Lasst es nicht zu!

Hunderttausende haben an den vergangenen Wochenenden gegen die AfD und für Demokratie demonstriert. Als Unternehmerin, Mutter, Sächsin und Mensch mit Migrationshintergrund macht mir das Mut und Hoffnung auf mehr Solidarität.

von Romina Stawowy

Der Anblick von 40.000 Menschen in Dresden, 60.000 in Leipzig, 12.000 in Chemnitz und 2.000 in Görlitz erfüllt mich mit Hoffnung. Diese Menschen setzen sich gegen die AfD und für die Demokratie ein. Sie zeigen, dass ein neues, gemeinschaftliches Bewusstsein entsteht, ähnlich den Montagsdemonstrationen 1989. Trotz unterschiedlicher politischer Ansichten vereint uns das klare Bekenntnis gegen rechtspopulistische Bestrebungen. Endlich ein Zeichen des Aufbruchs und des Zusammenhalts!

Die jüngsten Ereignisse in Potsdam sind schockierend, aber für mich nicht mehr überraschend. AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer haben Pläne für die zwangsweise „Rückführung“ von Millionen Menschen geschmiedet. Solche Netzwerke sind tief in unserer Gesellschaft verwurzelt, und seit dem Auffliegen des NSU wundert mich so etwas nicht mehr.

Haben wir auch weiterhin, bis zu den Wahlen im September und darüber hinaus, die Kraft und den Mut, geschlossen gegen diese faschistischen Tendenzen vorzugehen?

Die geplante ‚Remigration‘ richtet sich gegen Menschen mit Migrationshintergrund und gegen jene, die sich der völkischen Ideologie entziehen. Das Vorgehen der AfD ist alarmierend, da es sich nun auch gegen deutsche Staatsbürger richtet. Als eine Person, die mehrfach von diesen Kriterien betroffen wäre, kann ich nicht länger still bleiben – nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen, die gerade Angst haben. Diese Entwicklung erfordert ein starkes Engagement von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Es ist wichtig, gegen solche Pläne anzugehen und die Schweigsamkeit zu durchbrechen.

Nach den Demonstrationen stehen wir vor einer entscheidenden Frage: Haben wir auch weiterhin, bis zu den Wahlen im September und darüber hinaus, die Kraft und den Mut, geschlossen gegen diese faschistischen Tendenzen vorzugehen?

Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage wollen 66 Prozent der Sachsen in der kommenden Landtagswahl am 1. September dieses Jahres nicht für die AfD stimmen würden. Das klingt zunächst positiv, doch bedeutet es immer noch, dass über eine Million Menschen in Sachsen die Rechtspopulisten unterstützen würden.

Es sind Freunde, Nachbarn und Kollegen.
Nicht allen sieht man es an.
Aber es sind viele, und sie sind uns nah.

In Sachsen selbst ist der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund mit etwa 430.000 Personen im bundesweiten Vergleich recht gering. Dort liegt er bei 23,8 Millionen. In Sachsen hat jeder fünfte Arzt, jede fünfte Ärztin ausländische Wurzeln. In der Pflege sind es über 50.000 Personen.

Was diese Zahlen verdeutlichen: Es sind Freunde, Nachbarn und Kollegen. Nicht allen sieht man es an. Aber es sind viele, und sie sind uns nah. Ein Grund, mit den uns nahestehenden Menschen über dieses Thema zu sprechen. Viele haben gerade große Angst vor der Zukunft.

Erst vor wenigen Tagen entgegnete ich einem Bekannten, der die Vorgänge in Potsdam als Hirngespinste einer kleinen unbedeutenden Gruppe abtat: „Dann wäre ich auch weg!“ Und mit mir viele andere. Denn hinzu kommt: Wenn es nach den Plänen der Potsdamer Gruppe geht, würde es noch viel mehr Menschen betreffen. Nämlich alle, die nach deren Auffassung „nicht assimilierte Bürger“ sind. Also anders sind und denken als sie und eben nicht in das enge Weltbild dieser Gruppierung passen: all die vielfältigen Menschen, die zu unserer Gesellschaft dazugehören.

All das brachte mich zu einer Frage: Was würde passieren, wenn die 23,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland und alle die, die eben nicht konform mit den Verfassungsfeinden von AfD und Co sind, beispielsweise für eine Woche ihre Arbeit niederlegen würden und ein Zeichen setzen? Wenn wir einfach streiken. Nichts tun. Wenn wir einmal zeigen, wie viele wir eigentlich sind, und vor allem, wie nah wir uns sind. Es wäre ein imposanter Beweis dafür, dass diese menschenverachtenden Gedanken und Pläne von AfD und ihren Anhängern nicht nur ferne Unbekannte treffen würden. Es würde zeigen, welche Auswirkungen sie auf das Leben aller haben, auch derjenigen, die gerade mit einem Kreuz an der blauen Stelle liebäugeln.

2022 leben über 23,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, von denen rund die Hälfte die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Das sind alle Menschen, die selbst oder deren Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurden. Diese Definition, geprägt in den 1990er-Jahren von der Pädagogin Ursula Boos-Nünning, sollte das Verständnis von Integration über die bloße Staatsangehörigkeit hinaus erweitern. In Bayern wird sie sogar noch weiter gefasst, indem auch die Großeltern einbezogen werden.

So hätten beispielsweise die in Deutschland geborenen Kinder meiner Freundin mit ausländischen Eltern in Bayern einen Migrationshintergrund, was in anderen Bundesländern nicht der Fall ist. Trotz dieser Kategorien erleben diese Kinder, erkennbar an ihrer türkischen Herkunft, immer wieder rassistische Gewalt. Für sie ist es Teil der Normalität. Und das sollte uns allen zu denken geben!

Aber was bedeutet eigentlich „richtig deutsch“? Diese Frage konnte mir bisher kaum jemand wirklich ausreichend beantworten.

Ich selbst gehöre zu den 7,3 Prozent der in Deutschland geborenen Menschen mit Migrationshintergrund. Mir sieht man ihn nicht an, und ich werde im Gegensatz zu vielen anderen, die regelmäßiger unter Rassismus leiden, meist nur aufgrund meines Namens oder meiner Haltung angefeindet. Meine Eltern haben 1989 ihren Nachnamen geändert, weil meine Großeltern mit polnischem Nachnamen regelmäßig Drohanrufe von Nazis bekamen.

Heute höre ich: „Sei froh, dass du hier geduldet wirst“, „Na, Sie sehen aber auch nicht deutsch aus. Seit wann sind Sie denn hier?“ und „Das merke ich doch an Ihrem Namen, dass Sie nicht so richtig deutsch sind.“ Das sind nur einige wenige Beispiele. Aber was bedeutet eigentlich „richtig deutsch“? Diese Frage konnte mir bisher kaum jemand wirklich ausreichend beantworten.

Als Frau mit – laut Definition – Migrationshintergrund, geschieden, Mutter von drei Kindern, Unternehmerin und Herausgeberin einer Zeitschrift zur Stärkung von Frauen stelle mir oft die Frage: Wie sähe meine Zukunft in einem Bundesland mit einer als rechtsextrem eingestuften Regierung aus? Die Vorstellung, dass meine Freundinnen, Freunde, Menschen aus der Nachbarschaft und ich vielleicht eines Tages nicht mehr hier leben dürfen, macht mich unfassbar wütend. Es fühlt sich an wie ein schlechter Film und lässt das, was mir mein aus seiner Heimat vertriebener Großvater unter Tränen aus seiner Kindheit erzählte, plötzlich ganz nah kommen.

„Wenn es dir hier nicht gefällt, dann geh doch woanders hin!“, wurde mir kürzlich in einer Diskussion entgegengeschleudert. Ich habe aber nicht vor zu gehen. Sachsen ist meine Heimat, der Ort, an dem meine Familie, ein Teil meiner Liebsten und mein Herz sind. Hier bin ich geboren, aufgewachsen, habe meine Kinder bekommen und mein Unternehmen gegründet. Hier habe ich vier Jahrzehnte geliebt, gelitten und gelernt. Was mir Schmerzen bereitet, ist nicht das Land selbst, sondern die Stimmung und das Bild, das wir nach außen tragen.

Es sind die vielen Menschen, die eben nicht nur ein wenig frustriert sind, sondern eine rechte Gesinnung in sich tragen und dies inzwischen auch laut aussprechen. Denn gegeben hat es sie schon viele Jahrzehnte, in denen so oft weggeschaut wurde. Es beschämt mich oft, meine Herkunft preiszugeben. Denn Hass und Hetze sind kein Patriotismus, es sind Egoismus, Kurzsichtigkeit und das fehlende Wissen um die Bereicherung durch Vielfalt!

Erstaunt bin ich darüber, dass gerade die großen Unternehmen, die Wirtschaft in Sachsen, Brandenburg und Thüringen, den Bundesländern, in denen in diesem Jahr gewählt wird, für meine Verhältnisse noch sehr still sind. Müssten sie sich nicht über die aktuellen Entwicklungen riesengroße Sorgen machen? Wie soll denn Wachstum und Prestige künftig möglich sein, in einem Land, das so kalt und, wenn es nach der Potsdamer Gruppe und deren Anhängern geht, fast leer ist?

Denn jeder Tag, an dem nicht gehandelt wird, stärkt diejenigen, die unsere Gesellschaft spalten und vernichten wollen.

Ich bin seit dem Correctiv-Bericht nicht nur ängstlich, sondern auch nachdenklich. Solche starken Zeichen wie am Wochenende machen mir Mut. Und ich erwarte auch für die kommenden Monate, dass wir alle, Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft, uns gegen die AfD und für die Demokratie einsetzen. Ich warte darauf, dass unsere demokratischen Parteien klar Stellung gegen die AfD beziehen. Wir brauchen überzeugende Ziele für die Zukunft, mehr als nur Versprechungen vor den Wahlen. Denn nach Potsdam muss uns allen klar sein: Es geht um so viel mehr.

In dem Jahr, in dem unser Grundgesetz seinen 75. Geburtstag feiert – das Symbol für Freiheit, Gleichheit und Würde jedes einzelnen Menschen –, steht mehr auf dem Spiel denn je. Dies ist ein Appell an uns alle, die Werte, die unser Zusammenleben bestimmen, aktiv zu verteidigen und zu fördern. Unser Grundgesetz steht nicht nur für unsere Vergangenheit, sondern weist uns auch den Weg in eine Zukunft, in der Respekt und Vielfalt im Mittelpunkt stehen. Denn jeder Tag, an dem nicht gehandelt wird, stärkt diejenigen, die unsere Gesellschaft spalten und vernichten wollen. Es geht um unsere gemeinsame Zukunft. –

Hinweis: Dieser Text erschien erstmals am 23.1.24 in der Sächsischen Zeitung.

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