Revolution der Schönheitsbranche
von Kaddi Cutz
1930 gründete Charlotte Meentzen ihre gleichnamige Kosmetikfirma in Dresden. Was heute als Lifestyle im Trend liegt, war damals progressiv, innovativ und auch ein bisschen revolutionär: Naturkosmetik aus regionalen Produkten.
Längst liegt Naturkosmetik überall auf der Welt im Trend, immer neue Marken ploppen auf und bringen Produkte auf den Markt, die voll sind mit natürlichen Inhaltsstoffen, manchmal bio, nicht selten vegan. Heute ganz normal – geradezu undenkbar jedoch, schaut man rund 100 Jahre zurück.
Wirklich undenkbar? Nicht ganz. Eine junge Sächsin war schon damals ihrer Zeit voraus. Und sie hatte einen großen Plan: In einer Zeit, die von Umbrüchen geprägt war, die als Zeit der Massenbewegung galt, aber auch als eine Zeit der Rückbesinnung auf das Selbst, gründet die gerade 26 Jahre alte Charlotte Meentzen 1930 ihre erste Firma. Und gibt ihr selbstbewusst ihren eigenen Namen. Ihr „Institut für Schönheitspflege“ eröffnet sie in prominenter Lage auf der Prager Straße in Dresden.
Die Geschichte der sächsischen Naturkosmetik-Marke Charlotte Meentzen ist eine bewegende und bewegte. Es ist die Geschichte zweier Schwestern, die ihr gemeinsames Unternehmen bis in die Neuzeit retten konnten – mit Leidenschaft, Innovationsgeist, Mut und der ungebrochenen Überzeugung, ihre Idee einer ganzheitlichen Naturkosmetik in die Welt zu tragen.
Leitsatz: Zurück zur Natur
Noch im Jahr der Firmengründung legt Charlotte nach: Sie gründet gemeinsam mit ihrer Schwester Gertrud und finanzieller Unterstützung ihrer Familie die „Schule der natürlichen Kosmetik“. Den Schwestern liegt die Liebe zur Natur im Blut, ihr umfangreiches Wissen über die Kraft der Pflanzen und Kräutern haben sie von klein auf aus der Familie mitbekommen. Charlotte hat sich zudem in Graz zur Kosmetikerin ausbilden lassen. Von Geheimniskrämerei hält die junge Unternehmerin wenig: Ihr Wissen teilt sie gern, entwickelt ein eigenes Schulungssystem für Kosmetiker:innen und schreibt Fachbücher. Sie ist überzeugt von ihrer Idee, unter dem Leitsatz „Zurück zur Natur“ innovative Pflegeprodukte auf den Markt zu bringen, die sich die Kraft der Pflanzen zunutze machen, um die natürliche Schönheit nach außen hin strahlen zu lassen.
Eine Art Paukenschlag in einer Zeit, die für Frauen nicht die Selbstständigkeit, sondern die Wahrnehmung häuslicher und erzieherischer Pflichten vorsieht. Das ist jedoch ganz und gar nicht das, was Charlotte sich für ihr Leben vorstellt. 1931 geht der eigene Produktionsbetrieb, das „Laboratorium für natürliche Kosmetik“, an den Start. Eine Revolution der gesamten Schönheitsbranche, angezettelt von zwei jungen Frauen im Osten Deutschlands. Dresden ist damals im Aufbruch, die Stadt boomt, gilt als eine der gesündesten Städte. Etwa zeitgleich mit Charlottes Unternehmen gründet sich auch das Deutsche Hygienemuseum in der sächsischen Landeshauptstadt.
Der Blick richtet sich zunehmend auf das Individuum, weg vom Mainstream. Mensch, Gesundheit und Natur als ganzheitliches System – für Charlotte eine Vision, für die sie sich unermüdlich ein- und gegen die Männerwelt durchsetzt. In einer Zeit, in der Frauen mit eigenen Ideen und einem guten Geschäftssinn sehr weit weg von der Normalität waren, bringen die beiden Schwestern ihr Unternehmen nach vorn: Charlotte als die entschlossene, schillernde Persönlichkeit und Visionärin im Vordergrund, mit ihren vielen Ideen und kosmetischem Fachwissen. Gertrud als kluge und besonnene Kauffrau hinter den Kulissen und fest an ihrer Seite.
Beiden Frauen geht es nicht nur um die Vermarktung ihrer Produkte, sie wollen Sichtbarkeit für Frauen und Raum erobern, sie glauben fest daran, dass gegenseitige Unterstützung der Weg zum Erfolg ist. Gemeinsam heben die beiden Schwestern ein revolutionäres kosmetisches Gesamtkonzept aus der Taufe, das komplett auf natürliche Inhaltsstoffe setzt und zum Vorreiter im Bereich Naturkosmetik wird.
Gertrud und Charlotte Meentzen
Mut und Entschlossenheit
Als Charlotte 1940 unerwartet und im Alter von nur 36 Jahren verstirbt, ist es an ihrer Schwester Gertrud, das gemeinsame Erbe fortzuführen – sie übernimmt nicht nur die Verantwortung für den Säugling ihrer unverheirateten Schwester, sondern auch für das gemeinsame Unternehmen. Was folgt, ist ein wilder Ritt durch die Geschichtsbücher. Leicht macht es das Leben der jungen Frau dabei nicht.
Im Zuge der Luftangriffe auf Dresden wird 1945 ein Großteil der Produktionsstätten zerstört. Gertruds Mann Felix Otto Seltmann kommt dabei ums Leben. Etwa die Hälfte der Belegschaft überlebt den Krieg ebenfalls nicht. Gertrud steht vor den Trümmern ihres Lebens, verwitwet, mit drei kleinen Kindern und einer zerstörten Existenz.
Andere hätten solche gravierenden Schicksalsschläge vielleicht in die Knie gezwungen. Für Gertrud ist das keine Option. Mit Mut, Entschlossenheit und dem unerschütterlichen Glauben an ihre Sache baut sie das Unternehmen nach dem Krieg wieder auf, gründet die „Schule für natürliche Kosmetik“ zum zweiten Mal. Die Villa an der Wiener Straße wird zur neuen Wirkungsstätte, die Absolvent:innen der Kosmetikschule schickt sie in Drogerien, Parfümerien und Reformhäuser, baut so ein eigenes Vertriebssystem auf.
Zurück auf den Markt
1946 wird die Villa zur Kosmetikmanufaktur, die Marke führend auf dem deutschen Kosmetikmarkt. Und wieder schlägt das Schicksal zu, als die Privatschule aufgrund staatlicher Beschlüsse der DDR-Regierung schließen muss und der Betrieb 1972 zwangsenteignet wird. Glück im Unglück: Gertruds Sohn Sigismund und Charlottes Sohn Geert-Dietrich dürfen weiter in der Firma arbeiten. Die Umsätze stimmen, der Name Charlotte Meentzen aber verschwindet sukzessive, „Florena Kräutervital“ steht nun auf den Etiketten.
Doch selbst dieser staatliche Eingriff kann den Erfolg der Marke „Charlotte Meentzen“ nicht bremsen, und auch Gertruds Tod 1985 ist nicht das Ende.
Als nach der Wende 1991 die Söhne der beiden Schwestern die Firma wieder aufbauen, sich mit viel Engagement und Herzblut für die Reprivatisierung einsetzen, prangt endlich wieder der Name „Charlotte Meentzen“ auf den Labels. Stück für Stück erobert sich die Marke den Weg zurück auf den Markt. Und wieder ist auch Glück ein Faktor: Kurz bevor das Jahrhundert-Hochwasser 2002 den Standort der Manufaktur zerstören kann, zieht die Firma nach Radeberg. Heute ist das Familienunternehmen wieder etabliert, die Produkte gehen von Sachsen hinaus in die ganze Welt, werden von über 5.000 Partner:innen und Instituten in 20 Ländern verwendet. Der Sprung in die Moderne ist gelungen. —
Bilder: Charlotte Meentzen
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