Der Klimawandel verstärkt bestehende Ungleichheiten

Der Klimawandel und seine Folgen treffen Frauen und Mädchen besonders. Und das nicht nur im Globalen Süden.

von Annika Säuberlich

Mehr als 70 Prozent der Toten beim Tsunami an den Küsten des Indischen Ozeans im Jahr 2004 waren Frauen. Sie konnten im Gegensatz zu Männern oft nicht schwimmen. Dass sie sich auf der Flucht um Kinder und Verwandte kümmern mussten, machte sie deutlich langsamer. Und ihre Männer wurden bei der Erwerbsarbeit früher gewarnt als die Frauen zu Hause. Das berichtet Bettina Jahn von UN Women Deutschland.

Diese Benachteiligungen von Frauen sind kein Einzelfall. Und Fälle wie die Flutwelle in Asien wird es wohl künftig öfter geben. Einige Forschende gehen davon aus, dass Naturkatastrophen durch den Klimawandel häufiger und heftiger werden. Doch nicht nur die Katastrophen selbst seien eine Gefahr für Leib und Leben von insbesondere Frauen, sagt Jahn.

Um das 53-fache hätte sich nach Hurrikan Katrina 2005 in den USA die Vergewaltigungsrate bei Frauen erhöht, die durch den Wirbelsturm ihr Dach über dem Kopf verloren hatten und in Wohnwagenparks umgesiedelt wurden. Ein Grund: Um auf die Toilette zu gehen, hätten die Frauen nachts im Dunkeln nach draußen gemusst. Auch in Geflüchtetenlagern steige die sexualisierte Gewalt gegen Frauen dadurch enorm an.

„Alle Krisensituationen verschärfen Ungleichheiten, die schon vorher bestanden.“

Bettina Jahn, UN Women Deutschland

Mehr Gelegenheiten, aber auch mehr nach Krisen auftretende posttraumatische Belastungsstörungen könnten die Gewalt, der Frauen ausgesetzt sind, zum Eskalieren bringen. So seien die gemeldeten Fälle an häuslicher Gewalt nach einem Wirbelsturm über dem südpazifischen Inselstaat Vanuatu im Jahr 2011 um 300 Prozent gestiegen.

„Alle Krisensituationen verschärfen Ungleichheiten, die schon vorher bestanden“, erklärt Bettina Jahn. „Und eine der größten Ungleichheiten besteht beim Thema Gender – kein Land der Welt hat die Gleichstellung der Geschlechter erreicht.“ Auch auf die Bildungschancen für Frauen und Mädchen wirkt sich der Klimawandel aus.

In den meisten Haushalten im Globalen Süden sind Mädchen für die Wasserversorgung zuständig. Steigen die Temperaturen im Zuge der globalen Erwärmung, finden die Mädchen Jahn zufolge weniger oder seltener Wasser und müssen auf ihrer Suche weitere Strecken zurücklegen. Je länger der Weg, desto höher die Wahrscheinlichkeit von Übergriffen – und desto weniger Zeit bleibt den Mädchen, um zur Schule zu gehen.

Folgen auch für den Globalen Norden

Die Beispiele betreffen größtenteils den Globalen Süden. „Aber die Folgen des Klimawandels für Frauen sind auch bei uns im Globalen Norden ein Thema“, erklärt Jahn. Auch hier gebe es weiterhin keine Gleichstellung der Geschlechter. So träfen steigende Energiekosten in Deutschland vor allem Frauen, die nach wie vor weniger als Männer verdienen und häufiger alleinerziehend und somit in einer finanziell prekären Lage sind. 

Weil Frauen im Schnitt weniger Geld haben, leben sie laut Jahn zudem oft in schlechter isolierten Stadtwohnungen, in denen sich Hitze schwerer ertragen lässt. Die Folge: mehr Todesfälle bei älteren Frauen während Hitzewellen.

Und weil Frauen auch im Globalen Norden weiterhin den größten Teil der Sorgearbeit tragen, bezahlen sie bei individuellen Nachhaltigkeitsmaßnahmen – unabhängig von den zu stemmenden monetären Kosten – mit ihrer Zeit. „Es ist aufwendiger, auf dem Markt einzukaufen statt im Discounter um die Ecke, und es ist aufwendig, sich um Second-Hand-Kleidung für Kinder zu kümmern“, sagt Jahn. „Wenn sich die Sorgearbeit erhöht, haben Frauen weniger Zeit für Bildung, Beruf und soziales Engagement.“ Das habe sich auch in der Corona-Pandemie gezeigt.

Kampf gegen den Klimawandel zugleich Systemkampf

Gina Cortes ist Managerin in der Abteilung Gender and Climate Policy der NGO Women Engage for a Common Future (WECF) Deutschland. Die kolumbianische Aktivistin fordert einen intersektionalen Blick auf das Thema.

„Wir müssen verstehen, dass es sich um strukturelle Ungleichheiten handelt, die tief im Zusammenspiel aus Kolonialismus, Extraktivismus und Kapitalismus verankert sind“, sagt Cortes. Extraktivismus definiert sie als Ausbeutung und Aneignung von Ressourcen als anhaltender Teil der kolonialen Ausplünderung. Alle verschiedenen Äußerungen von Diskriminierung und Marginalisierung gehen laut Cortes Hand in Hand – ob etwa wegen des Geschlechts, des Alters, der Ethnizität oder der Klasse.

„Vor allem Länder des Globalen Nordens, die so von der klimaschädigenden Wirtschaft profitiert haben, müssen sich ihrer historischen Verantwortung stellen, denn sie stehen ökologisch gesehen in der Schuld des Rests der Welt.“

Gina Cortes, NGO Women Engage for a Common Future (WECF) Deutschland

Ein Hindernis auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Bekämpfung des Klimawandels sind der Aktivistin zufolge fehlende Gelder. Die finanzielle Förderung für Organisationen mit feministischen Kernzielen sei verschwindend gering. Das behindere die Umsetzung geschlechtergerechter Lösungen. Und diese Lösungen gebe es durchaus: „Eine andere Welt ist möglich“, sagt Cortes, „durch kollektive, gemeinschaftsorientierte, dezentralisierte und lokale Initiativen.“ 

Aus Profitgründen fehle dafür aber oft der Wille der Regierungen. „Vor allem Länder des Globalen Nordens, die so von der klimaschädigenden Wirtschaft profitiert haben, müssen sich ihrer historischen Verantwortung stellen, denn sie stehen ökologisch gesehen in der Schuld des Rests der Welt“, sagt Cortes.

Auch Deutschland habe eine große Verantwortung. „Deutschland bewegt sich in Richtung einer feministischen Außenpolitik, aber wie konsequent ist das, wenn seine Wirtschaft in anderen Ländern trotzdem bestehende Ungerechtigkeiten verschärft?“, fragt Cortes. Als ein Beispiel nennt sie die deutsche Nachfrage nach Kohle aus einem Bergwerk in Gebieten der indigenen und afroamerikanischen Bevölkerung in Kolumbien.

Auch Bettina Jahn von UN Women Deutschland sieht das Bremsen des Klimawandels durch politische Maßnahmen als oberste Priorität. In den männerdominierten Verhandlungen über politische Maßnahmen gegen den Klimawandel würden die Stimmen von Frauen und Mädchen bislang kaum gehört. „Es ist wichtig, dass auch sie gleichberechtigt an diesen Verhandlungen teilnehmen“, sagt Jahn. „Geschlechtergerechtigkeit und Klimagerechtigkeit müssen zusammengedacht werden.“ —

Foto: Annabelle Avril – WECF

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