Reflexion, richtige Entschlüsse und der Ruf der Frauen
Von Sofie Flurschütz
Mit welchem Konsumverhalten hat Alina Süggeler, die Stimme und das Gesicht der Band „Frida Gold“, lange Zeit gehadert? Warum zweifelt sie manchmal daran, ob sie sorgsam genug mit Ressourcen umgeht. Und wie ist sie im Alter von vier Jahren darauf gekommen, kein Fleisch mehr zu essen?
Montagmittag, kurz vor Redaktionsschluss. Ein Anruf aus Nordrhein-Westfalen. Alina Süggeler stellt sich mir vor, dabei kenne ich die Frida-Gold-Stimme aus den insgesamt 20 veröffentlichten Singles nur zu gut. Seit 2011 trällere ich mit, wenn „Wovon sollen wir träumen“ im Radio läuft. Der Song hielt sich 59 Wochen in den deutschen Charts und erreichte Platin-Status. Die deutsche Popband Frida Gold gibt es seit 2008. Alina ist die Sängerin. Ideen zu den Songs kommen ihr allein oder zusammen mit Musik-Partner Andi, Produzent und Multiinstrumentalist Andreas Weizel.
Zwischen Überzeugung und Überforderung
Was denkt Alina über Nachhaltigkeit und wie nachhaltig ist sie in ihrem Leben als Popsängerin? Das möchte ich von ihr wissen. Die 37-Jährige sieht Nachhaltigkeit auf allen möglichen Ebenen. „Nachhaltig zu sein, bedeutet nicht nur, die Umwelt zu schonen und zu schützen und sorgsam mit den Rohstoffen auf der Erde umzugehen, sondern kann auch auf Beziehungen zu Freunden und Familie bezogen werden – wie sehr pflege ich das, was ich habe?“, definiert die Popsängerin. „Wenn wir uns den ganzen Themen rund um Nachhaltigkeit widmen, kommt ganz schnell ein Gefühl von Überforderung auf“, weiß Alina und ergänzt: „Wie sehr lässt mein Alltag Veränderung zu? Wie tief tauche ich in bestimmte Zusammenhänge ein? Habe ich überhaupt das Vorwissen, um mit den Informationen, die ich finde, umgehen zu können?“ Sie ist sich deshalb sicher: Wer auf die Umwelt achten will, muss sein Leben nicht von heute auf morgen komplett umkrempeln. Viel besser sei es, sich im eigenen Tempo zu bewegen, denn auch kleine Schritte in die richtige Richtung können viel bewirken. Orientierung ist dabei das A und O für Alina. Der „Blaue Engel“ setzt zum Beispiel Maßstäbe für umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen. Als unabhängiges Umweltzeichen bietet er somit eine hilfreiche Stütze beim Einkauf. „Es sollte einfach sein, eine gute Entscheidung zu treffen“, sagt die Künstlerin. Aufgrund dieser Überzeugung war Alina 2017 Umweltbotschafterin für den „Blauen Engel“.
Erst vegetarisch, dann vegan
Alina hat sich als Kind entschieden, kein Fleisch mehr zu essen. „Im Alter von vier Jahren bin ich darauf gekommen, dass Fleisch tote Tiere sind und mir hat es nicht eingeleuchtet, warum ich das essen sollte. Ich bin mit Hunden aufgewachsen und habe schon immer eine große Verbundenheit zu Tieren gefühlt“, erklärt Alina. Als sie den Entschluss fasste, sich fortan nur noch fleischlos zu ernähren, sei sie oft damit konfrontiert worden, dass es für viele Menschen ein unbequemes Thema ist. „Immer, wenn ich irgendwo eingeladen war, zum Beispiel zum Mittagessen zu meinen Freunden ging, war das ein Thema. Meine Familie ist mir zum Glück gefolgt und hat sich umgestellt“, erinnert sich die deutschsprachige Interpretin. Dem Impuls, den sie in sich spürte, gab sie immer mehr Platz. Mittlerweile ernährt sich die Tierliebhaberin seit zehn Jahren vegan. Ihre Überzeugung für diese Lebensweise stülpt sie anderen Menschen nicht über, aber erzählt, in welcher Natürlichkeit ihr das Thema begegnet ist. „Ich weiß, dass sich manche Personen dann angegriffen fühlen, dabei ist das gar nicht so gemeint. Jede Person hat Herzensangelegenheiten und somit Bereiche, an denen gearbeitet und eine Veränderung für den ökologischen Fußabdruck erreicht werden kann.“
Frida Gold und Fast Fashion
„Womit ich lange gehadert habe, war der Bereich Fashion“, gesteht Alina und räumt ein: „Für uns war das immer Ausdrucksmöglichkeit, um unsere Kunst und Charaktere sowie Themen in der Musik zu unterstreichen. Das hat Spaß gemacht, trotzdem war mir klar: Ich habe unheimlich konsumiert in dem Sektor.“ Dass die Modeindustrie oft kaum nachhaltig ist, hat die Sängerin gewusst, aber viele Jahre nichts geändert. „In einer Hochphase mit Frida Gold, in der viele Termine anstehen, geht es um Schnelligkeit, und für manche Themen habe ich mir keine Zeit genommen, keine Zeit, um inhaltlich zu reflektieren: Bin ich musikalisch noch da, wo ich mich wohlfühle? Welche Person bin ich geworden? Ich dachte, ein Outfit zweimal zu tragen, sei nicht in Ordnung und es müsse immer wieder neue Eyecatcher geben“, schildert Alina. 2020 habe sie gemerkt, dass es viel schöner ist, wenn Menschen merken, dass die Bandmitglieder Lieblingsteile haben und diese immer wieder tragen. Ob in Musikvideos, bei öffentlichen Auftritten oder im Privatleben: Gemeinsam mit Andi habe sie damals daher festgelegt, nur noch Secondhand zu kaufen und die bereits erworbene Kleidung weiterhin zu tragen. Das Ankurbeln neuer Trends und das Orientieren an neuen Kollektionen finde für die Band nicht mehr statt. Abstriche müssen die Künstler:innen nur in Ausnahmefällen machen, etwa aufgrund von langen Lieferzeiten, und setzen dann beim Neukauf auf nachhaltige Firmen oder alte Kollektionen. „Es ist ja alles da, was nur zum Leben erweckt werden muss. Das Neuerfinden und Inszenieren macht total Spaß“, berichtet Alina und fügt hinzu: „Wir haben auch eine wunderbare Bochumer Schneiderin, die schon mit den Augen rollt, wenn ich mit Kleidung vorbeikomme, die nicht passt, aber dringend für das nächste Video angepasst werden muss.“
Nicht müde werden, anzugleichen
Sich in den Song-Texten ehrlich mitzuteilen war nie ein Problem für Frida Gold. Öffentlich transparent mit den Dingen umzugehen, die der Sängerin und dem Gitarristen wichtig sind, fehlte dagegen. Das entschleunigte Leben durch Corona hat den beiden viel Platz geschaffen, um nachzudenken, wie sie wahrgenommen werden und wahrgenommen werden möchten. „Es geht nicht darum, eine Facette von sich selbst zu sein, sondern spürbar und nachvollziehbar zu werden als Mensch. Nur dann kann man auch Impulse setzen“, schildert Alina. Seit vergangenem Jahr ist der Künstlerin klar: Neben der Freude am Musikmachen ist es auch die Funktion als Sprachrohr, die sie antreibt. Stärker als jemals zuvor kommunizieren die beiden ihre Haltung und ihr Verständnis vom Miteinander auf dieser Erde. „Wir glauben an ein Morgen, in dem alle gleichberechtigt und selbstbestimmt leben. Es geht nicht darum, irgendjemandem etwas wegzunehmen, sondern darum, dass eine Gesellschaft nicht nur über einen Teil der Menschen abgebildet werden kann“, appelliert Alina.
Ein Beispiel für diese neue Einstellung ist der Song „Alle Frauen in mir sind müde“. Die im Januar 2023 erschienene Ballade ist ein Lobgesang auf alle Frauen und die Kraft, mit der sie sich weltweit gegen Ungerechtigkeiten auflehnen. „Manchmal denke ich, dass jede Frau die Geschichte aller Frauen in sich trägt. Der Frau davor, der Frau danach. Deshalb steht jede Frau, die sich für Selbstbestimmung und Unabhängigkeit stark macht, auch für das Recht aller Frauen dieser Welt ein“, meint Alina. Den Text dafür hat sie bereits 2017 geschrieben, damals gab u. a. eine Konferenz von der Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help den Anstoß. „Es war schmerzlich, mit dem Song durch die Jahre zu gehen und zu merken, es gibt immer wieder einen neuen Bezugspunkt“, sagt die Künstlerin.
Nachhaltige Stärkung von Gemeinschaft und Gesellschaft
Andi und Alina engagieren sich für Women For Women International, eine Organisation, die Frauen unterstützt, die einen Krieg überlebt haben. Als Botschafter:innen sind sie dankbar, Überlebende auf ihrem Weg in ein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben zu begleiten. „Investment in Frauen bedeutet immer auch ein Investment in eine nachhaltige Stärkung von Gemeinschaft und Gesellschaft“, resümiert Alina. Als sie sich mit ihrer Rolle als Frau beschäftigte, ist ihr einmal mehr aufgefallen, dass die Schnittstelle zwischen ihr und ihrer Kunst sowie den Menschen, die diese erreichen soll, oftmals ältere weiße Männer sind, die darüber entscheiden, welche Themen vorangestellt werden und wie Künstler:innen marketingmäßig dargestellt werden. Die Band trennte sich 2022 von ihrem Musiklabel Universal. Seither sind die Musiker:innen nicht mehr nur für die künstlerischen Inhalte verantwortlich, sondern agieren zu 100 Prozent selbstbestimmt. „Wir haben den Vertrag aufgelöst, weil wir gemerkt haben, dass das nicht mehr unsere Welt ist. Allem voran stand ständig die Frage, wie muss ein Song beschaffen sein, um seinen kommerziellen Zweck zu erfüllen, gepaart mit dem Anspruch ständig die Socials zu bespielen“, schildert Alina. Auch das sei für sie mit Nachhaltigkeit verbunden: „Wie aufmerksam sind wir mit den Dingen, mit denen wir uns gerade beschäftigen? Wenn wir Musik zu sehr verzwecken, und uns mehr mit dem Außen beschäftigen als mit dem Innen, kommen wir nicht mehr an die musikalische Essenz, die uns das Wichtigste ist.“ In ihrer neuen Unabhängigkeit brauchen Andi und Alina keine Erlaubnis mehr – es sei nun alles ihre Entscheidung und ihr Glaube an das nächste Thema.
Umgang mit der Natur
Während ich mit Alina telefoniere, sitzt sie in einem Haus in Hattingen bei Bochum, wo sie bereits als Kind Klavier und Querflöte spielen übte und sich für Nachwuchswettbewerbe vorbereitete. Das Haus steckt voller Erinnerungen, denn dort ist die Frontfrau mit ihrem Bruder und ihrer Schwester aufgewachsen. Sie lebt dort auch jetzt wieder mit ihren Geschwistern. Alinas Entscheidung, nach vielen Jahren in Berlin wieder zurück ins Ruhrgebiet zu ziehen, hat die Sängerin bewusst getroffen, um mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen und sich zurückzubesinnen. „Wir haben als Kinder sehr naturverbunden gelebt und so auch den Respekt entwickelt vor anderen Lebewesen und der Natur an sich und schnell ein Gefühl entwickelt, uns mit Achtsamkeit zu bewegen“, erinnert sich Alina. Ihr Leben lang habe sie Campingurlaube gemacht – wochenlang mit dem Zelt mitten in der Natur. So habe sie ein Verständnis entwickelt, dass die Natur nicht unser Lebensraum ist, in dem wir wüten dürfen, sondern dass es einen respektvollen Umgang mit ihr braucht.
Ihr Leben in der 54.000-Einwohner-Stadt sei sehr beschaulich und unspektakulär. Wenn sie nicht schreibt, singt, kocht und renoviert sie, oder geht mit ihren zwei Podenco-Mix-Hündinnen spazieren. „Ich liebe es, die Welt über ihre Instinkte wahrzunehmen“, sagt die Interpretin.
Musik, die nachhallt
Alina ist als Sängerin und Songschreiberin Stimme einer ganzen Generation junger Frauen – und all jener Menschen, die einfühlsam durch eine raue und teilweise überfordernde Gesellschaft huschen. Wenn Alina allein einen Text entwirft, entsteht der oft durch ein Wort oder eine Formulierung, die sie beschäftigt. Meistens entspringen die Ideen, wenn sie ganz andere Dinge unternimmt – etwa Pasta kocht. Dann kritzelt sie ihre Einfälle schnell nieder. Die Ausarbeitung sei viel Fleiß, denn sie forscht dann, was zu dem jeweiligen Songthema gehört. Wenn sie sich vollgesaugt hat mit Gedanken und Emotionen, geht’s ans Musizieren.
„Was ist wichtig, wenn ihr Musik macht?“, frage ich Alina. Am anderen Ende der Leitung bleibt es kurz still. „Wir können gar nicht anders, als die Dinge zu besprechen, die uns am dringlichsten auf der Seele brennen. Musik ist Wort und Gefühl – die schönste Form, um Themen zu adressieren“, macht Alina klar und verrät: „Andi und ich haben noch so viel Material in der Schublade – Songs, die noch ploppen wollen. Das nächste Lied, das wir releasen, kommt leichtfüßig daher.“ —
Hinweis: Dieser Text erschien erstmals in femMit Magazin Ausgabe 6. Hier ganze Ausgabe bestellen.
Foto: Andreas Weizel