Nachhaltig gute Geschäfte

149 Millionen Umsatz, ein reines Gewissen und jede Menge gute Laune

Interview: Andrea Hansen

Nachhaltige Outdoor-Ausstattung aus einem Familienbetrieb folgt auf Fast-Food-Global-Player – gegensätzlicher könnten zwei Preisträgerinnen nicht sein. Die Vorgängerin von VAUDE-Chefin Antje von Dewitz als „CMO of the Year“ war die Marketingleiterin von Mc Donald’s. Antje von Dewitz wurde ausgezeichnet, weil sie mit der Transformation ihrer Firma anderen in Sachen Nachhaltigkeit „um Jahre voraus“ ist, so die Laudatio. Das Marketing verantwortet sie seit 2005. Die Nachfolge ihres Vaters, Firmengründer Albrecht von Dewitz, tritt sie 2009 an.

Außerdem berät Antje von Dewitz Wirtschaftsminister Robert Habeck im Mittelstandsbeirat, hat ein ansteckendes Lachen und hält wirtschaftlichen Erfolg und Nachhaltigkeit nicht für einen Widerspruch – ganz im Gegenteil. Die Kombination aus beidem ist für sie nicht nur selbstverständlich, sondern auch das Zukunftsmodell für unsere Wirtschaft. Verantwortung zu übernehmen  ergibt Sinn und macht Spaß, sagt Antje von Dewitz.

Frau von Dewitz, wenn Sie auf das Thema Nachhaltigkeit am Standort Deutschland schauen, was ist da Ihr erster Impuls? Ärgert Sie mehr oder haben Sie eher
gute Gefühle?

Am Standort Deutschland sehe ich weniger kritische Punkte als weltweit, weil wir hier schon relativ hohe gesetzliche Anforderungen haben. Doch auch bei uns gibt es noch Handlungsbedarf, beispielsweise beim Schutz der Biodiversität oder beim Ausbau der Energieeffizienz. Die größten Herausforderungen in Sachen Nachhaltigkeit sehe ich jedoch in den globalen Lieferketten. Wenn Unternehmen ihrer Verantwortung weltweit nachkommen, können wir enorm viel erreichen bei der Reduktion von CO2-Emissionen, der Schonung von Ressourcen oder der Verbesserung von Arbeitsbedingungen und auch Lebensstandards für Menschen in den Produktionsländern. Mittlerweile gibt es viele Unternehmen, die nachhaltig wirtschaften möchten und in den Startlöchern stehen bzw. schon die ersten Schritte gegangen sind. Ich bin optimistisch, dass es künftig schneller vorangeht, denn auch auf EU-Ebene soll bald ein Lieferkettengesetz in Kraft treten.

Aber so wahnsinnig viel passiert ist in den letzten Jahren nicht …

Bis heute ist es so, dass die allermeisten nachhaltigen Themen im Unternehmen auf freiwilliger Basis umgesetzt werden. Manager:innen werden an finanziellen Kennzahlen gemessen. Nennenswerte nachhaltige Kennzahlen gibt es in unserem konventionellen Wirtschaftssystem aber noch nicht – weder bei Boni noch bei Steuervorteilen. Unsere soziale Marktwirtschaft ist noch zu wenig ökologisch ausgerichtet. Deshalb engagieren wir uns als Mitglied der Gemeinwohl-Ökonomie. Bei diesem Modell ist der Beitrag zum Gemeinwohl auch ein Wert – das ist bislang noch zu wenig in unserem Wirtschaftssystem verankert. Da muss man sich nicht wundern, dass nach dem gewirtschaftet wird, was bislang als Erfolgsfaktor gilt.

Zitat: "Norwegen hat schon vor Jahren PFCs (auch als PFAS bekannt) verboten, das sind Chemikalien, die wasserabweisend, aber auch nicht abbaubar und krebserregend sind. Schweden hat für Reparaturleistungen einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz als für andere Dienstleistungen. Das fördert Kreislaufwirtschaft. Man könnte solche Best-Practice-Beispiele in ganz Europa einsammeln und daraus ein großes, gutes Ganzes stricken." Antje von Dewitz

Wo läuft es denn besser als hier bei uns?

Das Paradies für Nachhaltigkeit gibt es nicht. Manche Länder schreiten bei Einzelthemen voran. Norwegen hat schon vor Jahren PFCs (auch als PFAS bekannt) verboten, das sind Chemikalien, die wasserabweisend, aber auch nicht abbaubar und krebserregend sind. Schweden hat für Reparaturleistungen einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz als für andere Dienstleistungen. Das fördert Kreislaufwirtschaft. Man könnte solche Best-Practice-Beispiele in ganz Europa einsammeln und daraus ein großes, gutes Ganzes stricken.

Müsste die soziale Marktwirtschaft, die auch das Wohl des Menschen im Blick haben wollte, das Ökologische nicht grundsätzlich mitdenken?

Es gibt schon Fortschritte am Standort Deutschland. Im Rhein kann man wieder schwimmen, das war vor 20 Jahren anders. Das hat nur leider dazu geführt, dass viele giftige Geschichten verlagert wurden und beispielsweise durch die Textilverarbeitung nun in asiatischen Ländern die Flüsse vergiftet sind. Die realen Kosten für unsere Produkte zahlen größtenteils andere Länder, vor allem der Globale Süden. Es ist für mich immer wieder bemerkenswert, wie viel Energie auf Gegenlobbyismus verwandt wird, sobald ein bisschen mehr Regulation auf den Weg gebracht werden soll. Ich habe das bei der Entstehung des deutschen Lieferkettengesetz mitverfolgt. 21-mal wurden Wirtschaftsverbände von der Regierung zusätzlich zum regulären Konsultationsprozess angehört, NGOs hingegen nur einmal und gar nicht mehr in der entscheidenden Phase.

Was ist Ihr Antrieb? Was hat Sie zu der Unternehmerin gemacht, die Sie heute sind?

Ich wollte zunächst gar nicht Unternehmerin werden, sondern eher bei einer NGO an Veränderungen arbeiten. Die Abholzung des Regenwaldes war für mich als Jugendliche sehr präsent, und ich wollte meinen Beitrag für eine bessere Zukunft leisten. Ich war dann eher überrascht, als ich nach einigen Praktika bei Medien und NGOs feststellte, dass mein Platz im Unternehmen eigentlich der wirkmächtigste ist. Mich hat sicher auch geprägt, dass ich in einem sehr konservativen, ländlichen Umfeld aufgewachsen bin. Wir waren die einzigen Kinder aus einer Unternehmerfamilie und wurden eher mit Argwohn beäugt, so nach dem Motto „Euer Vater ist sicher ein Ausbeuter!“. Ich hatte das Gefühl, dass man sich als Unternehmer:in Vertrauen verdienen muss – und das geschieht durch Transparenz. Vertrauen zu verdienen, im doppelten Wortsinn, das war und ist ein großer Antrieb.

Wie war das denn dann früher am ­Abendbrottisch mit dem Unternehmer-Vater und mit Ihnen, die den Regenwald retten wollte?

Da war eher meine Mutter bestimmend. Sie war eine sehr leidenschaftliche Systemkritikerin. Die Diskussion zwischen meinem Vater und meiner Mutter um die Frage „Wachstum, Wachstum, wo soll das hinführen“, die waren sehr prägend. Meine Eltern haben sehr gegensätzlich auf die großen Themen geblickt: Verantwortung von Unternehmen, Wachstumsgrenzen – solche Themen wurden sehr kontrovers bei uns diskutiert. 

Wie würden Sie die Frage heute beantworten? Ich meine, Sie leben ja ­letzten Endes auch davon, dass ich mir eine neue Fahrradtasche kaufe. Wie kriegt man das zusammen? 

Nachhaltiges Wirtschaften besteht größtenteils aus dem Management von Zielkonflikten – und das ist der größte. Das unbegrenzte Streben nach wirtschaftlichen Wachstum ist eine der Hauptursachen für die vielen globalen Krisen wie Klimawandel oder Artensterben. Doch dahin, wo wir mit VAUDE heute bei sozialen und ökologischen Produktions- und Wirtschaftsweisen stehen, wären wir ohne Wachstum gar nicht gekommen. Wir haben uns den wissenschaftsbasierten Klimazielen zur Erreichung der 1,5 Grad Ziele verpflichtet und reduzieren unsere Emissionen entsprechend. Unsere Materialien sind bereits zu 80% recycelt und biobasiert. Wir begleiten unsere Produktionspartner weltweit dabei, auf erneuerbare Energien umzustellen. Unsere Produkte designen wir so langlebig und reparabel wie möglich. Wir unterstützen unsere Konsument:innen durch Videoanleitungen und Ersatzteilservice beim Reparieren. Und parallel dazu investieren wir in neue Geschäftsmodelle: Man kann unsere Produkte mieten und bald auch gebraucht kaufen, und unsere Upcycling-Linie hilft uns, Restmaterialien in unserer Produktion hier am Standort nahezu komplett zu vermeiden, indem wir aus ihnen neue Produkte herstellen.

Zitat: "Hierzulande wird oft mehr Energie eingesetzt, zukunftsrelevante Veränderungen zu verhindern, anstatt sie als Innovationspotenzial zu begreifen und sich zu professionalisieren."
Antje von Dewitz

Also ist die Idee, dass ein freier Markt eher Innovationen hervorbringt als Regulation, mehr als eine neoliberale Parole?

Ich glaube, viele Unternehmen kennen sich bei Nachhaltigkeit schlicht zu wenig aus. Unkenntnis richtet meiner Ansicht nach noch mehr Schaden an als Lobbyismus. Nachhaltige Kompetenz braucht tiefe Expertise, Methodik, ich brauche Expert:innen und muss mir Wissen aneignen. Je länger ich so tue, als ob der Kelch an mir vorüber geht, desto stärker gerate ich ins Hintertreffen. Denn der nachhaltige Weg ist wirtschaftlich notwendig, machbar und auch erfolgreich. Deutschland ist ein Top-Wirtschaftsstandort mit exzellenten Köpfen. Wenn ihnen herausfordernde Ziele und auch Grenzen gesetzt werden, und sie daraus neue Lösungen gestalten müssen, dann entsteht da ganz viel zukunftsorientierte und nachhaltige Innovationskraft. Das wird leider häufig noch nicht erkannt. Hierzulande wird oft mehr Energie eingesetzt, zukunftsrelevante Veränderungen zu verhindern, anstatt sie als Innovationspotenzial zu begreifen und sich zu professionalisieren.

Welche Tipps zu Fragen der Nachhaltigkeit hätten Sie für andere Unternehmer:innen, die sagen: Ich lass das mit den Beharrungskräften, ich bewege mich jetzt!

Das unternehmerische Verständnis von Verantwortung muss endlich ganzheitlicher werden. Das ist das, was immer mehr Menschen da draußen, vor allem die junge Generation, schon lange von Unternehmen erwarten. Es muss in die Köpfe rein. Am Anfang steht eine ehrliche Standortbestimmung in Sachen Nachhaltigkeit. Ich würde mir für den Prozess Begleitung holen, die mich durch dieses komplexe Feld geleitet, z. B. an unserer VAUDE Academy für nachhaltiges Wirtschaften. Viele hindert die Angst vorm Scheitern, weil man sich mit so einer Transformation natürlich exponiert. Manche haben das Gefühl, dass man sich damit unheimlich verletzlich macht. Doch das Gegenteil ist der Fall: Es macht Unternehmen stark, krisenresistent und zukunftsfähig.

Könnte ein bisschen Druck der Politik helfen, weil ich dann nicht rechtfertigen muss, warum ich mir einen grünen ­Daumen zulege?

Definitiv. Aus der Politik höre ich auch, dass z. B. FFF-Proteste politische Gestaltungsspielräume geschaffen haben, die vorher nicht existierten. Im Unternehmen ist das nicht anders. Ich glaube, die Politik schöpft da ihr Potenzial noch nicht aus: Mindeststandards setzen, Verbote von giftigen Stoffen, niedrigere Steuersätze für Kreislaufwirtschaft oder endlich der Wegfall von Subventionen, die klimaschädlich sind. Die Politik kann einen Riesen-Einfluss haben. Allein, wenn man sich die öffentlichen Haushalte anschaut und sich vorstellt, dass die öffentliche Beschaffung auf nachhaltige Produkte umstellen würde – was das für einen Schub gäbe!

Sie beraten ja auch in der Politik und erleben dort Beharrungskräfte als ­starken Gegenwind. Wie schaffen Sie es, ­Menschen auf Ihre Seite zu ziehen?

Wenn Sie sich als Unternehmen auf den Weg machen, müssen Sie zuerst die Skepsis in den eigenen Reihen auflösen und die Menschen für ihre Ideen gewinnen. Das haben wir mit Maßnahmen geschafft, durch die Nachhaltigkeit am Standort kein abstrakter Begriff bleibt, sondern erlebbar wird. Unser Mobilitätskonzept ist da ein Beispiel: Wir haben überdachte Parkplätze und Duschen gebaut, um das Radfahren zu fördern. Wir haben einen E-Bike-Pool zum Ausleihen. Die besten Parkplätze haben nicht die Leute mit den höchsten Titeln, sondern die, die andere im Auto mitnehmen.

Kommunikation ist für Sie also der Schlüssel in vielen dieser Veränderungsprozesse? 

Wir machen quartalsweise Meetings mit allen Mitarbeitenden, in denen wir erzählen, was am Standort passiert und was uns im Unternehmen bewegt. Außerdem schulen wir die Verkäufer:innen aus dem Fachhandel in zweitägigen Nachhaltigkeitsworkshops. Wenn sie verstehen, was wir wie und warum machen, können sie das später auch ihrer Kundschaft vermitteln. Bei vielen steigen die Verkaufszahlen, weil sie nicht länger nur über Preis oder Funktionen verkaufen, sondern über Nachhaltigkeit. Es braucht Wissen, Verständnis und Bewusstsein – nur so haben wir eine Chance auf diesem Weg. Wenn es uns nicht gelingen würde, unsere Mehrkosten umzuwandeln in Markenausstrahlung durch Werteorientierung, würden wir unsere Zielgruppe irgendwann nicht mehr erreichen.

Wenn Sie jetzt auf die Verbraucher:innen gucken, ist es da auch eher fehlendes Wissen, oder sind manche doch noch zu bequem?

Ich glaube tatsächlich, dass der erste Schritt ist, sich bewusst zu machen, was da gerade auf unserem Planeten passiert und welche Herausforderungen damit verbunden sind. Das wird oft ausgeblendet . Ich bin jedes Mal total erstaunt, wenn ich gefragt werde: Was soll schon passieren bei drei Grad Klimaerwärmung, da werden wir hier genauso weiterleben wie zuvor! Da denke ich mir: Wo lebst du? Ich finde auch erschreckend, wie wissenschaftsfern manche Menschen an wirklich bedeutenden Positionen in diesem Land sind. Nachhaltiger Konsum ist für viel Verbraucher:innen hochkomplex und unübersichtlich. Doch jeder Schritt zählt und man kann auch mit kleinen Dingen im Alltag Verantwortung übernehmen. 

Zitat: "Mein Verständnis ist, dass wir als Unter­nehmen Teil des ­Problems sind, weil wir ­Ressourcen ­verbrauchen und ­Emissionen ­verursachen."

Letzten Endes geht es um Gewissen und Moral, sind das für Sie Kategorien im unternehmerischen Denken? 

Mein Verständnis ist, dass wir als Unternehmen Teil des Problems sind, weil wir Ressourcen verbrauchen und Emissionen verursachen. Und mit VAUDE sind wir dazu auch noch in der extrem kritischen Textilbranche unterwegs. Aus diesem Bewusstsein heraus sehe ich es als unsere Aufgabe, Verantwortung zu übernehmen und Lösungen für die globalen Probleme zu finden. Ich würde es daher eher Verantwortungsethik nennen als Gewissen oder Moral.

Was erwarten Sie als CEO von anderen CEOs in diesem Zusammenhang?

Ich wünsche mir, dass das Bewusstsein nicht nur bei den Konsument:innen, sondern auch in der Wirtschaft wächst, dass immer mehr Unternehmer:innen aufhören, in Schlagworten zu sprechen und bereit sind, sich von von alten Glaubenssätzen zu lösen. Wir sollten uns bewusst machen, welche Schäden es in unserer Welt anrichtet, wenn die individuelle Freiheit diesen herausragenden Stellenwert behält. Ich würde wirklich erwarten, dass man Dinge zu Ende denkt, um aus diesem Abwehrautomatismus herauszukommen, dass die Regierung keine Vorgaben machen darf, weil sie so Freiheit beschränkt und Innovationskraft lähmt. Das ist Quatsch, ich erlebe es genau anders herum. Durch gesetzliche Regelungen wird die Innovationskraft forciert und gelenkt – so kommt man zu Lösungen, die etwas Positives bewirken und Lebensqualität für alle schaffen. Viele Unternehmen ticken auch längst so, sie begreifen es als Chance und Zukunftspotenzial.

Sie wirken auf mich wie eine sehr ausgeglichene Person – aber wie ungeduldig werden Sie, wenn Sie aktuell die Nachrichten einschalten?

Die schalte ich ganz selten ein, ganz ehrlich. Also meistens lese ich sie nur. Mir ist bewusst, dass ich als Unternehmerin in der privilegierten Position bin, mitgestalten zu können. Ich weiß, dass ich allein mit VAUDE die Welt nicht retten kann, aber ich kann einen Beitrag leisten, damit unsere Kinder auf diesem Planeten noch eine Zukunft haben. Das gibt mir viel innere Ruhe. Wir sind auch nicht die Einzigen. Es freut mich zu sehen, dass da noch ganz viele unterwegs sind. Daraus erwächst Geduld und Zuversicht, auch dann wenn vieles frustriert und immer noch viel zu langsam geht … —

Foto: VAUDE

Dieser Text erschien in femMit-Magazin 06. Hier das ganze Magazin bestellen.

Kommentieren...

Deine Email Adresse wird nicht angezeigt..

Ich drück die Daumen, dass du findest, wonach du suchst.