„Wer Krieg führt, führt auch die Verhandlungen“

Auf Krieg folgt Frieden. Doch wie kommt es zu Friedensgesprächen? Und warum sitzen so wenige Frauen an den Verhandlungstischen? femMit sprach mit der Würzburger Professorin für Politikwissenschaften Manuela Scheuermann.

Interview: Romina Stawowy

Ich habe das Gefühl, wir sprechen aktuell nur über Krieg. Wann finden Friedens­verhandlungen statt?

Es muss zuerst einmal einen Waffenstillstand geben. Das heißt, es darf eine gewisse Zeit keine Kampfhandlungen gegeben haben und es müssen alle Streitparteien gewillt sein, Friedensverhandlungen zu führen. Der Weg dahin ist relativ steinig.

Das bedeutet, es braucht im Vorfeld ­jemanden, der so weit vermittelt?

Genau. Meistens ist es aber so, dass das Dritte sind. Sehr oft sind es die Vereinten Nationen. Es können aber auch Staaten sein, die als Brückenbauer funktionieren. Deutschland war des Öfteren schon Vermittler. Zum Beispiel beim Petersberger Prozess, als es um die Zukunft Afghanistans ging. Oder auch für den Jemen und Iran gibt es Gesprächskreise, bei denen Deutschland dabei ist.

Gibt es im Konflikt Ukraine/Russland schon Friedensgespräche?

Nein. Was die Ukraine betrifft, fordern Wissenschaftler immer mal wieder Friedensverhandlungen, aber eigentlich ist es dafür viel zu früh. Wir sind aktuell noch mitten im Krieg, da denkt leider noch niemand an Frieden. Ich hatte erst vor etwa einem Jahr mit ukrainischen Frauen darüber gesprochen und gefragt, wie denn ihr Frieden aussieht und was sie sich wünschen. Sie haben gesagt, es ist viel zu früh, über Frieden nachzudenken. Da muss eine Bereitschaft zur Versöhnung da sein, denn Frieden geht immer mit Versöhnung einher.

„Wir haben meistens 20 bis 30 Jahre Konflikt, bevor wir über Friedensverhandlungen sprechen können.“

Prof. Manuela Scheuermann

Und wie schaut es im Nahen Osten aus?

In den letzten Monaten und Jahren hat Israel zu verschiedenen Nachbarstaaten wie Ägypten oder Jordanien eine gute Beziehung aufbauen können, sodass man eigentlich denken konnte, es gibt vielleicht einen Weg. Der Hamas-Angriff ist auch damit erklärbar, dass Israel und viele arabische Staaten sich angenähert haben. Aktuell sehe ich dort keinen Weg in den Frieden. Wir haben meistens 20 bis 30 Jahre Konflikt, bevor wir über Friedensverhandlungen sprechen können.

Eine lange Zeit. Warum aber scheitern die Verhandlungen um den Frieden?

Sie scheitern oft deshalb, weil die Parteien noch nicht bereit sind. Es braucht ja nicht nur Versöhnung, sondern auch Zugeständnisse und Kompromisse. Das kann man auch im Fall Russland und der Ukraine beobachten. Da wird jede Seite Zugeständnisse machen müssen. Und aktuell sind ja beide Seiten überhaupt nicht bereit dazu. Und da kann ein UN-Generalsekretär Frieden fordern, wie er will, aber wenn die Streitparteien nicht bereit sind, dann geht es nicht.

Wie läuft so eine Friedensverhandlung ab und wer ist dabei?

Es gibt mehrere Stufen von Friedensverhandlungen, die sogenannten Tracks. Im ersten Track sind die Führungspersonen aus Regierung und Militär beteiligt. Und dann gibt es die zweiten und dritten Tracks. Dort sind dann auch Initiativen dabei, beispielsweise Fraueninitiativen. 

Klingt ein bisschen wie nach den Geschäften, die am Abend beim Whisky beschlossen wurden und allen anderen am nächsten Tag nur noch präsentiert werden?

Ein Problem ist tatsächlich, dass im ersten Track oft schon die Wegmarken gesetzt sind und die Grassroot-Bewegungen, also die Initiativen aus der Basis der Bevölkerung, zu wenig in die ersten Gespräche einbezogen werden. Die wären aber wichtig, weil sie die Wurzeln des Konfliktes sehr gut kennen. Das passiert oft erst später, beispielsweise in Workshops. Aber sie schreiben nicht unbedingt den Friedensvertrag mit.

Die offiziellen Zahlen sagen, zwischen 1992 und 2019 sind nur sechs Prozent Frauen Unterzeichnerinnen von Friedensverhandlungen, sechs Prozent Mediatorinnen und nur 13 Prozent Friedensmittlerinnen. Warum ist das so?

Es gibt drei große Barrieren. Die konzeptuelle Barriere ist die gerade beschriebene First-Track-Problematik, dass Frauen gar nicht mitgedacht werden. Es wird davon ausgegangen, wer den Krieg führt, der führt auch die Verhandlungen über den Frieden.

Das Zweite ist, man denkt, die Frauen haben so große Herausforderungen und oft einfach andere Baustellen, da fehlt es an Geld, an Netzwerken und an Zeit. Frauen sind die Oberfriedensaktivistinnen on the Ground. Es sind diejenigen, die die Kinder zur Schule schicken, die Alten verpflegen, einen Minijob haben und eben alles am Laufen halten. Und dadurch sind alle Kräfte und Energien schon verbraucht und sie oft ausgeschlossen. Weiterhin wird gedacht, sie sind eher bildungsferner und haben gar nicht die Skills, um diplomatisch zu verhandeln oder auf dem politischen Parkett richtig aufzutreten.

Und das Dritte ist die politische Barriere. Man denkt in Quoten. Man sagt, es wäre schön, wenn zehn Prozent Frauen da am Verhandlungstisch sitzen. Die Quote erfüllt man. Aber welche Frauen da sitzen, warum und welche Agenda sie verfolgen, das ist total egal. Es bedeutet ja nicht, nur weil da eine Frau sitzt, dass sie auch eine Agenda vertritt, die dem Frieden und den Frauen hilft.

Also eine sehr maskuline Kultur?

Ja, und es geht viel um Vitamin B und Netzwerke und auch Verhandlung beim Whisky. Und das bringen die Frauen nicht mit. Sie haben teils auch Angst davor. Wenn eine Frau nicht gefragt wird, dann geht sie nicht hin. Das erleben wir ja auch auf politischer Ebene in Deutschland. Die Denke ist: Ich lasse mich nicht aufstellen, wenn ich nicht gefragt werde.

„Studien zeigen: Je mehr Frauen an Verhandlungs­tischen sitzen, desto nachhaltiger ist der Frieden.“

Prof. Manuela Scheuermann

Tut sich etwas, um diese Problematik zu verändern? 

Studien zeigen: Je mehr Frauen an Verhandlungstischen sitzen, desto nachhaltiger ist der Frieden. Auf UN-Ebene ist der Wille wahnsinnig groß, um Frauen zu motivieren. Wenn die Verhandlungen von den Vereinten Nationen geführt sind, dann ist in 80 Prozent der Fälle eine Frau am Verhandlungstisch mit dabei, aber jenseits dessen eben nicht. Da ist die UNO, die sagt, Frauen müssen mit dabei sein (Resolution 1325). Und die Staaten bringen das auch auf ihre Website, schmücken sich damit, aber der wirkliche und echte politische Wille ist oft nicht da.

Gibt es schon aktuelle positive Beispiele?

Ein Beispiel, welches schon fast zehn Jahre her ist, sind die Philippinen. Da war eine Frau, Coronel-Ferrer, Verhandlungsführerin. Sie wurde von den Vereinten Nationen geschickt, war aber Philippinin. Sie hat erfolgreich für die Regierung mit der Rebellengruppe verhandelt.

Ein anderes und wirklich spannendes Beispiel ist Kolumbien. Dort gibt es die Rebellengruppe FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo). Die haben ein feministisches Programm. Was ja irgendwie komisch klingt, eine Rebellengruppe, die auch Frauen rekrutiert hat. Und als es dort Friedensverhandlungen gab, haben am Verhandlungstisch paritätisch Frauen und Männer gesessen. Sowohl auf Regierungsseite als auch auf Rebellenseite. Dieses Beispiel wird auch immer wieder gelobt.

Klingt doch super …

Ja, aaaaber! Wenn man dann das Ergebnis dort anschaut, dann ist da nicht mehr viel Frauenpolitik. Und es ist schade, dass so etwas bei den Berichten über die Friedensverhandlungen in Kolumbien selten genannt wird. Dass der Friedensvertrag nicht so feministisch war, wie die Gruppe und das Bild von den Menschen, die am Verhandlungstisch saßen.

Das klingt ja danach, dass, selbst wenn 50 Prozent Frauen am Tisch sitzen, der ­maskuline Part mit seinen Zielen doch ­größer und erfolgreicher ist?

Und da muss man genau hinschauen, warum das so ist. Gründe könnten sein, dass diese Themen eben nicht mehr Top-Priorität hatten und andere Themen durch andere Verhandlungsführer gepusht wurden. Es könnte auch sein, dass eben die ‚falschen‘ Frauen dort am Tisch saßen oder hingesetzt wurden, oder sie nicht das richtige Netzwerk hatten. 

Aber was könnte helfen?

Inzwischen ist zum Beispiel erwiesen, dass Frauenorganisationen oder Initiativen dann ein großes Potenzial haben, gehört zu werden, wenn sie ein Konzept schriftlich ausgearbeitet haben, was sie vorlegen und in die Verhandlungen mit einbringen.

Stichwort „Nachhaltiger Frieden“, was ist das?

Ja, es gibt eine Studie von 2018, da wurden 40 Friedensverhandlungen untersucht und es wurde festgestellt, wenn Frauen am Verhandlungstisch sitzen, dann ist der Frieden für die kommenden zwei Jahre um 20 Prozent und um 35 Prozent in den nächsten 15 Jahren stabiler und nachhaltiger. 

Worum geht es denn genau bei einem nachhaltigen Friedensvertrag?

Es geht um eine gerechte Gesellschaftsordnung, die nicht diskriminiert. Also nicht nur um die Frauen. Weil man davon ausgeht, dass eine gerechte Gesellschaftsordnung – so zumindest die Theorie – weniger konfliktträchtig ist. Je weniger Diskriminierung herrscht und je gerechter eine Gesellschaft ist, desto weniger Konflikte gibt es. 

Frauenbewegungen denken oftmals ganzheitlicher und ein ganzheitlicher Frieden ist eben auch ein intersektionaler Frieden.

Prof. Manuela Scheuermann

Wie erklären Sie sich das?

Ich denke schon, dass Frauen diese Nachhaltigkeit auch mit Versöhnung gleichsetzen und mit guter Bildung. Frauenbewegungen denken oftmals ganzheitlicher und ein ganzheitlicher Frieden ist eben auch ein intersektionaler Frieden.

Ist Krieg männlich?

Ja, die Art der Kriegsführung schon. Die Armee ist das Männlichste, was es gibt in unserer Gesellschaft, und dessen ist sich eine Armee natürlich auch bewusst. Krieg arbeitet schon stark mit den Stereotypen von männlich und weiblich – auch wenn wir die ja eigentlich überkommen wollen. Das männliche Stereotyp ist ja der Krieger, der Soldat, der Verteidiger, der das Opfer beschützt und die Heimat verteidigt. Und das weibliche Stereotyp ist ein ganz anderes, also eher das Fürsorgende, das Mitfühlende, das Kommunikative. Und wenn wir jetzt diese leider vorherrschenden Stereotype nehmen, argumentieren die Feministen so, dass es (ohne Patriarchat) ja vielleicht gar keinen Krieg mehr in der konventionellen Form geben würde, weil man natürlich zuerst einmal das Militär als maskulisierte Form abschaffen würde.

Sie sagten, Sie kennen Feministinnen in der Ukraine. Verändert sich der Feminismus im Krieg?

Ja, man sieht schon, wie sich die Frauenbewegungen und der Feminismus wandeln im Kriegsfall. Die Gruppen, die ich in der Ukraine kenne, haben sicher vor fünf Jahren noch ganz andere Vorstellungen gehabt und jetzt verlangen sie eher nach Schutzwesten, um sich überhaupt schützen zu können. Feminismus hat ja auch, wenn man ihn absolut betrachtet, viel mit Utopien zu tun. Hier erleben wir gerade einen totalen Backlash, was den Feminismus angeht. Zurzeit wird er angegriffen vom absoluten Gegenteil, was wir ja auch in Israel und Palästina sehen. Das ist rohe Gewalt und eine Art Hyper-Maskulinität oder Hyper-Männlichkeit.

Frauen müssen erleben, dass sie selbstwirksam sein können – im privaten und auch im öffentlichen Raum.“

Prof. Manuela Scheuermann

Was müsste passieren, um Frauen an die Tische zu bekommen und damit nachhaltigen Frieden herzustellen?

Ich glaube, wir brauchen eine Art Anwälte für Frauen an Friedenstischen. Das gibt es teilweise schon, zum Beispiel mit der UNO und UN Women. Zusätzlich sind es solche Staaten wie Deutschland, die sehr darauf schauen, dass Frauen an den Verhandlungstischen sitzen. 

Außerdem muss es ein Umdenken geben, von der nationalen auf die lokale Ebene. Die Grassroot-Bewegungen müssen schon bei Track eins, also ganz am Anfang, mit in die Gespräche einbezogen werden. Weil sie vor Ort mitbekommen, was die Gesellschaft wirklich benötigt.

Und der dritte Punkt ist, und da dürfen wir nicht müde werden: Frauen zu empowern. Das fängt an bei Bildungszugängen, Frauen müssen erleben, dass sie selbstwirksam sein können – im privaten und auch im öffentlichen Raum. Es muss ja nicht gleich ein Verhandlungstisch auf nationaler Ebene sein. Aber Ziel muss sein, dass Frauen ein Selbstbewusstsein dafür bekommen, dass ihre Art zu denken gewinnbringend für die Gesellschaft ist und nicht nur für die Familie.

Dann sind wir mit einer Außenministerin, die auch den feministischen Ansatz vertritt, auf einem guten Weg?

Was dieses Thema betrifft, ist Annalena Baerbock wirklich super. Ich finde es großartig, dass sie auf ihren Reisen nicht nur zu den Regierungen geht, sondern immer auch gezielt zu Frauenorganisationen vor Ort. Sie setzt eine feministische Außenpolitik sehr gut um, geht in den Reden sehr stark auf die Zivilbevölkerung ein. In der Ukraine zum Beispiel nahm sie sich ein junges Mädchen bei ihrer Rede mit dazu, um eben auch zu zeigen, was Krieg bewirkt.

Sind Sie optimistisch für die Zukunft, was Kriege und Frauen an Verhandlungstischen angeht?

Ich versuche positiv zu bleiben, weil wir jenseits der Konflikte noch ganz andere Probleme und Herausforderungen haben und wir es uns als Menschheit nicht leisten können, diese Probleme aus dem Auge zu verlieren. Bei allem Optimismus bin ich allerdings seit einigen Jahren auch sehr erschrocken darüber, wohin das Ganze läuft. Umso wichtig ist es, die demokratischen Fünkchen überall zu stärken und auch in Deutschland das Bewusstsein zu schärfen, dass eine demokratische Gesellschaft das höchste Gut ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto: Frank Peters

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