Ein verändertes Handeln von den „oberen 1 %“ würde sehr viel bringen

Warum fällt uns ein Umdenken und Handeln so schwer und was kann helfen? femMit hat mit Lena Müller vom Verein Psychologists / ­Psychotherapists for Future gesprochen.

Interview: Romina Stawowy

Der Weltklimarat sagt, wir werden die 1,5-Grad-Grenze schon im kommenden Jahrzehnt überschreiten. Warum aber können wir uns die Auswirkungen des Klimawandels nur schwer vorstellen?

Die Krise ist sehr komplex. Evolutionsbedingt ist unser Gehirn vor allem auf unmittelbare Gefahren angepasst. Eine Situation vergleichbar zu der, dass ein Tiger vor uns steht, versetzt uns in Alarmbereitschaft. Wir können die Gefahr direkt überblicken und reagieren. Unmittelbarkeit und Übersicht, welche Handlung zur Rettung führen könnten, lässt die Klimakrise schwer zu. In einem Land wie Deutschland, wo wir immer noch in Supermärkte gehen, in denen die Regale voll sind, versetzt uns die Lage nicht tagtäglich in Alarmbereitschaft. Das ist in anderen Ländern heute schon anders. Besonders Länder, die in den letzten Jahrzehnten wenig zum Ausstoß von klimaschädlichen Emissionen beigetragen haben, sind leider oft besonders stark betroffen. 


Aber wir merken doch, dass sich etwas verändert. Und die Medien berichten … 

Ja, wir merken wärmere Sommer und Winter. Und wir nehmen zunehmende Naturkatastrophen wahr, wie die Überschwemmung im Ahrtal. Das alles kann mittlerweile auch der Klimakrise zugeschrieben werden. Die Sorge hält aber nur kurz an. Nach einiger Zeit setzt der – auch teilweise positiv zu bewertende und sogar überlebenswichtige – Mechanismus des Verdrängens ein. Er führt dazu, dass wir die Themen nicht permanent präsent haben. Dazu kommt: Wir sehen meist keine direkten positiven Auswirkungen, wenn wir klimafreundlich handeln. Das steigert die Abstraktheit des Themas. Vor dem Tiger weglaufen, das rettet mich im besten Fall vor der Gefahr. Diese einfache, überschaubare Handlung funktioniert bei der Klimakrise nicht.


Was könnte denn Einfluss auf unser ­Verhalten haben?

Das Wissen – also die kognitive, rationale Ebene ist das eine. Was uns Menschen jedoch wirklich zum Nachdenken und Handeln bewegt, sind Dinge, die uns emotional berühren. Menschen, die gerade Eltern werden, wussten vielleicht schon lange über die Auswirkungen der Klimakrise Bescheid – hatten also das kognitive Wissen parat. Doch erst mit ihren Kindern, die noch viel länger auf dieser Erde sein werden, wird ihnen klar, in was für einer Welt ihre Kinder vielleicht leben werden. Eltern können davon so stark emotional berührt werden, dass sie anfangen, sich zu engagieren. Um für eine lebenswerte Welt für ihre Kinder zu kämpfen.


Was hilft, unser Handeln ­klimafreundlich zu gestalten? 

Viele Faktoren: Den größten Hebel hätte es, wenn politisch und gesellschaftlich Strukturen so geschaffen würden, dass das nachhaltigste Handeln auch immer das bequemste ist. Sozusagen den Default Modus auf Nachhaltigkeit setzen und alle Handlungen, die nicht nachhaltig sind, als die unbequemeren setzt. Gerade sind klimaschädliche Produkte durch Subventionen zum Beispiel oftmals viel günstiger als die nachhaltige Variante. Natürlich greifen dann viele Menschen zum günstigeren Produkt. 

Viel mehr bringen würde es, wenn die „oberen 1 Prozent“ der Bevölkerung ihr Verhalten ändern würden. Durch ihren Lebensstil stoßen diese Menschen ein vielfaches mehr an Emissionen aus und könnten davon vermutlich auch viel vermeiden. 

Lena Müller, Psychologists / ­Psychotherapists for Future


Gibt es noch mehr Punkte, an denen es scheitert, dass sich mehr Menschen klimafreundlich verhalten? 

Es können einfach nicht alle Menschen nachhaltig handeln. Besonders einkommensschwächere Menschen haben oft viel weniger Ressourcen. Im übrigen weiß man durch Studien, dass diese Menschengruppe nur für einen vergleichsweise kleinen Teil der Emissionen verantwortlich sind. Viel mehr bringen würde es, wenn die „oberen 1 Prozent“ der Bevölkerung ihr Verhalten ändern würden. Durch ihren Lebensstil stoßen diese Menschen ein vielfaches mehr an Emissionen aus und könnten davon vermutlich auch viel vermeiden. 


Trotzdem könnte ja jede:r Einzelne etwas beitragen, oder? 

Wenn ich auf individueller Ebene etwas für mich verändern möchte, dürfen das tatsächlich Dinge sein, die mir Spaß bringen und mich im Alltag nicht zusätzlich belasten. Wenn ich gern koche, dann ist ein enorm großer Faktor, weniger tierische Lebensmittel in meine Ernährung zu integrieren. Wenn ich einen Garten oder Balkon habe, kann ich insektenfreundliche Pflanzen säen und Laub im Garten liegen lassen. Ich kann schauen, welche Wege ich bequem mit dem Rad oder dem ÖPNV zurücklegen kann, anstatt mit dem Auto zu fahren. Oder ob ich vielleicht Fahrgemeinschaften bilden kann. 

Das Wichtigste jedoch ist: über die Klimakrise zu reden. Das sind teilweise unangenehme Gespräche, ich weiß. Jedoch unterschätzen wir, wie viele Menschen in unserem Umfeld sich sorgen und teilweise damit allein sind. 

Gerade gibt mir die Politik leider das Gefühl, dass sie die Klimakrise immer weniger ernst nimmt. Das kann sie jedoch nur so lange, wie wir als Wählende das legitimieren. Wir sind in einer Demokratie, jede wahlberechtigte Person hat eine politische Stimme – diese dürfen wir nutzen, sei es beim Gang zur Wahlurne, bei Demonstrationen oder bei Petitionen.

Lena Müller, Psychologists / ­Psychotherapists for Future


Sind das so viele? 

Studien haben gezeigt, dass etwa 80 Prozent der Bevölkerung sich Sorgen machen. Sie wären bereit, nachhaltig zu handeln, wenn ihnen Handlungsmöglichkeiten angeboten werden. Es gibt wirklich viele kleine und große Möglichkeiten. Was jedoch in den kommenden Jahren entscheidend sein wird, ist, dass die soziale Norm geändert wird und ein sozialer Kipppunkt erreicht wird. Gerade gibt mir die Politik leider das Gefühl, dass sie die Klimakrise immer weniger ernst nimmt. Das kann sie jedoch nur so lange, wie wir als Wählende das legitimieren. Wir sind in einer Demokratie, jede wahlberechtigte Person hat eine politische Stimme – diese dürfen wir nutzen, sei es beim Gang zur Wahlurne, bei Demonstrationen oder bei Petitionen. Außerdem können wir, anstatt darüber nachzudenken, wie wir unseren sogenannten CO2-Fußabdruck verkleinern, darüber nachdenken, wie wir unseren positiven Handabdruck in der Gesellschaft vergrößern. Das ist ein Synonym für: „Ich pack mit an!“ Mich einer Gruppe anzuschließen, die gleiche Werte und Ziele teilt, hat nicht nur gesellschaftlich einen Nutzen, sondern bringt uns auch noch angenehme Gefühle im Sinne von Verbundenheit und Selbstwirksamkeit. 


Ich merke immer wieder eine Ablehnung, wenn ich mit anderen ­Menschen über Nachhaltigkeit spreche. Woran liegt das und was kann ich anders machen? 

Ich kann mir vorstellen, dass einige Menschen Nachhaltigkeit mit Verzicht gleichsetzen. Das hört sich erst mal nicht so schön an. Aber gerade da wird es spannend, mal weiterzudenken. Worauf müsste ich denn verzichten? Ja, vermutlich schon auf meine zwei Urlaubsflüge pro Jahr, die aber leider auch nur einer kleinen Bevölkerungsschicht – Stichwort: Geld – zugänglich ist. Ich selbst reise auch gern, ich würde das auch schade finden. Ich würde es allerdings besser finden, auf verpestete Luft zu verzichten, weil wir weniger Emissionen in die Luft blasen. Ich würde gerne darauf verzichten, zu fühlen, wie die Sommer immer heißer und die Winter immer wärmer werden. Ich würde gerne darauf verzichten, Wälder sterben zu sehen. Ich würde gerne darauf verzichten, dass Menschen ihre Heimat verlieren, weil diese aufgrund der Klimakrise kein Lebensraum mehr für diese Menschen bietet. Und sicher fällt jeder Person individuell noch etwas ein, was sie in den letzten Jahren beobachtet hat und sie traurig macht. Anstatt also nur über das „was hab ich dann nicht mehr” nachzudenken, kann ich ja auch darüber nachdenken, was ich zu gewinnen habe.


Das wird aber nicht jede:r zulassen …? 

Insgesamt lohnt es sich immer, neugierig zu sein und lieber zu fragen, „warum” eine Person vielleicht ein bestimmtes Thema ablehnt, anstatt selbst in Ablehnung zu gehen oder schnell das Thema zu wechseln. Das ist übrigens auch spannend, um zu üben, unangenehme Gespräche zu führen. Vielleicht macht die andere Person sich Sorgen und ist selbst so belastet, dass sie, anstatt die Sorgen zu teilen, lieber in eine Abwehrhaltung geht? Manche Menschen sind auch resigniert und meiden deshalb das Thema. Dann ist es interessant zu wissen, was die Resignation hervorgerufen hat. Fehlende Handlungsmöglichkeiten? Vielleicht kann darüber ja zusammen nachgedacht werden. Das schafft gleichzeitig auch mehr Verbundenheit, nach der sich die meisten Menschen sehnen. —

Hinweis: Dieses Interview erschien erstmals in femMit Magazin Ausgabe 6. Die ganze Ausgabe hier bestellen.

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