Smarte Städte – smartes Land?

Während das Konzept „Smart City” unter den Raumplaner:innen gerade en vogue ist, sieht es im ländlichen Raum sehr unterschiedlich aus. Doch gerade auf dem Land entscheidet sich, ob diese Konzepte gesamtgesellschaftlich Erfolg haben.

Text: Indrani Das Schmid

Hamburg hat gewonnen. Die norddeutsche Metropole ist laut dem Bitkom Smart City Index 2020 die smarteste Stadt Deutschlands. Mit 79,20 von 100 Gesamtpunkten zog sie an München (74,37) und Köln (73,01) vorbei. Vor allem dank ihres ausgetüftelten Mobilitätskonzept (96,77) und für alle Bewohner:innen (hier: Gesellschaft 93,42). Doch wie zeigt sich das im Alltag?

Digitalisierung heißt Mobilität

Mit der Mobilitäts-App für ihren ÖPNV „HVV Switch” können die Hamburger:innen beispielsweise nicht nur ihre Fahrkarten für den öffentlichen Verkehr, also die Leistungen des Hamburger Verkehrsverbunds, online beziehen, sondern auch Sharing-Angebote nutzen. Oder Online-Tickets für die Veranstaltungen der zahlreichen Theater, Kinos und anderen Anbieter buchen. Das ist nicht nur für die Endverbraucher:innen ein Gewinn, sondern auch für die involvierten Unternehmen. Diese gewinnen nämlich so Informationen, die ihnen erlauben, ihre Produkte besser anzupassen oder neue zu entwickeln.

Unternehmen Daten an die Hand zu geben, um weitere Entwicklungen zu fördern, ist nicht neu. Hamburg praktiziert es wie Wien. „Smart City Agency” heißen die zentralen Steuerorgane, die diesen Datenfluss kontrollieren und koordinieren. Daten, die sie zum Beispiel aus dem „HEAT” Projekt der Hansestadt gewinnen. HEAT steht für „Hamburg Electric Autonomous Transportation”, elektrische automatisiert fahrende Kleinbusse im ÖPNV. Diese Technologie könnte das Verkehrssystem der Zukunft sehr prägen, oder nicht?

Wien investiert nicht nur in die neuesten Lösungen im E-Health-Bereich und hat offene Verwaltungsdaten. Die Stadt setzt nicht nur auf vernetzte Lösungen im Bereich Mobilität und Umwelt.

Zukunftstechnologie trifft Bedürfnis

In Neuhausen am Rheinfall ist der selbstfahrende Trolleybus bereits Realität. Die schweizerische Kleinstadt direkt an der deutschen Grenze ist die Heimat von Europas größtem Wasserfall – dem Rheinfall. Über 1,5 Millionen Menschen besuchen dieses Naturschauspiel jedes Jahr in Nicht-Corona-Zeiten – für die gut 10.000 Einwohner starke Stadt, die Teil des Verkehrsnetzes von Schaffhausen (VBSH) ist, ein Kraftakt. Nun fährt der selbstfahrende Trolleybus als regulärer öffentlicher Bus der VBSH die Tourist:innen vom Bahnhof zum Rheinfall und sammelt dabei Daten, die die deutsche Entwicklungsfirma Trapeze für ihre Forschung braucht. Denn auch andere Städte haben Interesse und Bedarf angemeldet. Unabhängig davon, ob sie nun in die Kategorie Klein – oder Großstadt fallen.

Denn die Bedürfnisse und Herausforderungen, denen sich sowohl die politischen wie auch die stadt-/raumplanerischen Verantwortlichen stellen müssen, sind überall dieselben. Laut dem Oberbürgermeister-Barometer 2021 des Deutschen Instituts für Urbanistik gibt es fünf Themenfelder, die die Oberbürgermeister:innen als diejenigen ansehen, in denen der dringendste Handlungsbedarf besteht. Diese Themen sind Klima, Energie, Nachhaltigkeit, Mobilität und Digitalisierung.

Was die politisch Verantwortlichen offensichtlich nicht als dringend einstufen, sind Themen wie Transparenz in der Verwaltung, Open Data oder ein digitales Bürgerbüro. Eine bessere Vernetzung von kommunalen Infrastrukturen wie Energie und Wasser bei geringerem Verwaltungsaufwand, schnelle Lösungsangebote bei akuten Problemen mittels Informations- und Kommunikationstechnik. Und eine nachhaltige Stadtplanung, die allen gerecht werden muss. Gender Planning heißt das Stichwort. Oder besser inklusive Stadtplanung.

Erst dann wird eine Stadt zur „Smart City”. Also zu einer Stadt, in der „Technologieeinsatz ganz unterschiedliche Probleme der Stadtentwicklung lösen soll”, so die Definition der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg.

Eine Stadt wie Wien. Sie gilt nach dem Roland-Berger-Smart-City-Index bereits seit 2019 als die Vorzeigestadt unter den „Smart City” in Europa. Warum? Wien investiert nicht nur in die neuesten Lösungen im E-Health-Bereich und hat offene Verwaltungsdaten. Die Stadt setzt nicht nur auf vernetzte Lösungen im Bereich Mobilität und Umwelt – so testet sie eine grüne Energiegewinnung aus Klärschlamm, um die CO2-Emissionen zu reduzieren und neue Energie zu gewinnen -, sondern sie hat einen fundamental anderen Ansatz in ihrer Denk- und Vorgehensweise. Sie betrachtet jeden Stadtteil als einen in sich geschlossenen Ort, der für jede Bewohnerin, jeden Bewohner in jeder Lebenslage nutzbar sein soll. Das heißt, sie denkt zum Beispiel von den Senior:innen oder den Müttern aus. Wie weit sind die Wege zu den nächsten Einkaufsmöglichkeiten oder den Servicestellen? Wie ist das Zeit-Wege-Verhältnis zwischen Schulen, Kindergärten, Arbeitsstellen? Gibt es genügend Erholungsmöglichkeiten mit Parkbänken? Wo können Kinder und Jugendliche spielen oder sich treffen? Jeder Ortsteil wird so zu einer kleinen, in sich geschlossenen Stadt.

Warum Wien und Hamburg als Vorreiter gelten, erklärt sich nicht nur durch ihre hohen technischen Neuerungen, sondern auch dadurch, dass sie allen Gesellschaftsschichten Rechnung tragen. Genau das macht eine Smart City aus, die aus folgenden Bausteinen besteht:

  • Smart Environment: Umwelt- und Klimaschutz
  • Smart Mobility: Effiziente und ressourcenschonende Transportsysteme
  • Smart Governance: Verbesserung und Digitalisierung von Prozessen zwischen Verwaltung und Bürger:innen
  • Smart Living: Neue Ansätze und Technologien, die den Lebensalltag verbessern 
  • Smart Economy: Neue, innovative Ansätze in der Wirtschaft, um die Wirtschaftskraft einer Stadt zu stärken
  • Smart People: Bildung für alle. Neue Ansätze, die der Gemeinschaft zugutekommen (z. B. Repair-Cafés)

Und das Land? Wie sehen die Entwicklungen im ländlichen Raum aus?

Warum sollte eine gut ausgebildete Frau in einer Region bleiben, in der sie kaum Arbeit vorfindet, aber stattdessen lange Wege zwischen Familie, Arbeit und Servicestellen?

Das Zünglein an der Waage: Der ländliche Raum 

Doch bei allen Bemühungen der Smart Cities: Ob diese Ansätze gesamtpolitisch ein Erfolg werden, hängt vor allem vom ländlichen Raum ab. Dieser wird chronisch unterschätzt, obwohl Deutschland in erster Linie ein Flächenstaat ist, in dem es hauptsächlich mittelgroße Zentren und ländlichen Raum gibt. So weist der Professor für Wirtschaftspolitik Henrik Müller in „Älter, grauer, ärmer – Deutschland driftet auseinander” darauf hin, dass es drei Deutschlands gebe. Das erste sei ein „relativ junges wachsendes Land”, das zweite altere und schrumpfe und seine ökonomische Leistungsfähigkeit sei bedroht. Das dritte Deutschland stehe zwischen den beiden und könne jederzeit in eine der beiden Richtungen driften. Zum ersten Deutschland zählten die prosperierenden Regionen Oberbayern, Bodensee, Teile Baden-Württembergs, das Rhein-Main-Gebiet, die Großräume Berlin und Hamburg sowie Köln-Bonn, Düsseldorf, Münster, Nürnberg-Erlangen, Leipzig und Dresden. Demgegenüber stehen 100 Kreise, die dramatische Bevölkerungsverluste bis 2040 zu erwarten haben, mit den Folgen einer Überalterung und dramatischen ökonomischen Verlusten. 55 dieser 100 Kreise sind in Ostdeutschland. So gehören die Kreise Spree-Neiße und das Altenburger Land bereits jetzt zu den Kreisen mit der ältesten Bevölkerung. Vor allem junge Frauen wandern aus den ländlichen Regionen ab. Die Gründe sind vielfältig, haben alle jedoch damit zu tun, dass in diesen Regionen den Frauen viel mehr Pflichten und Organisationswege bei geringen bis kaum vorhandenen Entfaltungsmöglichkeiten aufgebürdet werden. Warum sollte eine gut ausgebildete Frau in einer Region bleiben, in der sie kaum Arbeit vorfindet, aber stattdessen lange Wege zwischen Familie, Arbeit und Servicestellen auf sich nehmen muss?

So sei es kein Wunder, dass die stark wachsenden Regionen gerade jüngere Frauen anziehen und die stark schrumpfenden Gegenden eher von älteren Männern geprägt sind, erklärt Henrik Müller.

Aktionspläne für den ländlichen Raum

Dieses Problem hat nicht allein Deutschland, sondern die gesamte EU. Daher gibt es seit Juni 2021 einen Aktionsplan der EU für den ländlichen Raum. Mit dessen Hilfe sollen die ländlichen Gebiete vernetzter, resilienter und vor allem florierender werden. Die Maßnahmen orientieren sich an den Säulen der Smart Cities. Zudem habe die EU eine neue Beobachtungsstelle für den ländlichen Raum eingerichtet, die ähnlich wie die „Smart City Agency” Daten erhebt, um eingreifen, verbessern und Informationen weitergeben zu können. Finanziert werde dieser Aktionsplan durch die bereits vorhandenen Mittel der EU, heißt es. Konkret erhielt Deutschland zum Beispiel zwischen 2014 und 2020 insgesamt 27,9 Mrd. Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, dem Europäischen Sozialfonds, dem Europäischen Landwirtschaftsfonds und dem europäischen Meeres- und Fischereifonds.

Deutschland finanzierte damit verschiedene Programme. Unter anderem 15 Programme des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung, 15 Programme des Europäischen Sozialfonds, ein nationales Programm des Europäischen Sozialfonds, ein Multi-Fonds-Programm, 14 Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum und ein nationales Programm für den Europäischen Meeres- und Fischereifonds.

Hinter diesen Angaben verbergen sich zum Beispiel makroregionale Strategien wie die Alpenraumstrategie der EU. Mit dieser werden Programme, Ideen und Konzepte unterstützt, die den neuen „smarten” Zielen untergeordnet und grenzüberschreitend sind und die vor allem dafür sorgen, dass der gesamte Alpenraum weiterhin als Arbeits- und Wohnortgegend attraktiv bleibt. Was in vielen Tälern nämlich schon nicht mehr der Fall ist.

Manchmal jedoch braucht es keine großen Programme, um mit einer kleinen Lösung eine Veränderung zu bewirken.

Das mag abstrakt klingen, bedeutet jedoch für die Kommunen und die Gemeinden, dass es verschiedene Ansätze und Programme seitens der Bundesregierung und der EU gibt, die Projekte und Konzepte finanzieren. Die Kommunen müssen die Mittel allerdings eigenverantwortlich abrufen. Und dies scheitere oft an mangelnder Kenntnis dieser Programme im Rathaus.

Manchmal jedoch braucht es keine großen Programme, um eine Veränderung zu bewirken.

In der kleinen deutschen Grenzgemeinde Jestetten unweit des Rheinfalls steht neben einem dm eine kleine Parkbank. Da die Ortsteile von Jestetten kilometerweit auseinanderliegen und es sehr eingeschränkte Buszeiten gibt, sich jedoch im Ortskern alle Geschäfte, Ärzte und das Rathaus befinden, konnte früher ein einfacher Einkaufsweg für viele der Bewohner:innen ohne Auto zum Abenteuer werden. Jetzt setzt man sich auf diese besonderen Parkbänke und wartet. Meistens nicht lange und ein:e Mitbürger:in öffnet die Autotür und nimmt einen mit. Wer auf der Parkbank sitzt, signalisiert: Ich möchte bitte mitfahren. Dieser Parkbank-Transport wird inzwischen sehr rege genutzt und erleichtert die Mobilität in einer Region, die kaum öffentliche Verkehrsmittel hat. —

Dieser Text erschien erstmals in femMit-Magazin 3.

Illustration: Adobe Stock / VectorMine

Kommentieren...

Deine Email Adresse wird nicht angezeigt..

Ich drück die Daumen, dass du findest, wonach du suchst.