finden und der Ansicht sind, Frauen bewerten die Hausarbeit über, ist viel beschrieben und besprochen worden.
Ordnung machen: die unsichtbare Arbeit
Jacinta Nandi aber führt in ihrem Buch „Die schlechteste Hausfrau der Welt“ den Gegenbeweis. Zumindest in eigener Sache. „Ich habe gezeigt, dass es nicht stimmt, dass Schmutz und Unordnung Männer nicht stört. Es stört sie nur, wenn sie dafür sorgen sollen“, stellt sie fest. Dreck beseitigen und Ordnung herstellen, das sollen die Frauen. Ihren Ex-Freund beschreibt sie als eines dieser Exemplare und in diesem Zusammenhang all die Verzweiflung, mit der sie versuchte, seinen Anforderungen gerecht zu werden.
„Wir Frauen sind so daran gewöhnt, dass diese Aufgaben unser Ding sein sollen, dass wir gar nicht merken, wie ungerecht das ist. Die Hausarbeit schleicht sich subtil und perfide in unseren Alltag ein.“ Sie gilt nicht als Arbeit und wird nicht bezahlt, auch wenn sie viele Stunden der Woche in Anspruch nimmt. Jacinta Nandi nennt sie „eine unsichtbare Arbeit“. Für die Kritik daran ist völlig irrelevant, ob diese Arbeit eine Zumutung ist, weil sie Lebenszeit stiehlt und ein unverantwortliches Pensum darstellt oder weil sie vorbei an der individuellen Begabung geht. Warum sollte eine Frau auch per se besser putzen können als ein Mann?
Nicht die größte, höchste, bunteste Torte!
Die Autorin hat ihre Konsequenzen gezogen. Sie lebt nun ohne den Freund und Kindsvater, der den verkeimten Kinderwagen bemängelt, aber nicht reinigt. Doch das genügt ihr nicht. Sie streitet für mehr Unterstützung von Familien in ihrem Alltag, insbesondere der Alleinerziehenden. Und sie plädiert für Solidarität unter Frauen. „Wenn ich als Mutter das Schulkonzert meines Kindes verpasse, weil mein Job mich festhält, werde ich schief angesehen. Dass der Vater auf der Arbeit ist, gilt als normal.“ Diese Sichtweise zu ändern, das wünscht sie sich besonders von den Frauen dieses Landes. Wenn sie es nicht tun, wer dann? „Ich will mich nicht schämen müssen, wenn mein Kind das letzte im Schulhort ist“, sagt Jacinta. „Der größte solidarische Akt unter Müttern aber wäre es, für das Schulfest NICHT die größte, höchste, bunteste Torte zu backen!“
Noch sitzt die herausfordernde Zeit des Schullockdowns Tausenden Müttern in den Knochen. Auch über diese ungleiche Aufgabenverteilung wurde viel geschrieben und diskutiert. „Ich bin in diesen Monaten um fünf Uhr morgens aufgestanden, um Ruhe am Schreibtisch zu haben und später für den Teenager und das Baby da zu sein“, erinnert sie sich. Doch das habe sie nur dreimal pro Woche durchgehalten. „Schlafmangel ist Folter.“
Weniger Arbeit für alle!
Was Jacinta Nandi will, ist nicht die Umkehr der Rollen. Auch nicht, dass Männer mehr im Haushalt und somit in Summe mehr schaffen. „Ich will weniger Arbeit für alle“, sagt sie. Warum? Zum Beispiel, weil sie persönlich etwas tun will, was ihre Mutter nicht getan hat: spielen. Mit ihren Kindern spielen. Auch wenn es unendlich anstrengend ist, Höhlen aus Laken zu bauen und durch die Wohnung zu robben oder die Figuren zu mimen, die ihr zugeteilt werden. „Meine Mutter hat damals Spiele für uns vorbereitet, aber sie hat nicht mit uns gespielt“, erinnert sie sich. Jacinta hingegen spielt Zeitreise. Ein herrlicher Zeitvertreib, immer und überall praktikabel. „Wir tun unterwegs auf der Straße oder in der U-Bahn so, als ob wir aus einer anderen Zeit stammen und eine Dokumentation über das Leben im Jahr 2021 drehen. Mein Sohn ist der Regisseur und ich seine Assistentin.“
Vielleicht begegnet ihr dabei die Leserin, die ihr in der Wirklichkeit schrieb: „Ihr Buch ist für mich so spannend wie Harry Porter.” Am liebsten aber trifft Jacinta Nandi Männer der nahen Zukunft, die ihr sagen: Ich verstehe dein Buch nicht! Denen gibt sie zurück: Das ist toll! —